Kind ist Pflicht: Der neue Migros Famigros-Club verletzt das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung

Mitte Januar startete die Migros ihren „Famigros-Club„. Im Familien-Club profitieren Mitglieder von tollen Freizeit-Angeboten und Vergünstigungen für die Familie, Preisvorteile beim Familieneinkauf und vielem mehr. „Die Mitgliedschaft ist kostenlos und kann jederzeit gekündigt werden. Einzig die ebenfalls unentgeltliche Teilnahme am Cumulus-Kundenprogramm und das kostenlose Einrichten eines M-connect-Logins sind Voraussetzungen für die Mitgliedschaft bei Famigros.“ So die Informationen auf der Famigros-Webseite.

Doch mitten im Registrierungsvorgang erscheint plötzlich der Hinweis: „Sternchen (ohne GegenstückI: Für die Anmeldung bei Famigros müssen Sie schwanger sein und/oder mindestens ein Kind haben.“ Gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen darf dieses nicht älter sein als 25 Jahre – interessant, wie lange man bei Migros Kind ist!

Ziel des Famigros-Clubs ist, „frischgebackene und erfahrene Eltern in jeder Lebensphase zu begleiten. Der gewohnte Lebensrhythmus verändert sich, als Familie haben sie plötzlich andere Bedürfnisse, neue Fragen und oft auch eine neue Budgetsituation. Famigros unterstützt Eltern mit Informationen, Tipps und vorteilhaften Angeboten rund ums Elternsein aus dem breiten Migros-Angebot. Es ist uns wichtig, beim Start ins Familienleben und während den sich stetig ändernden Phasen allen Eltern zur Seite zu stehen.“ Und es heisst: „Familien schonen […] über die Mitgliedschaft ihr Familienbudget.“

Doch auch unser Haushalt-Budget ist knapp. Und so versuchen auch wir, möglichst viel von Aktionen und reduzierten Preisen zu profitieren. Auch als bisher kinderloses Ehepaar verstehen wir uns als Familie und hätten uns eigentlich für den Famigros-Club anmelden wollen. Wir sind auch bereits bei Coop Hello Family dabei, wo das Kinderhaben keine Voraussetzung ist.

Wir haben das Gefühl, dass wir dadurch, dass die Migros Vorteile anbietet, von denen wir nicht profitieren können, diskriminiert werden bzw. dass diese Voraussetzung gegen Art. 8 der Schweizerischen Bundesverfassung verstösst. Denn diese Ungleichbehandlung hat keinen gewichtigen sachenlichen Grund. Schliesslich leben wir in einer Zeit, in der auf Gleichbehandlung immer mehr Wert gelegt wird; in der z.B. auch Mädchen am Knabenschiessen teilnehmen dürfen. So pauschal lässt sich nicht sagen, dass Familien mit Kindern beschränkte Budgets haben und deshalb Vergünstigungen bei Migros benötigen. Was sind die „neuen Bedürfnisse“ einer Familie mit einem 23-jährigen „Kind“, das eine Preisreduktion rechtfertigt? Viele Familien haben genügend Geld. Auf der anderern Seite können auch kinderlose Bevölkerungsgruppen Geldprobleme haben: Arbeitslose, Senioren, Leute mit Behinderungen. Wo ist deren Migros-Club?

Am 16. Januar 2012 schreibe ich daher der Migros, um sie mit meinen Fragen und Vorwürfen zu konfrontieren. Ich erhalte fast umgehend eine generische Antwort und Informationen, die auch bereits auf der Webseite zu lesen waren. Daher frage ich erneut nach und bitte um Beantwortung meiner Fragen. Nicht mehr ganz so rasch schreibt mir Frau Harringer zurück. Leider geht auch sie mit keinem Wort auf meine Fragen ein, sondern pickt sich meine Bemerkung der „Leute mit Behinderungen“ heraus und listet haarklein auf, was Migros bereits jetzt für diese Bevölkerungsgruppe tut. Dies beeindruckt mich wenig. Vieles davon ist gesetzlich vorgeschrieben und muss damit sowieso gemacht werden. Ausserdem ist bekannt, dass in den Migros-Filialen jeweils nur 1-2 Kassen rollstuhlgängig sind, während bei Coop Leute im Rollstuhl wie alle übrigen Menschen jede Kasse benützen können – 2:0 für Coop.

Ich danke Frau Harringer trotzdem für diese Informationen und frage weiter nach: „Wenn Sie mir jetzt noch genauso ausführlich auf meine eigentliche Frage der Diskriminierung Ihrer Kinderpflicht antworten, bin ich zufrieden. Zu diesem Zweck wiederhole ich hier meine Anliegen bzw. Fragen:

  • Ihre Kinderpflicht für den Beitritt zum „Famigros-Club“ verstösst gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung), da sie zu einer Ungleichbehandlung von Menschen ohne Kindern ohne ausreichendem sachlichen Grund führt. Auch dies im Gegensatz zu Coop: Coop hatte diese Problematik erkannt und lässt alle Personen bei Hello Family mitmachen, egal ob mit Kind oder ohne.
  • In welche Rechtsform ist der „Famigros-Club“ gekleidet, wenn überhaupt? Der Name lässt einen Verein gemäss den Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs vermuten. Ich habe aber eher das Gefühl, dass der „Club“ nicht selbständig besteht, sondern nur ein Konstrukt innerhalb der Migros-Genossenschaft ist. Damit verstärkt sich das Problem der Diskriminierung nur noch mehr; als Verein wäre es eher möglich gewesen, eine solche Aufnahmebedingung aufzustellen. Falls es sich doch um einen Verein handeln sollte, bitte ich um Zusendung einer Kopie der Gründungsurkunde und der Statuten. Ansonsten müsste aufgrund der Rechtsklarheit eventuell sogar ein anderer Name gewählt werden.
  • Wurden die Aufnahmebedingungen lediglich von einem Marketing-Team erarbeitet oder waren ebenfalls Juristen involviert? Falls Juristen weder bei der Ausarbeitung noch der Ãœberprüfung der Bedingungen beteiligt waren, stellt dies ein grosses Versäumnis (oder in andern Worten: einen schweren Fehler) dar. Falls Juristen mitgeschrieben haben, würden mich deren Ãœberlegungen zur Frage der fehlenden Gleichbehandlung interessieren, was in diesem Fall garantiert thematisiert wurde.

In Ihrer Antwort führen Sie aus, dass Menschen mit einer Behinderung und/oder ältere Menschen wie alle anderen behandelt und akzeptiert werden möchten. Dies gilt nicht nur für diese Personengruppen; alle Menschen wollen wie alle andern behandelt werden. Eben genau deshalb verstösst Ihr „Famigros-Club“ in meinen Augen ja auch gegen dieses von der Bundesverfassung garantierte Grundrecht der Gleichbehandlung aller Menschen.

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüssen“

Ich höre eine Woche lang nichts mehr und frage am 3. Februar nach. Frau Harringer antwortet, dass die Anfrage in der Rechtsabteilung behandelt werde und dass dies erfahrungsgemäss 10-14 Tage dauern würde.

Dass ich auch weitere eineinhalb Wochen später bzw. einen ganzen Monat nach meiner ursprünglichen Anfrage noch immer auf eine Antwort warte, lässt eigentlich nur den folgenden Schluss zu:

  • Migros hatte vor dem Start ihres Famigros-Club tatsächlich vergessen, ihr Vorhaben durch einen internen oder externen Juristen prüfen zu lassen. Ein Jurist hätte die Problematik auf jeden Fall erkannt und abgeklärt, ob dieses Angebot gegen das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verstösst oder nicht. Damit würde ein schriftlicher Bericht dazu existieren, den man mir ganz oder auszugsweise hätte weiterleiten können. Dass sich die Rechtsabteilung erst jetzt mit dieser Frage befasst, ist zu spät.
  • Dasselbe gilt für die Rechtsform. Wäre es ein „Club“ = Verein nach den Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs (ZGB), wäre dieser ordentlich gegründet worden und es würde Unterlagen dazu geben, sicher aber ein Protokoll der Vereinsversammlung mit Statuten und Vorstandsnennung, wie sie bei allen Vereinen vorgeschrieben sind. So glaube ich das kaum. Damit sind wir auch hier bei der Frage, ob diese Wecken eines falschen Anscheins nicht rechtswidrig ist (Stichwort „Täuschungsverbot“).

Ich veröffentliche nun also diesen Blogbeitrag, während ich weiterhin auf eine konkrete Antwort warte und mir weitere Schritte überlege.

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