Buchtipp: Lernlust. Worauf es im Leben wirklich ankommt. Von Gerald Hüther und Peter M. Endres

Um Texte, in denen selbsternannte Heilsbringer ihre Weisheiten verbreiten, mache ich gewöhnlich einen grossen Bogen. Das hier rezenzierte Buch „Lernlust…“ gehört in eine andere Kategorie. Natürlich neigt der hier bereits besprochene Gerald Hüther zum Dozieren. Und  der Unternehmer Peter M. Endres sieht sich als wichtigsten Steuermann an Bord. Durch die Form des Dialogs, offenbart sich der Text als „Kaminfeuergespräch“, zu dem sich jeder, der dabei war, eine Meinung bilden darf.

Bildschirmfoto 2014-01-27 um 22.17.28Um was geht’s?

Zwischen den beiden Buchdeckeln trifft der engagierte Gerhirnforscher auf den Manager, der während zwanzig Jahren einen namhaften deutschen Versicherungskonzern führte. Das Buch gliedert sich wie ein Lehrbuchtext der neueren Sorte, in dem jedes Kapitel mit einer Erkenntnis startet und sich anschliessend in vier Unterkapitel teilt, bevor ein praktisches Beispiel aufzeigt, wie diese neuen Gedanken bereits erfolgreich erprobt werden.

Besonders beeindruckend fand ich das Beispiel der sogenannten „Sprachbotschafter“. Dabei handelt es sich in der Regel um ältere Schülerinnen und Schüler, die Jüngeren in Deutsch oder Mathe helfen oder diese auch sonst beim Lernen unterstützen. Zielgruppe sind vor allem Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache kennen.

Das Projekt zeigt: Jeder profitiert vom anderen, das heisst die Älteren lernen, wie es ist, etwas zu lehren. Und die Jüngeren entdecken, wie viel Spaß es plötzlich machen kann, diese schwere Sprache zu verstehen. Außerdem lernen ungefähr gleichaltrige Schüler untereinander einfach besser.

Da ich in der Schweiz im Bildungsbereich arbeite, in einem Land mit einer grossen Sprachenvielfalt (was für viele Migrantenfamilien eine enorme Herausforderung bedeutet), hat mich dieser Zugang besonders beeindruckt.

Fazit: Bildungsarbeit ist letztlich Beziehungsarbeit. Aber auch in der Führung und im Management geht es darum, Menschen empathisch zu begegnen und als Subjekte und nicht als Funktionsträger zu behandeln. Diese Grunderkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, dem ich eine offene und interessierte Leserschaft wünsche.

4 Gedanken zu „Buchtipp: Lernlust. Worauf es im Leben wirklich ankommt. Von Gerald Hüther und Peter M. Endres

  1. Danke für diesen Buchtipp. Ich denke die Globalisierung führt auch zu einem Verständnis anderer Kulturen und einem Abgleich mit den Notwendigkeiten einer gerechten Welt. Immer mehr Menschen realisieren, dass dieser überdehnte Konsum keinen Sinn stiftet und die ökologischen Systeme gefährdet. Diese Menschen verweigern sich dem „Immer-Mehr“ und fragen sich: Was ist wirklich wichtig, wie gelange ich zu innerem Wachstum, Glück und Zufriedenheit?

    Ich teile auch ihre Zwischen den Zeilen fassbare Sicht, dass die Schule zu kopflastig, zu stark auf Wissensvermittlung ausgerichtet unterwegs ist. Lehrpersonen sollten in Zukunft stärker auch emotionale Erfahrungen ermöglichen und emotionale Intelligenz, sowie die Erfahrungen der Lernenden berücksichtigen.

    Thomas Rösler

    • Sie geben mir das Stichwort: „Die Erfahrungen der Lernenden berücksichtigen“. Ich erachte dies Vorgehensweise für erfolgreiche Lernprozesse in der Erwachsenenbildung als sehr bedeutsam: Gerade Erwachsene wollen sich mitsamt ihrer Lerbiographie einbringen können und akzeptieren neue Lerninhalte nur dann, wenn sie diese an bisheriges Wissen oder eben persönliche Erfahrungen „andocken“ können.
      Gefragt sind folglich kompetente Lehrpersonen, die über eine hohe „Vermittlungskompetenz“ verfügen, um von der „Sachlogik der Inhalte“ eine Brücke zur „Psychologik der Lernenden“ (frei nach H. Siebert) bauen zu können.
      Herzlich Ihr Yvo Wüest

  2. Die neurobiologische Perspektive von Hüter ist spannend: Er sagt, es gelte den Fokus darauf zu richten, bestimmte Inhalte für Kinder oder generell für Lernende mit Bedeutsamkeit aufzuladen und so die Faszination dieser Kinder oder Erwachsenen für Themen und bestimmte Fähigkeiten zu wecken.
    In einem geschlossenen Klassenraum gelingt dies allerdings kaum. Hüther forderte daher ein Umdenken bezüglich struktureller Rahmenbedingungen der Schule und schlagt auch vor, dass Lehrpersonen „Potenzialentwicklungscoaches“ sein sollten. Was ist die Aufgabe eines solchen Coaches? Er oder sie müsste jeden Einzelnen in seiner Einzigartigkeit und mit seiner Entdeckerlust wahrnehmen und gleichzeitig ein individuell positiv empfundenes Gruppenbewusstsein initiieren.

    Hüther sagt auch, es sei für Kinder und Erwachsene förderlich, wenn ihnen bewusst werde, dass sie mit ihren Talenten nicht am Rande der Gruppe oder der Gesellschaft stehen, sondern ein wertvoller Teil dieser sind, indem sie ihre Stärken zum Wohle aller einbringen.

    Eigentlich spricht er damit eine veränderte Beziehungs- und Gemeinschaftskultur an. Statt uns von den Herrschenden Kräften spalten und auseinander dividieren zu lassen, geht es darum, Gemeinschaftlichkeit zu entwickeln und als Gesellschaft (und letztlich Menschheit) einen Entwicklungsschritt, hin zu mehr Empathie und mehr Solidarität, statt Wettbewerb und Ausschluss zu initiieren.

    Ich bin nicht überall mit Herrn Hüther einverstanden, finde aber seinen Ansatz interessant, da er eine längst fällige Debatte angestossen hat. Ihnen vielen Dank für diesen interessanten Beitrag.

    T. Straubhaar

  3. Gerald Hüther ist ein Geschenk des Himmels…kein Wunder, dass er in Deutschland viele Neider hat und zahlreichen Angriffen ausgesetzt ist. Statt Gehirnlappen, tragen viele meiner Landsleute einen „Jammerlappen“ zwischen den Ohren eingeklemmt!

    Robert Wegener

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