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WWU-Münster
Institut für Soziologie
SS 1998
Soziologie der sozialen Ungleichheit
Dozent: Prof. Dr. R. Eickelpasch
Tutorium: Daniel Dravenau / Olaf Groh

Macht und Prestige
Die Grundpfeiler der Sozialen Ungleichheit
Verfasser: Daniel Bleyenberg
 
Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung

  2. Soziale Ungleichheit - eine Definition nach Kreckel
  2.1. Strukturen
  2.1.1. Abgrenzungen
  2.1.2. Vertikale und Nicht-Vertikale Ungleichheit
  2.2. Objektive Ungleichheit
  2.2.1. Aggregatzustände und strategische Ressourcen
  2.2.2. Zusammenspiel der Ressourcen
  2.3. Macht und Prestige
  2.4. Struktur der Objektiven Ungleichheit (Graphik)

  3. Modell nach Bourdieu
  3.1. Kapitalformen
  3.2. Der Habitus
  3.3. Die Grundpfeiler der Ungleichheit (Graphik)

  4. Abschluss
  5. Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
                                               Grundgesetz der BRD: Artikel 3, Absatz 3

So sagt es das Gesetz: Ungleichheit darf es nicht geben!
 Doch wir wissen alle, wie die Realität aussieht. Während die einen in einem noblen Restaurant trotz angeblicher Ausbuchung sofort den besten Tisch bekommen, müssen andere Wochen im Voraus reservieren oder werden wohlmöglich gar nicht erst reingelassen, obwohl beide Sorten von Gästen äußerlich nicht groß zu unterscheiden sind. Beide tragen Anzug und Krawatte oder ein elegantes Abendkleid, und trotzdem bleibt vielen die Tür zu den „höheren Kreisen“ auf ewig verschlossen.
Nun ist es aber nicht so, dass jeden Abend eine ganze Menschenmenge vor den Restaurants oder Golfclubs nach Einlass begehrt. Genau das Gegenteil ist der Fall: All diese offensichtlich ausgeschlossenen und benachteiligten Leute unternehmen erst gar nicht den Versuch, in besagte Etablissements hineinzukommen, weil sie von vornherein genau wissen, dass so ein Unternehmen zum Scheitern verurteilt ist.
Doch warum werden solche Umstände meist wortlos hingenommen? Warum stehen nicht Tausende von Arbeitern vor den distinguierten Clubs und protestieren lautstark und mit Transparenten gegen solch herablassende Behandlung? Warum kann sich ein Arzt einen Mercedes leisten und ein Müllarbeiter nicht, obwohl letzterer wahrscheinlich mehr zur allgemeinen Gesundheit beiträgt als hochbezahlte Chirurgen?
Die Antwort ist dem ersten Anschein nach in der subjektiven Beurteilung der verschiedenen Berufe zu suchen. Während sich die meisten Menschen bei einem Gärtner vermutlich sagen, dass er wenigstens einen Job hat, wagt man einen Millionär kaum anzusprechen. Anscheinend ist es bei weitem nicht egal, wie viel Geld oder Prestige jemand haben muss, um im Leben die gleichen Chancen zu bekommen.
In der Soziologie nimmt die Frage nach den Gründen für soziale Ungleichheit einen beträchtlichen Raum ein. Gleich eine ganze Reihe von Professoren und Doktoren widmen diesem Thema ihre Arbeit und schreiben regaleweise Bücher darüber. Allerdings meint Reinhard Kreckel in diesem Zusammenhang, dass die Ursachen derart vielfältig und irrational sind, dass ein Erstellen von Gesetzmäßigkeiten, die in der Realität auch zutreffen, nahezu unmöglich ist.
Daher wendet er sich eher der These zu: Wenn man ein Problem bekämpfen will muss man es erst einmal kennen, um zu wissen, wo man ansetzen muss. Damit wäre auch schon vorweggenommen, dass Kreckel eine Veränderung überhaupt für möglich hält.
Allerdings steht er mit seiner Meinung auch nicht alleine auf weiter Flur. Ein anderer Autor, dessen Modell unübersehbare Ähnlichkeiten mit dem von Kreckel aufweist, ist Pierre Bourdieu. Beide beziehen sich in erster Linie mehr oder weniger auf Reichtum und Wissen, weswegen beide Überlegungen in dieser Hausarbeit aufgeführt werden.
Dabei merkt man mit der Zeit, dass immer wieder die Begriffe Macht und Prestige fallen. Es scheint sogar, als würde der Kern der sozialen Ungleichheit mehr auf diese beiden Faktoren basieren, als es zu Beginn den Anschein haben mag. Und genau dies ist auch die Frage, auf die es am Ende hinausläuft: Was sind die Grundpfeiler der sozialen Ungleichheit?
Um dem Phänomen auf die Spur zu kommen, fasse ich die Grundzüge beider Modelle zusammen, wobei der Schwerpunkt bei Kreckel liegt. Im Anschluss befasse ich mich dann noch kurz mit Bourdieu, um eine zweite Meinung zu diesem Thema aufzuzeigen. Sein Modell knüpft sehr stark an das seines Kollegen an, unterscheidet sich jedoch in einigen sehr bedeutenden Feinheiten.

2. SOZIALE UNGLEICHHEIT - eine Definition nach R. Kreckel

Wie in der Einleitung schon erwähnt wurde, wird soziale Ungleichheit nicht durch simple Gewaltandrohung aufrechterhalten. Die Kräfte, die dahinter stehen, müssen schon auf eine versteckte Art und Weise operieren, damit das „gemeine“ Volk seine Benachteiligungen nicht direkt vor Augen gehalten bekommt und sie somit leichter und ohne großes Murren hinnimmt. Genauso, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Gesellschaft geändert hat, hat sich auch das Auftreten der sozialen Ungleichheit diesem Wandel unterworfen. Wo früher eine klare Zwei- Klassen-Gesellschaft herrschte, sind die Grenzen zwischen arm und reich heutzutage nicht mehr derart eindeutig zu ziehen. Daher kann es leicht geschehen, dass einige Gesellschaftsphänomene irrtümlich in die Schublade der sozialen Ungleichheit geworfen werden, die ein wenig fehl am Platze sein können.
Damit in diesem Zusammenhang keine unnötigen Probleme auftreten, hat Reinhard Kreckel die Thematik strukturiert und einige Abgrenzungen definiert, da vor allem die traditionellen Theorien von Marx und Weber seiner Ansicht nach in der modernen Gesellschaft nicht mehr so ohne weiteres zutreffen. Geld und Besitz genügt heute nicht mehr - das Wissen tritt immer mehr in den Vordergrund. So wird zum Beispiel ein Manager wohl kaum ein Produktionsmittel der Firma, bei der er beschäftigt ist, sein eigen nennen dürfen. In Punkto Entscheidungsbefugnis steht er aber an höchster Stelle und hat somit die größte Macht. Auch ein Personalchef ist bloß ein Angestellter, kann aber in die Existenzen anderer Arbeiter - mit den simplen Worten: „Sie sind fristlos entlassen!“ - arg einschneiden.
Zu dem Thema Macht aber später mehr - zunächst einmal die wichtigsten Strukturen.
 

2.1. Strukturen

2.1.1. Abgrenzungen

1) Soziale Ungleichheit basiert nicht auf physiologischen Unterschieden. Geschlecht, Rasse, Größe oder sonstige körperlichen Verschiedenartigkeiten haben unter dieser Bezeichnung nichts zu suchen. Vor allem der Rassismus ist eher ein anderes soziologisches Problem. Zwar greifen einige Gesellschaftsgruppen immer wieder auf derartige Begründungen zurück, um die Diskriminierung anderer zu rechtfertigen, aber in Sachen sozialer Ungleichheit sind solche Phänomene irreführend. Dort ist nämlich die entscheide Frage, warum es zu Benachteiligung und Begünstigung von Personen kommt, obwohl diese gleicher Herkunft und Rasse sind. In  diesem Fall ist eine Begründung nämlich nicht so einfach zu finden.

2) Als nächstes muss eine Unterscheidung von sozialer Ungleichheit und sozialer Differenzierung getroffen werden. Letztere ist überall dort anzutreffen, wo verschiedene Menschen aufgrund ihrer Qualifikation nicht die gleichen Kompetenzen und Rechte haben. In Berufsgruppen, religiösen oder politischen Vereinigungen gibt es immer Personen, die mehr zu sagen haben als andere.  Ein Parteivorsitzender hat das Sagen, weil er von anderen zu eben diesem Zweck gewählt wurde. Eine Krankenschwester hat nicht das nötige Wissen, um eine Operation durchzuführen und muss sich daher dem Arzt unterordnen.
Diese berufsbedingte Hierarchie kann allerdings nicht als Grundlage dafür herhalten, dass die Untergeben auch im restlichen Bereich des Lebens benachteiligt werden. Eben dieser Umstand ist es, der unter sozialer Ungleichheit eingeordnet wird.

3) Die ersten beiden Punkte bezeichnen Ungleichheiten, die von der klassischen Klassen- oder Schichtenforschung nicht beachtet werden. Immer dann, wenn Individuen oder Gruppen aus irgend einem Grund benachteiligt werden, nennt man das Soziale Ungleichheit im weiteren Sinne. Unter dieser Bezeichnung ist unter anderem nun auch Rassismus oder geschlechtsbedingte Benachteiligung zu finden.
In diese umfassende Einordnung können auch ganze Staatsgesellschaften fallen, die durch ihren zum Beispiel hohen oder niedrigen technologischen Standard benachteiligt oder bevorzugt werden, wobei man dies am ehesten unter dem Gesichtspunkt der sogenannten „Dritten Welt“ verdeutlichen kann.
Kreckel benutzt hierbei eine klare Begriffsbestimmung:
„Soziale Ungleichheit im weiteren Sinne liegt überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zugangs zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Macht- und/oder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betreffenden Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden.“ (Kreckel, R.: 1992, S.17)

4) An diesem Punkt sind wir nun bei der Problematik angelangt, um die sich im Allgemeinen die klassische Klassen- und Schichtenforschung kümmert: Soziale Ungleichheit im engeren Sinne.
Sie bezeichnet jene Ungleichheiten, bei denen es eine mehr oder weniger klare Hierarchie gibt - oder anders ausgedrückt, eine Art Höher oder Tiefer. Entscheidend dabei ist, dass diese Form tief mit den Strukturen einer Gesellschaft verflochten ist, und sich nicht auf der körperlichen Andersartigkeit der Bevölkerung begründet. Vielmehr lassen sich derartige Rangabstufungen kaum noch aus einer geordneten Gesellschaft wegdenken und werden schon fast als selbstverständlich erachtet.
Diese Art der übereinander geschichteten Ungleichheit wird als vertikale Ungleichheit bezeichnet.
 

2.1.2.  Vertikale und Nicht-Vertikale Ungleichheit

Im vorherigen Punkt wurde bereits erklärt, was unter vertikaler Ungleichheit verstanden wird. In früheren Zeiten der Soziologie wurden die Klassen und Schichten nach Besitz und Reichtum unterschieden - zum Beispiel zwischen den Besitzern der Fabriken (sprich: Produktionsmittel) und deren Arbeiter.
Heute jedoch gehen die hierarchischen Strukturen viel tiefer. Es wird nicht mehr alleine nach Reichtum unterschieden, sondern auch nach Wissen und Kompetenz. Im Falle unserer Industriegesellschaft speziell nach Fachwissen. Dies hatte auch schon Weber verstanden und stellte als Beispiel eine Rangordnung unter Arbeitern auf:

1. Ingenieure
2. Facharbeiter
3. Gelernte Arbeiter
4. Angelernte Arbeiter
5. Ungelernte Arbeiter

In diesem von Oben nach Unten nimmt nicht nur das Wissen ab, sondern auch die finanziellen Mittel, mit denen das Erwerben desselben erst ermöglicht wird. Somit wird auch gerechtfertigt, warum ein Ingenieur mehr verdient, als ein ungelernter Arbeiter, und warum letzterer als nicht so wertvoll für eine Firma angesehen wird.
Die sozialen Ungleichheiten, die aus einer derartigen Hierarchie entstehen, liegen also solch vertikalen Strukturen zu Grunde.

In jüngerer Zeit treten nun aber auch sogenannte Nicht-Vertikale-Ungleichheiten immer stärker in den Vordergrund.
So gibt es zum Beispiel - was das Ansehen und die daraus entstehenden Lebenschancen einer Person betrifft - große Unterschiede, ob sie sich im Berufsleben befindet oder nicht etwa arbeitslos ist. Wo vor Jahren der Verlust von Arbeit von der Gesellschaft als Schicksalsschlag angesehen wurde, geht heute fast automatisch das Vorurteil von Faulheit und Arbeitsscheu einher. Die meisten Menschen denken wohl, dass es an einem selbst liegt, warum man entlassen wurde. (Mit dieses Phänomen beschäftigt sich vor allem auch U. Beck, dessen Überlegungen im Abschluss kurz angeschnitten werden.)
Weitere Motive, die unter die Rubrik Nicht-Vertikale-Ungleichheiten fallen, sind auch geschlechts-spezifische Benachteiligungen, Wohnorte (Stadt/Land), Minderheiten und sonstige Randgruppen.
Nach Kreckels Ansicht besteht nun das Problem, dass diese neuen Ungleichheiten (wie er sie bezeichnet) in der heutigen Forschung immer noch zu wenig Beachtung finden. Anscheinend ist es nicht einfach, von den traditionellen Klassen- und Schichtenmodellen loszukommen und auch diese Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zwar lassen sie sich schwerlich in hierarchisch gegliederte Ungleichheiten einfügen, sie spielen aber in unserer heutigen Gesellschaft eine zu große Rolle, als dass man sie einfach außen vor lassen könnte.
 

2.2. Objektive Ungleichheit

Dass soziale Ungleichheit keine bloße Einbildung von den davon Betroffenen ist, dass sie sich nicht einfach nur beschweren, weil sich einige Leute von der Gesellschaft vernachlässigt fühlen, kann man daran erkennen, dass sich meistens ganz genau sagen lässt, warum der größte Teil unserer Bevölkerung verminderte Lebenschancen inne hat. Entweder fehlt ihnen das nötige Kleingeld (um sich einen angeseheneren Lebensstandard leisten zu können), das Wissen (um einen höheren Posten zu bekleiden) oder die Beziehungen (um durch „Gefallen“ an bessere Positionen zu gelangen). Dabei ist es in der Regel ein Zusammenspiel dieser Faktoren (oder auch Ressourcen genannt), wodurch die Lebenschancen der betreffende Person reduziert werden. Geld kann abhängig von Wissen sein, und Wissen kann abhängig von Geld sein.
Allerdings lassen sich mit diesen Ressourcen die (objektiven) Ungleichheiten in der Gesellschaft nur erklären - nicht jedoch begründen! Wie bereits zu Anfang erläutert, sind die Gründe derart abstrakt und entspringen dem subjektiven Handeln der Masse, dass sie kaum zu erfassen sind, von Gesetzmäßigkeiten ganz zu schweigen.
 

2.2.1. Aggregatzustände und strategische Ressourcen

Die oben angesprochenen Ressourcen - nach Kreckels Definition sind es vier an der Zahl - lassen sich in zwei Hauptkategorien einteilen (je zwei Ressourcen pro Aggregatzustand):

Sozial strukturierte Verteilungsungleichheit (distributive Ungleichheit):
Hierbei handelt es sich um einen eingeschränkten Zugang zu sozialen Gütern jedweder Art, infolge dessen betroffene Individuen oder Gruppen dauerhafte Nach- oder Vorteile bei  ihren  Lebenschancen  zu  verzeichnen haben.

1)  materieller Reichtum
Diese Ressource ist wohl am einfachsten zu verstehen, da annähernd jeder von uns zu irgendeiner Zeit einmal knapp bei Kasse war. Allerdings bezieht sich dies eher auf dauerhaft als auf temporär begrenzte Zustände.
Sprichwörter wie „Geld regiert die Welt!“ oder „Mit Geld stehen dir alle Türen offen!“ treffen die Situation, um die es hier geht, haargenau.
Infolge des Mangels an materiellem Reichtum werden betroffene Personen von den Zugangsmöglichkeiten zu Gütern radikal abgeschnitten. Nun mag sich so mancher sagen: Wenn kein Geld da ist, dann muss man halt sparen oder darauf verzichten! Das klingt natürlich plausibel, aber Kreckel weist darauf hin, dass Preise manipuliert werden können. Besonders prestigeträchtige Objekte können künstlich auf höherem Preisniveau gehalten werden, damit die Zielgruppe möglichst klein und elitär bleibt. Zum Beispiel kann das Angebot reduziert werden, so dass der Preis entsprechend hoch liegt, und somit die Nachfrage nach dem Reichtum gesteuert werden kann.

2) symbolisches Wissen
Gerade in heutiger Zeit ist das Wissen wichtiger denn je. Vor allem das sogenannte Fachwissen wird hoch gelobt und von jedem verlangt. Jedoch ist ein Zugang dazu bei weitem nicht selbstverständlich. Eine Weiterbildung an speziellen Schulen oder Universitäten erfordert im Allgemeinen eine Qualifikation in Form eines Zeugnisses. Dabei wird eine statische Note oftmals mit eigentlichem Wissen gleichgesetzt. Eine „Fünf“ in Deutsch heißt aber noch lange nicht, dass derjenige seiner Sprache und deren Anwendung nicht mächtig ist. Tatsache ist aber, dass zum Beispiel in den meisten kaufmännischen Berufen eine bessere Note in jenem Fach vorausgesetzt wird. Da nützt es auch nichts, wenn der Bewerber in seiner Freizeit „Brecht“ liest.
An diesem konkreten Beispiel kann die Benachteiligung, die durch das Fehlen von symbolischem Wissen erzeugt wird, sehr gut verdeutlicht werden. Wichtig ist auch hier wieder, dass der Zugang von anderen Stellen reguliert werden kann.

Sozial strukturierte Beziehungsungleichheit (relationale Ungleichheit):
Eine Gesellschaft ist nicht einfach eine große Gemeinschaft, sondern ist noch viele Male in sich strukturiert und unterteilt. Wenn nun für ein Individuum oder eine Gruppe durch ihre Position in diesem Gefüge besondere Vor- oder Nachteile resultieren, fällt dies in den Aggregatzustand der Beziehungsungleichheit. Dabei wird hier von den Handlungs- und Interaktionsbefugnissen gesprochen, die eine höhere Position mit sich bringen.

3) hierarchische Organisation
Während die ersten beiden Ressourcen sich auf Dinge beziehen, die auf einen alleine zurückzuführen sind, wird unter diesen beiden Ressourcen das Zusammenspiel mit anderen Personen behandelt. Die hierarchische Organisation bezieht sich auf Individuen, die aus ihrer Position in einer Gruppe irgendwelche Vorteile ziehen.
So kann ein Parteivorsitzender seine Macht auch für eigene Zwecke verwenden, indem er das Prestige nutzt, dass eine solche Position mit sich bringt, um Ideen und Vorstellungen auch außerhalb der Gruppe durchzusetzen.
Die im Beispiel verwendete Hierarchie ist eine für sich ganz spezielle Form und im Vergleich zu anderen Positionen relativ stark. Der Vorsitzende eines Schützenvereines hingegen hat bei weitem nicht so viele Möglichkeiten, wie ein Bürgermeister oder gar Minister, das muss aber bei weitem nicht heißen, dass seine Meinung in einem bestimmten Personenkreis weniger geachtet wird. Kreckel spricht bei solchen Vergleichen von einer Hierarchie in der Hierarchie. Und gerade in diesem Bezug spielt Macht eine ganz entscheidende Rolle, da sie die Richtlinie ist, ob und wie stark jemand Vorteile aus seiner Position ziehen kann.

4) selektive Assoziation
Auf den ersten Blick erscheint dieser Punkt wie ein klassisches Paradox. Eine Person zieht Nutzen aus der bloßen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, dessen Mitglieder aber nicht höher oder tiefer gestellt sind, als sie selbst. Das funktioniert jedoch nur, wenn die gesamte Gruppe einen höheren Status in der restlichen Gesellschaft besitzt. Ist das der Fall, kann jenes Individuum auf das exklusive Prestige zurückgreifen und daraus seine Vorteile ziehen. Im Volksmund wird so etwas als Beziehungen spielen lassen bezeichnet.
Während die Anwendung der ersten drei Ressourcen im allgemeinen legal ist, können hierbei auch illegale Formen auftreten: Korruption, Amtsanmaßung und Vetternwirtschaft sind nur einige Schlagworte, bei denen die Verbindung mit anderen Personen Vorteile jenseits des Gesetzbuches bringt.
Und noch etwas ist bei der selektiven Assoziation zu bemerken: Von den Beteiligten wird sie offiziell immer wieder bestritten! Zum Beispiel kann ein Bankdirektor seinen Kindern leicht bei einem solchen Institut eine Stelle verschaffen, obwohl andere besser qualifiziert sein könnten, und die dann in ihrer Arbeitswahl beschnitten sind. In der Regel gibt man anderen gegenüber nicht gerne zu, dass man seine Begünstigungen über diesen Weg erlangt hat. Vor allem wenn man in höhere Kreise hineingeboren wird, was der klassischen Ständegesellschaft doch sehr nahe kommt, wird eine derartige Abgrenzung häufig geleugnet. Natürlich vermag diese Einstellung nicht zu verhindern, dass solche Verbindungen gerne und oft genutzt werden.
 

2.2.2. Zusammenspiel der Ressourcen

Äußerst wichtig zu betonen ist, dass die verschiedenen Ressourcen fast niemals vollkommen alleine zur Geltung kommen. Kreckel führt in seinen Ausführungen zahlreiche Beispiel an, wie die einzelnen Faktoren von einander abhängig sind und sich gegenseitig verstärken können.
Aus materiellem Reichtum folgt meistens ein höherer Rang in irgendeiner hierarchischen Organisation. So kann ein Millionär sein Geld zum Beispiel sehr viel leichter und effizienter arbeiten lassen, weil sein Reichtum ihn bei Banken besonders begehrt macht, und die ihn entsprechend mit Sonderleistungen verwöhnen.
Ebenfalls wird die Zugehörigkeit einer Gruppe oftmals durch das Einkommen reguliert. Golfclubs verlangen enorm hohen Summen an Beiträgen, damit nicht jeder „Hinz und Kunz“ ein und aus gehen kann, und somit eine gewisse Exklusivität, mit der sich dann so manche Tür öffnen lässt, bestehen bleibt.
Auch das auf den ersten Blick allgemein zugängliche Wissen ist mehr von der Finanzkraft eines Individuums abhängig, als so manchen von uns lieb ist. Denn jemand mit genügend Mitteln kann sein Studium beträchtlich schneller durchziehen als jemand, der nebenbei noch arbeiten muss. Sollten demnächst bei reduziertem Bafög auch noch Studiengebühren erhoben werden, fallen einige Bevölkerungsgruppen ganz aus dem Bildungssystem heraus.
Es muss jedoch nicht heißen, dass alle Ressourcen vom Geldbeutel abhängig sind. Es kann durchaus auch anders herum funktionieren. Ein mittelloser Künstler kann durch seine Werke schnell Ansehen und auch Reichtum erlangen.
Auf der anderen Seite können sich die Ressourcen aber auch bekämpfen. So nutzen Gewerkschaftsverbände ihre große Gemeinschaft, um dem häufig allzu kapitalistischen Denken und rücksichtslosen Verhalten der Firmeninhaber entgegenzuwirken.
 

2.3. Macht und Prestige

Nun ist schon häufig der Begriff Prestige und der damit zusammen-hängenden Macht gefallen. Kreckel legt sehr viel Wert darauf zu sagen, dass diese beiden Faktoren nicht zu den eigentlichen Ressourcen gehören, obwohl gerade diese es sind, durch die die soziale Ungleichheit erst richtig zur Geltung kommt. Vielmehr sind Macht und Prestige ein Produkt von Reichtum Wissen und sozialen Verknüpfungen.
Auf der anderen Seite ist Prestige gerade das, was dass ganze System von Ungleichheit zu einem Großteil aufrecht erhält, da niemand es in Frage stellt. Es ist auf der Ideologie der Menschen in unserer Gesellschaft aufgebaut. Daher ist es nahezu unmöglich dieses System zu kippen. Laut Kreckel verursache dies sogar mehr Schäden, als dass es nutzen würde. Das Prestige hängt eng mit dem Selbstwertgefühl zusammen. Einen Erfolg will man auskosten, indem man sich von den anderen beglückwünschen und beneiden lässt. Ein großer Traum ist auch der Lottogewinn, obwohl so mancher auf die „reichen Geldsäcke“ schimpft. Und in der Werbung wird ein Produkt von erfolgreichen Sportlern angepriesen.
Anhand solcher Beispiele ist deutlich zu erkennen, dass das Prestige ein fester Bestandteil in der gesellschaftlichen Ordnung darstellt. Leute mit großem Prestige haben es sehr viel leichter, die Umwelt nach ihren Vorstellungen zu manipulieren, um daraus ihren Nutzen zu schlagen. Sie haben also eine größere Macht, die von den Ressourcen ausgeht und die Nutzung derselben auch noch begünstigt.
Man stellt also fest, dass das ganze System der sozialen Ungleichheit durch diese beiden Faktoren in sich verstärkt und gefestigt wird.
 

2.4. Struktur der Objektiven Ungleichheit


3. MODELL NACH BOURDIEU

Ein Unterschied von Bourdieus Modell im Vergleich mit dem seines Kollegen besteht darin, dass er die vier Ressourcen auf drei Faktoren zusammenfasst: Die Kapitalformen. Das hat zur Folge, dass das Wissen (hier: kulturelles Kapital) noch stärkeren Einfluss bekommt.
Auch die Definition von Macht und Prestige weicht im Detail ein wenig ab. Jedes der drei Kapitale bringt eine eigene Art dieser beiden Zustände hervor, die sich in der Weise ihrer Anwendung erheblich unterscheiden. Dies führt zwar auch Kreckel in seinen Überlegungen an, aber Bourdieu legt auf diese Unterscheidungen einen etwas größeren Wert.
 

3.1. Kapitalformen

Ökonomisches Kapital
Ebenso wie bei Kreckel ist dieser Grundpfeiler der sozialen Ungleichheit am deutlichsten verständlich: Er beschreibt den Reichtum eines Menschen. Hierbei wäre aber hervorzuheben, dass es sich dabei ausschließlich um materielle Werte handelt. Bei einem Gemälde zählt zum Beispiel lediglich die Versicherungssumme. Das kulturelle Gut wird unter dem nächsten Punkt eingeordnet.

Kulturelles Kapital:
a) Inkorporiertes Kulturkapital
Hiermit ist das eigentliche Wissen gemeint, dass sich ein Mensch im Laufe seines Lebens - ein Aufwand ein Zeit ist notwendig - aneignet und verinnerlicht: Allgemeinbildung, Mainieren, Verhaltensformen, Sprachgebrauch, u.s.w.

b) Objektiviertes Kulturkapital
Hierunter fallen Dinge und Gegenstände, die man mit dem Begriff Kultur in Verbindung bringt (z.B. Gemälde, Bücher, Denkmäler). Dass bedeutet aber noch nicht, dass ihr Besitzer mit dieser Kultur auch etwas anfangen kann. Neureiche hängen sich gerne einen oder mehrere Picassos in die Wohnung, um ihren Besuchern ein größeres Verständnis von  Kunst vorzugaukeln. Über das eigentliche Maß an inkorporiertem Kapital sagt dieses jedoch nichts aus.

c) Institutionalisiertes Kulturkapital
Dies sind unter anderem nun die Zeugnisse und Titel, mit denen man seinen Bildungsstand belegen kann. Aber auch sie sind lediglich ein formelles Mittel geben das Maß an inkorporiertem Kapital nur bedingt wieder. In Bezug auf die Lebenschancen haben sie vermutlich den direktesten Einfluss. Ein Doktor-Titel zum Beispiel kann für eine Person in einer Art und Weise genauso viele Türen öffnen wie ordinäres Geld.

Soziales Kapital
Dieses Kapital ist am ehesten mit Kreckels Definition von selektiver Assoziation zu vergleichen - die Zugehörigkeit einer Gruppe, um seine eigenen Chancen und Möglichkeiten zu erhöhen. Ähnlich wie bei Kreckel weist Bourdieu dabei auf eine Konzentration verschiedener Kapitale hin, die sich selbst verstärken (z.B. Verbände).
 

3.2. Der Habitus

Hierbei handelt es sich um den entscheidenden Unterschied zwischen Kreckels und Bourdieus Theorien. Sie betrifft die Anwendung der Ressourcen bzw. Kapitalformen. Während es bei Kreckel mehr eine Frage von Haben oder nicht Haben ist, sieht Bourdieu das Problem eher im Sein oder nicht Sein.
Kreckels Bezug zur Anwendung seiner Ressourcen ist von Zwang bestimmt: Hat man Geld, kann man es auch ausgeben. Bourdieu hingegen beschäftigt sich damit, wie jemand mit seinem Geld umgeht. Der Grundgedanke ist hierbei, dass ein wohlhabender Mensch sein ganzes Leben mit diesem Reichtum gelebt hat und somit auch einen ganz anderen Bezug dazu hat, als jemand, der chronisch knapp bei Kasse ist. Für den einen ist es nur Mittel zum Zweck, für den anderen bedeutet es die Existenz.
Ähnlich verhält es sich bei der Anwendung von kulturellem Kapital. Ein durchschnittlicher Arbeiter vermag in der Regel ein Gemälde von Dali nicht zu interpretieren. Wichtig ist aber zu sagen, dass er dieses Wissen in seiner Umgebung auch überhaupt nicht benötigt und folglich gar nicht auf den Gedanken kommt, ein entsprechendes Museum aufzusuchen.
Bourdieu ist sich durchaus bewusst, dass dies ein wenig klischeehaft klingt, bei Betrachtung unserer Gesellschaft trifft dies für die Mehrheit aber dennoch zu. Entscheidend ist nur, dass die Anwendung der Ressourcen oder Kapitalformen in diesem Modell im Unterbewusstsein abläuft. Jedem Individuum wird durch seine Umgebung gewisse geistliche Grenzen gesetzt, die man nur schwer überwinden kann - je länger man sich ihnen aufhält, um so schwieriger. Diese Grenzen bezeichnet Bourdieu als den Habitus. Er ist eine Ansammlung von Gewohnheiten, Lebensstilen, Umgangsformen und Ähnlichem. Während der Aufenthalt in einem äußerst noblen Restaurant den meisten Menschen als ungemütlich erscheint, gibt es aber auch Leute, für die diese steifen Verhaltensformen alltägliche Dinge und vollkommen „normal“ sind.
 

3.3. Die Grundpfeiler der Ungleichheit

4. ABSCHLUSS

Die traditionellen Klassen- und Stände-Gesellschaften von Marx und Weber haben sich im weitesten Sinne aufgelöst - darin sind sich Kreckel und Bourdieu einig. Beschrieben diese doch mehr oder weniger nur die Unterschiede im ökonomischen und finanziellen Bereich (Weber geht allerdings ein wenig darüber hinaus).
Heute jedoch verschwimmen die einst so eindeutigen Grenzen zwischen Hoch und Tief. Fast genauso entscheidend wie der Reichtum ist das Wissen und der kulturelle Standard, der mit solchem einhergeht.
Doch direkt wird der Rang in der Gesellschaft dadurch nicht unbedingt beschrieben. Erst wenn man die verliehene Macht und das Prestige richtig zu nutzen vermag, kann man daraus Profit schlagen.
Die dadurch entstehende Ungleichheit gibt es vermutlich schon, seit die Menschheit die erste Gesellschaft hervorgebracht hat. Und sie wird es auch noch in tausend Jahren geben. Nun stellt sich also die Frage: Warum gibt es allem Anschein nach nichts, was man diesem Phänomen entgegensetzen könnte?
Kreckels Ansicht nach sind es institutionelle Kräfte, die eine Angleichung innerhalb der Gesellschaft verhindern, wie der Staat. Diejenigen, die ihre Vorteile haben und somit an der Macht stehen (oder umgekehrt),  werden natürlich das genaue Gegenteil tun. Denn der Ast, auf dem man schön gemütlich sitzt, wird sich niemand absägen. Die paar Revolutionen sind lediglich aus Nachlässigkeit entstanden. Die Unterschiede zwischen den Klassen waren zu offensichtlich, als das die Betroffenen diese Zustände als selbstverständlich hinnehmen konnten.
Bourdieu hingegen sagt, dass die Menschen mit solchen Bedingungen aufwachsen und nichts anderes gewohnt sind. Sie kommen gar nicht erst auf die Idee, die herrschenden Verhältnisse zu verändern.
Noch eine weitere Meinung kommt von U. Beck. Er meint, dass die Gesellschaft durchaus für Revolutionen gut ist. Nur vor zweihundert Jahren war die Allgemeinheit zu dumm, und heute ist sie zu gespalten. Aus einem Kollegen ist ein Konkurrent geworden. Jeder arbeitet und lebt für sich alleine. Es fehlt einfach an Zusammenhang, damit ein geschlossener Widerstand organisiert werden kann.
Welche von diese drei Theorien nun eigentlich zutrifft, kann niemand mit absoluter Sicherheit sagen. Vermutlich haben sie alle irgendwo recht.
Fazit ist bloß, dass der Vulkan friedlich vor sich hin schlummert.
Doch es gibt auch Stimmen, die behaupten, dass es langsam zu brodeln beginnt. Arbeitslosigkeit macht sich breit, und das System von sozialen Absicherungen wird immer weiter beschnitten. Nun ist dabei das Problem, dass die Bildung nicht ganz so stark abnimmt, wie es die immer noch Begünstigten gerne hätten. Das soll heißen, dass diese Bewegung von der Bevölkerung nicht unentdeckt bleibt, und diese sie auch nicht so einfach hinnimmt.
Hinzu kommt, dass die Klein- und Mittelstandsunternehmen allmählich von großen Multi-Konzernen vom Markt verdrängt werden. Pessimisten sehen hier ein Aufkeimen eines modernen Feudalismus. Wenige Konzerne teilen sich die Macht und kontrollieren sogar die Politik. Der Durchschnittsbürger wird praktisch zum Leibeigenen. Allerdings wird er dies nicht allzu deutlich zu spüren bekommen wie im Mittelalter.
Ob dieses Szenario wirklich die Zukunft beschreibt, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur, dass in hundert Jahren die Gesellschaft eine andere sein wird, als die heutige. Und ebenso sicher ist, dass es viele Menschen gibt, die neidvoll zu einigen wenigen aufblicken, die das große Los gezogen haben oder genau wussten, wo es lag.

 
5. LITERATURVERZEICHNIS

Kreckel, R.: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit
In: Honneth, Joas, Offe (Hg.): Theorie und Gesellschaft (Band 25),
Frankfurt a. M.: Campus Verlag 1992

Bourdieu, P.: Praktische Vernunft - Zur Theorie des Handelns,
Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1998

Bourdieu, P.: Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital.
In: Baumgart, F. (Hg.): Theorien der Sozialisation,
Bad Heilbrunn: Klinkhard Verlag 1997

Beck, U.: Jenseits von Klasse und Schicht, Reader Text 4
(nähere Literaturangaben im Reader nicht vorhanden)
 

Zusatzinformationen:

Blumenthal, P.J.: Zieht ein neues Mittelalter herauf?
In: P.M. (Magazin), Ausgabe 11/1996, Seiten 26-31

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