Gangpferde: Werden Isländer zu hart angepackt?
Rittigkeitsnote für Gangpferde gefordert

Schön oder Show – die Gangpferde-Szene steht an einem Wendepunkt. Funktionäre müssen entscheiden, ob sie weiterhin spektakuläres Strampeln belohnen oder feines Reiten endlich effektiv fördern wollen.

CAV Mähne Isländer
Foto: privat

Verspannter Tölt ist wie Sahne ohne Fett – trotz viel Schaumschlägerei bleibt ein fader Beigeschmack. Das erkennen immer mehr Gangpferdefreunde und machen sich für eine bessere Ausbildung sowie feineres Reiten stark. Die International Federation of Icelandic Horse Associations (FEIF) hat 2012 zum "Year of Good and Harmonious Riding" (Jahr der guten und harmonischen Reiterei) erklärt. Hässliche Bilder von aufgerissenen Mäulern, durchgedrückten Rücken und panischen Augen im Isländer-Sport oder gequälte Tennessee Walking Horses, deren verzerrte Bewegungen an hölzerne Marionetten erinnern, will niemand mehr sehen.

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Wirklich niemand? Bei vielen Gangturnieren jubeln die Zuschauer immer noch am lautesten, wenn verängstigte Tiere schier um ihr Leben strampeln. Und Richter belohnen solche Vorstellungen regelmäßig mit hohen Wertnoten. Ebenso wie im Warmblutsport fehlt den Funktionären der klare Wille, ihren Sport schnell pferdefreundlicher zu machen.

Zwei aktuelle Entwicklungen illustrieren die herrschende Schizophrenie: Während sich Trainer der in Deutschland ansässigen Internationalen Gangpferde Vereinigung (IGV) für eine spezielle Rittigkeitsnote bei ihren Turnieren einsetzen, fördert der Islandpferde-Reiterund Züchterverband Deutschland (IPZV) eine Prüfungsform, in der es keine Rolle mehr spielt, wie ein Pferd geritten wird, solange es nur schön töltet oder Rennpass läuft.

Neue Islandpferde-Prüfung des IPZV?

Diese neue Islandpferde-Prüfung des IPZV ist eigentlich eine alte. Das Gæðingakeppni wurde auf der Nordmeerinsel vor etwa 50 Jahren erfunden, um die besten isländischen Reitpferde zu ermitteln. Hierzulande geht es offenbar um etwas anderes. "Dem Zuschauer werden fliegende Hufe, wehende Mähnen und Gangarten wie Tölt und Pass in Perfektion und vor allem Schnelligkeit dargeboten", jubelt der Verband in seiner Pressemitteilung zum neuen Wettbewerb.

Was sich die IPZV-ler von der Prüfung versprechen, liest sich wie folgt: "Im Vordergrund des Wettkampfes steht vornehmlich das Pferd und seine Qualitäten, während der Reiter und dessen Stil eine untergeordnete Rolle spielen. Auch der Charakter und Ausstrahlung des Pferdes sind wichtig. Reiterliche Fehler hingegen werden auf dem Gæðingakeppni eher toleriert als in den Sportprüfungen. Die freie und einfache Form des Wettbewerbs erlaubt es selbst weniger geübten Reitern, gut vorwärts gehende Pferde unter sich vorzustellen."

Das klingt vor allem nach Show. Und die ist selten besonders pferdefreundlich. Wie stellen die Veranstalter sicher, dass Reiter ihre Freiheit nicht ausnutzen? Oder wird kräftiges Zulangen im Sattel wissentlich in Kauf genommen, solange die Pferde nur schnell und spektakulär genug um die Bahn sausen?

Der IPZV sieht da keine Gefahr: "Beim Gæðingakeppni wird intensiv auf das Wohlergehen des Pferds geachtet. Schlechtes, grobes oder unharmonisches Reiten bringt auch bei den Gæðingakeppni-Wettbewerben keinen Erfolg", erklärt Charlotte Erdmann, Pressesprecherin des IPZV. Die Prüfungsordnung verbiete Gerte, Sporen sowie Hilfszügel und fordere ausdrücklich leichte, elastische und freie Bewegungen. Alles, was die Geschmeidigkeit und die freie Art des Pferds beeinträchtige, wie etwa eine übertriebene Beinaktion, die nicht mit den anderen Bewegungen des Pferds zusammenspiele, werde negativ bewertet.

CAV Standpunkt Gangpferde 2
Lisa Rädlein
Eine Islandkandare mit Sperrriemen ist brutal. Sie wird nur nötig, wenn gestresste Pferde ängstlich flüchten.

Wer trägt Verantwortung für den Gangpferdesport?

Die Verantwortung liegt also bei den Richtern. Bei den Leuten, die verspannt flüchtende Strampler nach wie vor bevorzugen. Und dass, obwohl auch in den Prüfungsordnungen der klassischen Sportwettbewerbe nichts davon steht, dass ein guter Tölter mit angstgeweiteten Augen und eingeklemmtem Schweif seine Runden ziehen soll. Können solche Richter den Stress dieser Pferde nicht erkennen, oder wollen sie es nicht?

"Man müsste sie zwingen, genau hinzusehen", dachten sich Gangpferdetrainerin Andrea Jänisch, Biomechaniker Gerd Heuschmann und der isländische Ausbilder Einar Öder Magnússon. Der Vorschlag des Trios: Die Mykt-Note soll Rittigkeit und Losgelassenheit beim Turnier separat bewerten.

Mykt (sprich: micht) ist isländisch und bezeichnet ein bequemes, elastisches, balanciertes, gehorsames und dennoch dynamisches Reitpferd. "Für jede gute Turnier-Note muss ein Pferd eigentlich mykt sein", sagt Einar Öder Magnússon. Das gilt aus seiner Sicht ganz besonders für das Gæðingakeppni. "Hier wird ein besonders gutes Reitpferd gesucht. Deshalb muss die Rittigkeit absolut im Vordergrund stehen."

Der frühere Team-Coach der isländischen Sportreiter sieht aber, dass viele Richterurteile diesen Faktor zugunsten spektakulärer Bewegungen vernachlässigen. "Die Spezialnote soll ausschließlich bewerten, wie gut sich das Pferd mit positiver Spannung durch den ganzen Körper bewegt und wie locker es ist. Das könnte dazu führen, dass mehr gutes Reiten belohnt wird und weniger die verspannte Show."

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Christiane Slawik
Alle Gangpferde lassen sich locker reiten. Aber nicht alle können ihren Rücken perfekt aufwölben. Naturtölter wie dieses American Saddlebred mit seinem tiefen Rücken und dem flachen Becken haben besondere Schwierigkeiten, das Dressurideal zu erreichen.

Gangpferde anders trainieren und reiten

Wie eine Note dafür sorgen kann, dass Reiter ihre Pferde anders trainieren und vorstellen, hat Einar Öder Magnússon selbst erlebt: "Vor 30 Jahren gab es in Island noch eine separate Takt-Note. Die Reiter haben den Takt ihrer Pferde damals viel ernster genommen. Heute ist er nur noch einer von vielen Faktoren in der Gesamtnote." Für Turnierergebnisse, die korrekte Arbeit belohnen, aber Druck und Pfusch im Sattel bestrafen, muss sich die nationale und internationale Richtkultur ändern. "Richter müssen nicht nur ihr Notenspektrum beherrschen, sondern sich auch fachlich hervorragend auskennen und zudem ehrlich sein", sagt Einar Öder Magnússon.

Solange von korrektem Reiten nur geredet wird, während Showstrampler absahnen, bleibt seiner Ansicht nach alles beim Alten. "Die Mykt-Note könnte jedoch dazu beitragen, dass Richter und Reiter beginnen, ihre schönen Worte in Taten umzusetzen."

Einar Öder Magnússon unterstützt deshalb Andrea Jänischs Initiative, die Mykt-Note in der Prüfungsordnung der Internationalen Gangpferde Vereinigung zu verankern. Ob das so schnell geht, wie sich die drei Initiatoren wünschen, ist allerdings noch nicht sicher.

CAV Standpunkt Gangpferde 4
Lisa Rädlein
Gang-Variationen: Dass Dressur dem Tölt schadet, ist ein Märchen, das schon viele Ausbilder widerlegt haben. Andrea Jänisch töltet mit einem Paso Iberoamericano ganz locker über eine Wiese.

Ideen und Impulse für den Gangpferdesport

Kritiker im Verband empfinden den Vorschlag als wenig ausgereift. Ihnen fehlen vor allem konkrete Ideen zur praktischen Umsetzung. Welche harten Kriterien definieren "mykt"? Welches Gewicht bekommt die Note? Wer schult die Richter? Wie kann die Beurteilung an die Eigenheiten verschiedener Gangpferderassen angepasst werden?

"Außerdem wurden Ausbilder, die schon seit Jahren für eine pferdegerechte und auf klassischen Prinzipien basierende Ausbildung von Gangpferden kämpfen, von den Initiatoren nicht im Vorfeld über die Idee informiert oder in die Planung einbezogen", bedauert Stephan Vierhaus, Gangpferdetrainer aus dem nordrhein-westfälischen Borken und stellvertretender IGV-Vorsitzender.

Bleibt zu hoffen, dass sich die IGV-Trainer bald einigen. Ihr Verband hat die historische Chance, in Sachen pferdefreundlicher Gangpferdeausbildung ein klares Zeichen zu setzen.

Die neue Note würde demonstrieren, dass lockere Gangpferde nicht nur ein theoretisches Ideal sind, sondern auch ganz real auf dem Prüfungsplatz gefordert werden. Sie würde die IGV in Sachen Pferdeschutz auf Turnieren zum Vorreiter machen. Denn bisher ist trotz gegenteiliger Beteuerungen noch bei keinem Pferdesportverband in Deutschland viel passiert. Das belegen die jährlich wiederkehrenden Szenen auf den Abreite- und Prüfungsplätzen der Republik – in jeder Disziplin.

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Christiane Slawik
Ballenschoner gibt es blank, aber auch mit Zusatzgewichten für mehr Beinaktion.
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Erscheinungsdatum 23.04.2024