Blick vom Pilatus auf den Vierwaldstättersee, Zugersee, Rigi, Bürgenstock und die Urneralpen. Foto: Gaberell, um 1895.
Magischer Pilatussee

Sagenhaftes vom Pilatussee

Wuotan auf dem Pilatus?

Von Pilatusdrachen


Der vermoorte Pilatussee um 1910.
Über den Pilatussee

Von Prof. Elard Hugo Meyer.

Die stilleren Seen, die zuzeiten so unruhig und wild werden können, haben ihre eigenen Elfenmythen. Lässt man ein flaches Steinchen über ihre Fläche hintanzen, so löst man Bräutle oder Wassermännchen, als ob dadurch die darüber schwebenden Wassergeister von ihrem Element gelöst würden. Viele Schweizer und deutsche Seen dürfen aber nicht durch Steinwürfe beunruhigt werden. Sie erregen im Schwarzwälder Mummelsee den Zorn der Seemuhme, sodass Unwetter losbricht, und zornig erweist der Mummelsee sich auch in der etwas unklaren Erzählung des Simplicissimus 5,16, nach der ein Wassermännlein darin seine geraubte Gemahlin sucht. Es kommt aber nicht wieder zum Vorschein. Nur sein Stecken mit einer Handvoll Blut springt nach einiger Zeit ein paar Fuß hoch in die Luft. Aber der berüchtigtste See ist doch der am Pilatusberg bei Luzern gelegene Oberalpsee, dessen Sage erst im 13. Jahrhundert mit der Pilatuslegende verknüpft ist. Bald watete, übrigens mehr nach Riesenart, der Unhold in diesem See, dass er überströmte und seine Wasser ins Tal ergoss, bald stürmte er durch das Gebirge, jagte Hirten und Herden auseinander und stürzte sie in die Abgründe. Namentlich wenn man in der Nähe des Sees lärmte, Steine hineinwarf oder gar seine Tiefe ausmessen wollte.

Der Zutritt zu dem See und selbst der Besuch des Berges waren verboten; wegen versuchter Besteigung wurden 1387 sechs Geistliche zu Luzern ins Gefängnis geworfen und selbst der Herzog Ulrich von Württemberg und 1555 der berühmte Konrad Gesner wurden nur unter Aufsicht und dem Versprechen, nichts in den See hineinwerfen zu wollen, hinaufgelassen. Noch im vorigen Jahrhundert (im 19. Jh.) sprachen die Sennen bei Sonnenuntergang durch die 'Volle', den Milchtrichter, einen feierlichen Segen gegen den Unhold und wurden dafür mit dem sogenannten Rufkäse belohnt.

Aus: Elard Hugo Meyer, Mythologie der Germanen, Straßburg 1903

Top


Die Pilatusregion mit dem Oberalpgebiet und der Lage des früheren Pilatussees (roter Kreis) auf einer Karte von 1912. Für eine vergrößerte Kartenansicht die Abbildung anklicken.
Anmerkungen zum Pilatussee

Die Verehrung von Gewässern ist nicht allein ein Kennzeichen von Naturreligionen. In Quellen, Seen und Strömen erkannten unsere Vorfahren Aufenthaltsorte von Göttern und guten wie bösen Geistern. Solche Wassergeister verursachten umso mehr Angst und Schrecken, wenn von ihrem vermeintlichen Aufenthaltsort eine zerstörerische Wirkung ausging: plötzliches Anschwellen von Bächen und verheerende Überschwemmungen. Nirgends sind solche Ereignisse beängstigender als in Gebirgsregionen, wo der Donner mächtiger grollt als über dem flachen Land und Fluten mit Schlammlawinen mit brachialer Urgewalt und Getöse zu Tal stürzen und dabei alles niederwalzen.

Vielerorts legte man bei Quellen und Seen Opfergaben für die Wassergeister nieder: Kuchen und andere Lebensmittel, Wachs, Stoffe, oder man schlachtete am Ufer Tiere. Nicht nur aus den Mooren Norddeutschlands und Skandinaviens, sondern auch vom dämonischen See bei Norcia im Apennin sind Menschenopfer bekannt. Solche Gaben sollten Götter und Wassergeister günstig stimmen. Umgekehrt war die Meinung verbreitet, dass durch verärgerte oder gereizte Wassergeister Unwetter und Wasserschäden hervorgerufen würden.

Auch nach der Christianisierung hielten die Menschen hartnäckig an ihren altgewohnten Ritualen und Gebräuchen fest. In der Masse des Volkes herrschte noch lange Zeit ein christlich gefärbtes Heidentum. Burchard von Worms (um 965 - 1025) sprach von alten heidnischen Traditionen, die an die folgenden Generationen weitervererbt wurden. Trotz strenger kirchlicher Verbote und unter Androhung von Strafen wurden heilige Steine, Quellen und Bäume noch weit über das 14. Jahrhundert hinaus verehrt, man legte dort Opfer nieder und sprach die alten Segen wie zuvor.

Der Glaube an die Möglichkeit der Wetterbeeinflussung war ein solcher Aberglaube, der weit in die Heidenzeit zurückreicht und der sich im Volk hartnäckig bis in die Neuzeit hielt. Noch im 18. Jahrhundert wurden in Deutschland Menschen der Hexerei angeklagt, weil man sie bezichtigte, sie hätten mit magischen Ritualen heftige Unwetter herbeigezaubert und dadurch Unglück über andere Menschen gebracht. Im Grunde hat sich der Glaube, man könne Wetter durch religiöse Riten beeinflussen, bis in die heutige Zeit erhalten. Noch immer werden Wetterkreuze aufgestellt und Feldprozessionen durchgeführt, um die kommende Ernte vor Unwetter und Vernichtung zu bewahren. Und so ist es nicht verwunderlich, dass man auch in christlichen Jahrhunderten, als der Glaube an die Wassergeister längst unterdrückt war, ungewöhnlich große oder häufig auftretende Flutkatastrophen mit Geistern und dämonisierten Göttern in Verbindung brachte.

Der moderne, durch langfristige Wetterprognosen verwöhnte Mensch weiß heute physikalische Zusammenhänge zu deuten und glaubt, Naturereignisse mit seinem erlernten Wissen erklären zu können. Dies befähigt uns, rechtzeitig Schutzvorkehrungen vor Unwetterkatastrophen treffen zu können. Unsere Ahnen sahen in Unwettern und Flutkatastrophen die unabwendbare Willkür der Götter, der sie sich schutzlos ausgeliefert fühlten.

Einzeln stehende Berge wie das Pilatus-Massiv sind Wolkensammler. Diese wurden von den Bewohnern der Gegend stets aufmerksam beobachtet, denn an den Wolkenbildungen um ihre Gipfel ließ sich kommendes Wetter kurzfristig voraussagen. Darüber hinaus zeichneten sich solche Gebirge durch häufige und besonders heftige Gewitter aus, die ein ungestümes Anschwellen ihrer Bergbäche und Überschwemmungen zur Folge hatten. Befand sich auf einem solchen Berg in wilder Umgegend auch noch ein scheinbar unergründlicher See mit düsterem, moorigem Wasser, der für die Menschen mit der Unterwelt in Verbindung zu stehen schien, ließen sich herabstürzende Bergströme nur mit dem Wirken von dort ansässigen Wassergeistern erklären.

Der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat, der gerne als Begründer der Schweizer Volkskunde genannt wird, beschreibt 1594 eindrücklich die Ängste der Menschen vor dem kleinen Bergsee. Die Sage von diesem Gewitter erregenden, dämonischen See sei die älteste und charakteristischste Sage dieses Berges. Seit dem Altertum sei man der festen Überzeugung gewesen, dass sofort fürchterliche Unwetter aus dem schwarzen Seelein in der Oberalp am Frakmont entstünden und die Bergbäche das Land überfluteten, sobald jemand auf frevelhafte oder mutwillige Weise irgendetwas - seien es Steine, Holz oder Erde - in den See warf . Dies sei wiederholt vorgekommen, so Cysat.

Ein solcher Volksglauben lässt sich auch für viele andere Seen nachweisen, besonders wenn diese hoch oben in den Bergen liegen. Erst viel später, so Cysat, sei die Pontius-Pilatus-Sage in die Region vorgedrungen und sei mit dem Bergsee verknüpft worden. Man kann dabei nicht ausschließen, dass diese Sage bewusst ausgestreut worden ist, um noch bestehende Relikte des alten Glaubens in einen christlichen Kontext zu stellen und mit einer biblischen Figur zu besetzen. Cysat gibt den Hinweis, dass die Pilatuslegende tatsächlich als Import einer "weitberühmten fremden Sage" durch Reisende aus fernen Ländern und fahrende Schüler in diese Region gelangt sei, die "vil handels und zugangs zu diesem berg gehept". Nach Cysat waren auch die übrigen Sagen vom Pilatusgeist, sein Erscheinen am Karfreitagmittag auf dem Richterstuhl und andere dem Volk durch fremde Reisende 'eingebildet' worden. "Solches habe dann der gemeine Mann und das einfältige Volk so stark gefasset, dass es sich diesen Wahn dermaßen eingebildet, dass er nit mehr uszereden gewesen."

Das Zeitfenster, in dem die Pontius-Pilatus-Sage mit dem damals noch Frakmont genannten Bergmassiv verknüpft wurde, deckt sich mit der Epoche des zunehmenden Handels über den Gotthardpass und damit auch mit der Epoche der aufstrebenden Entwicklung des städtischen Gemeinwesens von Luzern um 1200 - 1300. In diese Zeit fällt ebenfalls die Gründung des dortigen Franziskanerklosters.

Doch wie konnte der römische Statthalter von Judäa, Pontius Pilatus, Namensgeber des kleinen Bergsees und damit des ganzen Bergmassivs am Vierwaldstätter See werden? Der historische Pontius Pilatus hatte das Amt eines römischen Prokurators im Jahre 26 von Valerius Gratus übernommen. Nach der Kreuzigung Christi hatte der Landpfleger wiederholt durch sein gewaltsames Vorgehen, z.B. auf dem Berg Garizim in Jerusalem, Unruhen unter der jüdischen Bevölkerung ausgelöst. Deshalb wurde er anno 36 verklagt und zur Verantwortung nach Rom berufen. Im Jahr 38 wurde in Jerusalem sein Nachfolger Marcellus als Landpfleger eingesetzt. - So weit die historischen Fakten.

Schon sehr früh entstand die Sage, Pontius Pilatus habe ein unrühmliches Ende genommen. Einige Überlieferungen berichten, er sei vom römischen Kaiser verurteilt worden, andere behaupten, er habe sich das Leben genommen. Sedulius Scotus schreibt um 868, Pontius Pilatus sei in die Verbannung geschickt worden. Tatsächlich sollen in der in Frage kommenden Zeit zwei jüdische Fürsten in das Rhonegebiet verbannt worden sein. Nachdem Erzbischof Ado von Vienne (799 – 875) in seiner Weltchronik Pontius Pilatus mit Archelaus verwechselt hatte und Pontius Pilatus in Vienne in Verbannung leben ließ, setzte sich die Meinung fest, Pilatus habe tatsächlich die Zeit seiner Verbannung in Vienne verbracht und sich dort das Leben genommen. Um das Jahr 1050 hatte die Sage bereits jene Merkmale erhalten, mit denen sie uns heute vorliegt. Eine viel kopierte Pergamenthandschrift aus jener Zeit berichtet bereits davon, dass Pilatus' Leichnam in einen nicht näher beschriebenen Alpenpfuhl - einige der ersten Schriften sprechen auch von einem Seelein im Septimergebiet - geworfen worden sei. Bei diesem See soll es bereits ausgereicht haben, nur den Namen des in Ungnade gefallenen Statthalters auszusprechen, um heftigste Erdbeben und furchtbare Unwetter heraufzubeschwören. Bald darauf wurde Pilatus' letzte Ruhestätte in verschiedenen anderen Gewässern lokalisiert. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts nannte man den oberen Lauf des Inn zwischen Silersee und dem Bergsee Lago di Lunghino 'aqua di pila'. Wieder andere Texte verbinden die Pilatus-Sage mit einem kleinen See, der sich auf einem nicht mit Sicherheit zu identifizierenden Berg namens Toricanius befinden soll. Auch wurde ein See im Bavonatal im Kanton Tessin oder der Jochersee auf dem Vigilijoch als nasses Pilatusgrab genannt. Bekannt wurde ebenso die Lokalisierung des Pilatusgrabs im See bei Norcia im Apennin. Diesem See wurde früher in jedem Jahr ein Menschenopfer gebracht, in der Regel war es ein Verbrecher. Hierhin hätten Teufel die Leiche des Pilatus auf einem von Ochsen oder Büffeln gezogenen Wagen geführt und dann im See versenkt. Doch alle diese und noch einige andere in Frage kommende Seen liegen, im Gegensatz zu der schwarzen Moorlache auf dem Frakmont, ziemlich weltabgelegen und konnten dadurch ihre Rolle als Pilatusgrab nicht lange halten.

Schriftsteller des 13. Jahrhunderts hatten den gruselig-frommen Legendenstoff gerne in ihre literarischen Werke aufgenommen und damit für dessen großflächige Verbreitung gesorgt. In der Regel wurde hierbei auf eine Lagebeschreibung des 'Bergpfuhls' verzichtet. In der 'Sammlung meist ganz ungeschichtlicher und zum Teil abenteuerlicher Heiligenleben' des Dominikanermönchs Jakob von Varazze bei Genua lautet die Pilatussage in Kurzfassung wie folgt: Kaiser Tiberius litt an einer unheilbaren Krankheit. Da berichtete man ihm, dass in Jerusalem ein weiser Arzt praktizierte, der Kranke von ihrem Siechtum befreien und heilen könne. Dieser Arzt, von dem Kaiser Tiberius auch für sich Heilung erhoffte, hieß Jesus Christus. Christus war jedoch von Pilatus an die Juden ausgeliefert worden und diese hatten ihn am Kreuz hingerichtet. Da erzürnte der Kaiser und berief den Landpfleger nach Rom. Doch jedes Mal, wenn der Bösewicht vor den Kaiser zitiert wurde, war Tiberius auf unerklärliche Weise milde gestimmt. Pilatus trug nämlich ein Stück von der Kleidung Christi unter seinem Gewand. Nachdem ihm der Stofffetzen abgenommen worden war, wurde der Kaiser wieder zornig über Pilatus und ließ ihn in Ketten werfen. Pilatus stach sich daraufhin ein Messer in die Kehle. Sein Leichnam wurde kurzerhand im Tiber versenkt. Darauf begann es über dem Fluss zu donnern und zu blitzen und es traten in dem Gebiet schwere Hagelschauer und Unwetter auf. Man zog die Leiche daraufhin wieder aus der Tiefe und warf sie bei Vienne in die Rhone. Nachdem sein Leichnam auch hier und später bei Lausanne schreckliche Stürme hervorgerufen hatte, sei er endlich in einen abgelegenen Alpenpfuhl geworfen worden, von wo er noch immer durch Stürme und Unwetter Angst und Schrecken verbreite. Diese Sagenvariante des Dominikanermönchs wurde auf den kleinen Moorsee auf der Oberalp des Frakmont-Massivs projiziert, wodurch der See, und von diesem der gesamte Berg, seinen heutigen Namen erhielt.

Alljährlich am Karfreitag, wenn die Passion in den Kirchen gepredigt wird, könne man den Bösewicht inmitten des Sees in einem Sessel sitzend sehen. Er habe wallendes, taubengraues Haar und einen Bart und sei mit einem purpurnem Richterornat angetan. Wer ihn in dieser Zeit schauen würde, müsse innerhalb Jahresfrist sterben. Bei diesen Todesandrohungen ist es kein Wunder, dass bis heute niemand die Aussage des Dominikanermönchs Jakob von Varazze überprüfen und Pilatus am Karfreitag in seiner letzten Ruhestätte im Sessel sitzend beobachten wollte.

"Weit verbreitet ist die Sage, dass man gewisse Seen nicht beunruhigen darf, weil sie sonst zu stürmen anfangen, austreten und die Umgegend verheeren oder aber Gewitter und Stürme hervorrufen. Wie Liebrecht (Otia imperialia 148) ganz richtig bemerkt, verdanken diese Traditionen oft dem Umstande, dass man durch eigentümliche Bräuche Regen zu bewirken suchte, ihre Entstehung und namentlich möchte diese in der Schweiz in Hinsicht auf die Sage vom Pilatussee der Fall sein."

Heinrich Runge, Der Quellkultus in der Schweiz, 1859

Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts war die Senke der Oberalp mit starkstämmigem Föhren- und Kiefernwald bewachsen. Im Schatten der vom Sturm zerzausten Bäume lag der dunkelgründige kleine Moorsee von etwa 30 x 80 m Ausdehnung. Nahe dabei befanden sich zwei weitere finstere Teiche. In diesem feuchten und räumlich begrenzten Bergrevier waberten häufig graue Nebelschwaden und ließen die Gegend sehr gespenstisch erscheinen. Die ersten Menschen, die in diese verwunschene Hochregion vordrangen, waren vermutlich Hirten und Jäger. Es wird zwangsläufig häufig vorgekommen sein, dass sich nach einem Besuch des Sees heftige Gewitter entluden, welche man dann mit dem schwarzen See in Verbindung brachte.

Magister Hämmerlin, der den See um 1447 aufsuchte, beschrieb ihn wie folgt: "Drei andere Seen befinden sich auf dem Rücken des Berges, der eine darunter ist fast von rundlicher Form, ungefähr in der Ausdehnung einer Jucharte, und wird gemeinhin Pilatussee genannt. Die Fähigkeit, Stürme zu erzeugen, wird ihm seit Menschengedenken zugeschrieben. Wer schweigend an den See herantritt und das Wasser weder durch Worte noch durch Taten aufreizt, kann ungeschoren weiterziehen. Wenn man aber Worte ausspricht, besonders aber wenn 'Pilatus' gerufen wird, wenn man auch nur das Geringste ins Wasser wirft, oder dieses berührt oder bewegt, so wird alsbald bei heiterstem Himmel der größte Sturm entstehen. Unerträgliche Hagel- und Unwetter werden einsetzen und die anliegenden Länder verheeren. Wiederholt sind die benachbarten Gebiete, Matten und Felder und viele Teile der Stadt Luzern verwüstet worden. Aber wenn ein Kind, ein Pferd oder ein anderes Tier den See betritt, entsteht daraus kein Unheil."

Schon sehr früh galt deshalb für die Allgemeinheit ein ausdrückliches Verbot, diesen Bergteil aufzusuchen. Eine Handschrift aus dem Jahr 1433 berichtet von Wächtern, die Besucher fernhalten sollten: "Man hat Hüter darzuo gesetzet, die sullent beschirmen, das nyeman dem wasser genahe, noch ichzit daryn werfe ..." Nicht der Besuch des Berges in seiner Gesamtheit war von diesem Verbot betroffen, sondern lediglich das Aufsuchen der Oberalp und des Sees war verboten. Ausgenommen hiervon waren lediglich einige Hirten, die dort Alpwirtschaft betrieben und all jene, die vorher eine ausdrückliche Erlaubnis für den Besuch eingeholt hatten. Den Sennen und Hirtenknaben wurde der Eid abgenommen, dass sie bei Androhung einer Strafe "gar niemandt uff den Berg, noch zum See oder Kreis wandeln lassen, denen syge dann, so dahin gahn wellend, daselbig erloubt von eim herrn schultheiß und rat der statt Luzern, und das selbig, so dahin wend, gnuogsame wortzeichen bringen von eim schultheiß zuo Luzern."

Im 14. Jahrhundert wurde eine Gruppe von sechs Priestern gefangen genommen und eingekerkert, die sich ohne Genehmigung zum Bergsee aufgemacht hatten. Renward Cysat schreibt: "Anno 1387 gieng ein gesellschaft von priestern us der statt uff Pylatiberg, der meinung uff den Spitz desselbigen bergs und zum elbigen sew ze gand, dahin sy doch nit kament. Das volk war unrüewig von wegen daß sich das wetter verendret, bracht derwegen so viel zuwegen, daß sie in gefangenschaft dorumb gelegt wurden." Noch im Jahr 1564 waren zwei Männer in den Turm geworfen worden, die unerlaubterweise den See besucht hatten, während kurze Zeit darauf ein heftiges Gewitter über die Krienser Region hinwegzog. 1584 wurde das Verbot, den See aufzusuchen aufgehoben, nachdem es schon seit einiger Zeit nicht mehr mit aller Strenge durchgesetzt worden war. Der mittlerweile recht häufige Besuch Neugieriger auf der Oberalp hatte wohl zur Genüge bewiesen, dass die alte Angst vor dem See unbegründet sei. Das Abgrabungsdekret spricht davon, dass mehrmals "fürnehme und hocherfahrte, gelehrte lüt, geistlichs und weltlichs stands, die sachen selbs erfahren, daß es ytel fabel und wahn".

1885 fasste sich auch der damalige Stadtpfarrer von Luzern Magister Joh. Müller ein Herz und lud den Magistrat und die Bevölkerung zum Pilatussee ein. Man warf mutwillig Steine in den Teich und stapfte durch den kleinen See, ohne dass auch nur das geringste Wölkchen am Himmel erschien. Damit war auch die Bevölkerung davon überzeugt, dass vom Pilatussee keine Gefahr mehr ausgehen konnte und "alles ein superstition und aberglauben" sei.

Doch so ganz sicher schien man sich doch nicht gewesen zu sein, dass von dem unbedeutenden Pfuhl keine Gefahr für die Stadt ausgehen könne, sonst hätte der Luzerner Rat 1594 nicht den Beschluss gefasst, "daß man dieseren sew, der doch nur ein kleine Pfütz von zusamen gesamelten wasserschweizinen sei, us- und abgraben solle". Wegen des felsigen Untergrunds war dies jedoch nur teilweise möglich und so blieb das Gelände auch weiterhin nass und moorig. Spätere Besucher konnten noch immer von einer 'kläglichen Pfütze' auf der Oberalp berichten, die der Moorgrund in den folgenden Jahren allerdings immer mehr verdrängte.

Für die Obrigkeit und die ansässige Bevölkerung war das Thema damit abgetan. Der Pilatussee geriet bei der ansässigen Bevölkerung in Vergessenheit. Lediglich auswärtige Alpenwanderer wurden noch von den Resten des Sees angelockt. 1842 reisten noch Pilger aus Rom nach Luzern, um den geheimnisvollen See und das Bergmassiv zu besuchen.

Bald schon hielt man eine Pfütze auf der Tomlialp für den früheren Pilatussee. In einem Reiseführer wurde sogar der Vierwaldstätter See mit dem Pilatussee verwechselt.

1979 wurde das Gebiet um den einstigen Pilatussee unter Naturschutz gestellt.

Wenn ein kleiner, unscheinbarer Moorsee in fast unerreichbarer Abgeschiedenheit mit einer solchen Fülle von Abschreckungssagen belegt wird, so muss dies einen Grund gehabt haben. Handelte es sich bei dem See um einen alten Ritual- und Opferplatz und wurden die Sagen ausgestreut, um heidnische Riten an diesem Ort zu verhindern? Der starke Bezug der Sagen zum Wetter könnte bedeuten, dass man die alten Götter hier auf dem Berg, inmitten der Wolken, um günstiges Wetter, vielleicht um Fruchtbarkeit bringenden Regen bat. Hierbei wurden den Göttern üblicherweise Opfer dargebracht.

Die bezeichnenderweise im 16. Jahrhundert aufgekommenen Sagen verteufeln gerade jene Handlung, die bei der Durchführung von Opferhandlungen an Seen unabdingbar waren, nämlich das Deponieren in dem Gewässer. Der Sage nach konnte der Pilatussee unterscheiden, ob ein Tier seinen Fuß in das Gewässer setzte, zufällig etwas hineinfiel oder ob jemand etwas mit Absicht hineinwarf. Die Pilatussee-Sagen waren geeignet, der einfachen Bevölkerung deutlich zu machen, dass das Einbringen von Opfergaben in den See keinesfalls günstiges Wetter, sondern schreckliche Wolkenbrüche, Hagel, Sturm und Überschwemmungen zur Folge haben würde. Die mit dem Frakmont bzw. Pilatus verknüpften Wuotans- und Drachensagen dürften zusätzlichen vor dem Betreten des Bergmassivs abgeschreckt haben. Auch setzt die Schöpfung der ganz eindeutig christlich geprägten Pilatussagen ein Wissen voraus, das bei der einfachen, hier ansässigen Bevölkerung nicht vorhanden gewesen sein konnte. Dass die Sagen von außen kamen, bestätigte auch der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat.

Durch die Trockenlegung des urspronglichen Sees un die Veränderung der umgebenden Landschaft lässt sich heute nicht mehr ergründen, ob bestimmte Handlungen auf der Oberalp, vielleicht ein Opferfeuer oder Ähnliches, geeignet gewesen sein könnten, das lokale Klima um den Vierwaldstätter See zu beeinflussen. Die Wettermaschine unserer Welt ist dermaßen komplex, dass bekannte Meteorologen ernsthaft die These vertreten, dass der Schlag eines Schmetterlingsflügels am anderen Ende der Welt durchaus in der Lage sein könnte, das Wetter bei uns zu beeinflussen. Wir wissen heute, dass eine geringfügige Temperaturänderung der kleinen und lediglich lokal auftretenden Pazifikströmung El Niño an der Ostküste Perus durchaus in der Lage ist, das gesamte Weltwetter auf den Kopf zu stellen. 1982 - 1983 und 1997 kam es durch eine Erhöhung der Wassertemperatur des 'Christkindes', wie man die Stromzunge in Peru nennt, zu gewaltigen Überschwemmungskatastrophen entlang der Westküste Nord- und Südamerikas; der Süden Afrikas, Südostasiens und Australiens wurde von anhaltender Dürren gegeißelt. Auch in Europa geriet das Wetter völlig aus dem Takt. Die Klimaänderungen hatten ein Massensterben bei Fischen, Seevögeln und Korallen zur Folge. Die durch El Niño verursachten Wetterkatastrophen forderten weltweit mehr als 1.000 Menschenleben.

1980 wurde auf der Obberalp wieder ein kleiner See aufgestaut. Klaus Kramer

Verwendete Literatur:
P. X. Weber, Der Pilatus und seine Geschichte, Luzern 1913
Hans Pfister, Pilatus - Sagen und Geschichten, Luzern 1980
Kuno Müller, Die Luzerner Sagen, Luzern o.D.

Top


Historische Darstellung des Pilatussees.
Eine der ältesten Erwähnungen des gespaltenen Berges und des Pilatussees

Der um 1250 niedergeschriebene Codex Parisiensis erzählt, dass man Pilatus ergriffen habe und ihn in eine tiefe Grube warf. Diese Grube sei von hohen Bergen umgeben. Viele erzählen, dass Pilatus dort zuweilen erscheinen würde, mit Schmutz und Gestank, den die Teufel bereiten. Die Grube liegt nahe einem Gebirge, das man den Zerschnittenen Berg (Mont Tranchié) nennt.

P. X. Weber, Der Pilatus und seine Geschichte, Luzern 1913

Top

Die Pilatus-Sage in ihrer ältesten Luzerner Fassung aus dem Jahre 1426

Chronist Fründ erzählt um 1426 die Pilatus-Sage ausführlich:

Nicht lange nach Christi Geburt kamen Berichte zu Kaiser Tiberius, dass in Jerusalem ein weiser Arzt wäre, der die Leute von allen ihren Gebresten und Siechtümern heilen könne. Nun hatte der Kaiser selbst ein gar unsauberes Gebresten, den Aussatz. Da sprach er zu seinem liebsten Diener Albanus, dem er alles vertraute: "Albanus, fahre hin übers Meer nach Jerusalem zu Pilatus, grüße ihn mir und sage ihm, er möge mir den weisen Arzt senden, der die Leute heilt und gesund macht von ihren Siechtümern." Albanus gehorchte seinem Herrn, rüstete sich zur Fahrt, fuhr gegen Jerusalem zu Pilatus und sagte ihm, was sein Herr, der Kaiser, ihm befohlen hatte. Da Pilatus die Botschaft vernahm, erschrak er, wusste nichts in der Sache zu antworten und war unmutig, denn er war sich bewusst, dass er an Jesus Christus übel gehandelt hatte. Er bat Albanus, dass er ihm 31 Tage Zeit gebe. Inzwischen wollte er mit den weisen Juden beraten, was er antworten sollte. Albanus gewährte Pilatus die Frist. Innerhalb dieser Zeit fragte Albanus überall, ob ihm jemand von Jesus etwas sagen könnte. Aber es wusste niemand etwas zu sagen, denn die Fürsten der Juden hatten bei Leib und Gut verboten, dass jemand davon spreche, wie es Jesus ergangen war. Aber Albanus ließ nicht ab und fragte, was er nur konnte und mochte, wohin Jesus gekommen sei. Und zuletzt kam er in das Haus einer Frau, die Veronika hieß mit Namen. Auch die fragte er, wo er Jesum, den Arzt, finden könnte, und was das für ein Mann wäre. Da seufzte Veronika gar sehr und sprach: "Mein Herr und Gott, der, nach dem Ihr fragt, war mir allzeit vertraut und ich ihm. Wenn er in mein Haus kam, hatte ich vielen Trost von ihm. Pilatus und die Juden haben ihn verurteilt und getötet, und hingen ihn zwischen zwei Mörder an ein Kreuz, und er starb an dem Kreuz. Und da man ihn begrub, da erstand er an dem dritten Tag wieder von dem Tod und wandelte mit seinen Jüngern 40 Tage nach seinen Urständen und aß und trank mit ihnen bis an dem vierzigsten Tag. Da fuhr er auf zum Himmel, und es war unser eine große Schar dabei, die seine Auffahrt sahen." Da erschrak Albanus sehr, war traurig und sprach: "Wie mag es da kommen, dass Pilatus mich gebeten hat, zu warten 31 Tage? Wie will er ihn meinem Herrn und Kaiser senden, ihm zu helfen und ihn zu heilen von unsauberem Siechtum und großem Gebresten, da er doch tot und zum Himmel gefahren ist?" Da sprach die heilige Frau Veronika: "Pilatus weiß wohl, dass er übel an ihm gehandelt hat; er fürchtet nur des Kaisers Zorn, und er kann Euch nichts antworten, noch können ihm die weisen Juden raten, die ihm helfen, in der Sache eine Unwahrheit zu ersinnen. Darum und aus keinem andern Grunde hat er so lange Zeit erbeten." Da sprach Albanus: "So sehe ich wohl, dass ich wieder heimfahren muss ohne allen Trost und alle Zuversicht, die ich doch meinem Herrn und Kaiser bringen sollte. Ich verstehe wohl, dass ich auf den Arzt keine Hoffnung mehr setzen kann, und ich fürchte, dass mein Herr und Kaiser nicht wieder gesund wird von seinem Gebresten." Da sprach die Frau Veronika: "Ihr sollt sicher sein, wer seine Zuversicht gänzlich setzt in Jesus Christus, von ganzem Herzen an ihn glaubt und ihn von ganzem Herzen anruft, dem wird er sich niemals versagen, sondern dem wird er alles geben, was sein Herz begehrt. Denn er hat gesprochen mit seinem göttlichen Mund: Wer heischt, dem gibt man, und wer anklopft, dem wird aufgetan." Da sprach Albanus: "Nun ist mir wohl zumute, trotzdem ich meines gnädigen Herrn Botschaft nicht vollenden kann im Sinne, in dem er mich ausgesandt hat." Da sprach die Frau Veronika: "Mein Gott und Herr und Meister hat immer das Wort der Wahrheit gesprochen. Ihm folgte ich noch immer gern und hörte ihn mit Fleiß und Ernst. Als ich aus seinen Worten vernahm, dass ich seines Trostes und seiner Gegenwart entbehren müsste, da fürchtete ich, dass ich ihn nicht mehr lange vor den Juden behalten könnte, denn sie würden ihn töten. Und das geschah auch. Da dachte ich in meinem Herzen: Da du ihn nicht allzeit haben magst, so lass ihn sein Antlitz und seine Figur malen auf ein Tuch. Das tut er wohl mir zum Trost und zur Andacht. Je mehr ich die Figur ansehe, umso mehr denke ich an ihn. Und da ich aufbrach und dem Maler das Tuch bringen wollte, die Figur darauf zu malen, da begegnete mir Christus, unser Herr, und fragte mich, was ich wollte. Ich sagte ihm, was ich begehrte, und worauf ich Lust hätte. Da nahm mir Jesus Christus, unser Herr, das Tuch aus der Hand und tunkte es an sein heilig göttliches Antlitz und gab es mir zurück. Da ward das Tuch gleich seinem heiligen Antlitz mit allen Gliedern und Farben und in allem. Also blieben mir sein heiliges Angesicht und die Figur auf dem Tuch, ganz als ob es sein göttliches Antlitz wäre. Und es ward das heilige Antlitz geheißen Veronika nach meinem Namen. Und ich sage Euch, fürwahr, sähe Euer Herr und Kaiser die Figur auf dem Tuche an mit rechter Andacht und glaubte daran von ganzem Herzen ohne allen Zweifel, so weiß ich wohl, dass er genesen und ganz gesund würde von allem seinem Siechtum und Gebresten." Da sprach Albanus: "Liebe Frau, ist Euch das Tuch und die Figur nicht feil? Ich gebe Euch Silber und Gold dafür, dass Ihr Euer Lebtag genug davon habt." Da sprach die Frau Veronika: "Nein, lieber Herr, es ist mir nicht feil, weder um Gold noch um Silber, noch um Edelgestein. Ich täte es dann aus rechter Minne und Liebe und göttlicher Andacht." Da sprach Albanus: "Was soll ich denn tun, und was soll ich meinem Herrn und Kaiser sagen?" Da sprach Veronika zu Albanus: "Wenn es Euch gefällt, so will ich mit Euch fahren nach Rom und will es den Kaiser sehen lassen, wenn er daran glauben will." Albanus war gar froh und dankte ihr für ihren guten Willen über die Maßen. Sie begaben sich beide auf das wilde Meer, fuhren miteinander nach Rom und nahmen das Tuch mit sich, voll Fleiß und Würdigkeit, wie das wohl billig war. Und da sie nach Rom kamen, da wollten sie nicht sofort vor den Kaiser gehen und blieben über Nacht in einer Herberge. Und des Morgens früh begab sich Albanus vor den Kaiser, und da der Kaiser vernahm, dass Albanus gekommen war, da freute er sich von ganzem Herzen, dass er den Arzt Jesus mit sich gebracht hätte. Als Albanus vor den Kaiser trat, da hub er an und berichtete dem Kaiser, wie er zu Jerusalem gewesen wäre um Jesu willen, nach dem er gesandt worden, und der ihn heilen sollte. "Den haben Pilatus, Euer Richter, und die Juden gefangen, gemordet, an ein Kreuz gehangen und lästerlich und unschuldig mit Mördern und Schächern getötet." Da der Kaiser das hörte, sprach er: "Nun habe ich keine Zuversicht, dass ich je mehr genese." Da sprach Albanus: "Gnädiger Herr Kaiser, ich habe mit mir eine heilige, ehrwürdige Frau gebracht, es war Jesu Dienerin, und er ließ ihr ein Wahrzeichen, das Bildnis seines Antlitzes. Das hat sie gedruckt auf ein Tuch, und sobald Ihr das Tuch vor Euern Augen habt, an Jesus Christus glaubt, dessen Gleichnis in der Figur des Bildes gedruckt ist, und Ihr es andächtig anschaut, so werdet Ihr von Stund an ganz frisch und gesund von allen Gebresten und Siechtümern." Da ward der Kaiser wieder froh und hieß sofort nach dem würdigen Heiligtum senden und nach der Frau Veronika. Er ließ den reichen Bürgern gebieten, wer köstlichen Samt oder seidene Tücher habe, der soll sie auf den Boden breiten der Straße, durch welche die Frau komme mit dem Heiligtum, zur Würde, zum Lob und zur Ehre. Das tat auch jedermann mit Freuden und Andacht. Der Kaiser gebot auch allen Frauen und Männern bei Strafe, dem Heiligtum entgegenzugehen. Das taten die Römer, geistliche und weltliche, auch die ganze Priesterschaft, mit großen Ehren und Würden und köstlicher Zier, und es ging auch der Kaiser selbst mit ihnen in großer Andacht. Und als der Kaiser von ferne das Heiligtum sah, da fiel er nieder auf seine Knie in Demut und Ernst. Und da Veronika das Heiligtum zeigte und der Kaiser zum Heiligtum kam, da nahm er das Heiligtum in seine Hand, da hielt er es vor seine Augen im Angesicht aller Welt. Da genas der Kaiser und wurde ganz lauter, schön und gesund an seinem Leibe und frei von allen Gebresten und Siechtümern. Da trug man das Heiligtum mit Ehren in des Kaisers Palast. Man tat auch der Frau Veronika große Ehren an. Und viele Leute wurden gesund von allen ihren Gebresten und Siechtümern, wenn sie mit Andacht zu dem Heiligtum gingen.

Nun hieß der Kaiser Pilatus in Jerusalem ergreifen und nach Rom führen. Und der Kaiser überlegte, welchen Tod er ihm antun wolle. Als Pilatus vor ihn kam und der Kaiser ihn ansah, da mochte er kein hartes Wort reden, und da er von ihm ging und ihn nicht mehr ansah, da war er über ihn grimmig und zornig, und er hieß Pilatus wieder vor ihn führen, und da er vor ihn trat, da mochte er wieder kein übles Wort mit ihm reden. Da sprach die heilige Frau Veronika zu dem Kaiser: "Willst du dich an ihm rächen, so heiße ihn den Rock ausziehen, den er anhat, denn es ist der Rock Jesu Christi, meines lieben Herrn, und solange er den Rock auf sich hat, mag ihm niemand ein Leid antun." Und sobald Veronika das gesprochen hatte, hieß ihn der Kaiser den Rock ausziehen und vor ihn bringen. Und sobald ihm der Rock fehlte, da konnte der Kaiser ihm feind und gehässig sein. Da sprach der Kaiser zu ihm: "O du unbeschreiblicher und letzter Bösewicht, nun will ich den unschuldigen und schändlichen Tod an dir rächen den du an Christum Jesum, meinem Herrn, begangen hast." Und der Kaiser war so grimmig über ihn, dass er nicht wusste, wie harten Tod er ihm antun wollte. Zu der Zeit kam auch Vespasian nach Rom geritten. Er kam, weil er vom Kaiser begehrte, Jerusalem gänzlich zu zerstören, Leute, Gut und Judenheit. Das erlaubte ihm der Kaiser, denn er war allen Juden feind wegen des Todes unseres lieben Herrn. Aber Vespasian zog damals nicht gegen Jerusalem, denn es waren damals noch wenig Christen, und er verzog sich wohl auf zweiundvierzig Jahr. Aber als die zweiundvierzig Jahre vorüber waren und viele Juden Christen geworden waren, da zog Vespasian mit großem Volk heermäßig mit Gewalt vor Jerusalem und belagerte die Stadt auf einer Ostern hochzeitlichen Tagen und belagerte die Stadt also mächtig, dass Speisen und alle Dinge so teuer geworden, dass die Frauen ihre eigenen Kinder aßen, und es war eine so große Hungersnot und Angst in der Stadt, dass viele in den Straßen niederfielen und Hungers starben. Und es kam so weit, dass die Stadt genommen wurde und Vespasian je dreißig Juden um einen Pfennig gab, wie sie auch Jesus Christus um dreißig Pfennig gegeben hatten. Und Vespasian zerstörte die Stadt Jerusalem und alle Mauern. Es wurde Joseph von Arimathia aufgefunden unter der Erde, hinter einer dicken Mauer vermauert. Der war so viele Jahre in dem dicken Gewölbe der Mauer ohne alle leibliche Speise gewesen, mit der Hilfe des allmächtigen Gottes. Und er erzählte dem König Vespasian, wie alles gegangen war, und erst nach alldem starb Joseph. Als nun der Kaiser Pilatus gefangen gelegt, da fragte der Kaiser den König Vespasian und andere Fürsten von Urteil, wie er den bösen Mann Pilatus töten sollte, dass er ihm einen harten und bösen Tod antäte. Da sprachen sie alle, man solle ihm den allerschwersten Tod antun, den man in aller Welt denken könne. Und da Pilatus das Urteil vernahm, da stach er sich selber ein Messer durch die Kehle und tötete sich selbst. Da sandte der Kaiser Veronika, die Frau, wieder heim mit großen Ehren, und es blieb ihm das Bild und der Rock im Einverständnis der Frau. Und da der Kaiser vernahm und sah, dass Pilatus sich selber erstochen hatte, da sprach er: "Sicherlich, es gäbe keinen schändlicheren Tod." Und er hieß den unreinen Schelmen in den Tiber schleifen, das ist ein großes Wasser und fließt durch Rom. Es kamen die Teufel und nahmen ihn und führten ihn in die Lüfte und danach wieder in das Wasser und verunreinigten mit ihm die Luft und das Erdreich und das Wasser. Die Wolken und die Elemente regten sich, dass es gar sehr blitzte und donnerte und ein böser Hagel kam, dass die Leute in großen Sorgen, Furcht und Schrecken waren und viel erlitten unter dem großen Unfug und den teuflischen Dingen. Es wurden die Römer schlüssig, Pilatus wieder aus dem Tiber zu nehmen, und sie schickten ihn nach Venedig und ließen ihn in ein Wasser werfen. Als man ihn darein geworfen, verfuhren die Teufel gleich mit ihm, wie sie es in Rom getan, und die Venediger wollten es nicht länger dulden und schickten ihn weiter in eine Stadt, die Losen heißt, dass man ihn dort begraben sollte. Und da man ihn begrub, fuhren die Teufel zu ihm und warfen das Erdreich auf, und es war ein großes Ungewitter, denn das Erdreich wollte ihn nicht leiden. Da wurden die von Losen schlüssig, da sie ihn auch nicht dulden wollten, ihn auf einen hohen Berg zu schicken, der die Wild-Alp heißt. Da stand in diesem Gebirge ein hoher Berg, der hieß Caratominus. Darunter lagen ein Seelein und ein Pfuhl, ganz unrein. Darein wurde er in aller Teufel Namen geworfen. Man glaubt, dass es da ungeheuer sei, und dass auch die Teufel es gar böse und gespenstisch mit Pilatus trieben. Das hat der schmutzige Bösewicht wohl verschuldet. Man hat diese Gegend in guter Hut, dass niemand hinaufgehe um Wunders willen und aus Mutwillen, sonst entstehe großes Ungewitter mit Hagel und Donner, das großen Schaden brächte, wie oft geschehen ist. Und die Umsassen und die Landleute um und um, weit und nah, die nennen den Berg Freckmünd oder Pilatusberg. Er liegt in der Eidgenossenschaft, zwei Meilen von Luzern.

Aus der Schrift des Chronisten Fründ in der Luzerner Bürgerbibliothek.

Top

Die Erwähnung der Pilatus-Sage bei Diebold Schilling

Im Sommer 1475 brach am Abend des Johannistages in der Zeit nach dem Abendessen ein so ungestümes Unwetter über Luzern herein, wie es vorher und nachher nicht mehr erlebt wurde, und dies geschah also:

Jedermann weiß, dass nahe bei Luzern ein Berg steht, den man Frackmont nennt, und der von den gewöhnlichen Leuten auch Pilatus geheißen wird. Auf diesem Berg wohnt in einem Weiher oder See ein Gespenst. Nach dem Bericht alter Geschichten soll es der Geist des Pilatus sein. Deshalb darf niemand an den Ufern des Weihers freventlich lustwandeln oder etwas hineinwerfen. Dies ist bei Leib und Gut durch meine Herren zu Luzern verboten.

An erwähntem Jahr und Tag konnte man nicht herausfinden, ob wirklich Leute beim See gewesen waren. Aber man musste es leider vermuten, denn es kam ein so ungeheuer großes Unwetter mit Donner, Blitz und unerhörtem Regen, dass der Krienbach anschwoll und derart hochstieg, dass er in Kriens und im Obergrund über die Äcker, Matten und Zäune lief und ganze Häuser, Speicher, Menschen, Hab und Gut in den Wogen untergingen, von ihnen weggespült wurden und verdarben.

Es sollte wirklich niemand so freventlich sein und es sich einfallen lassen, zu verbotenen Zeiten dort hinaufzugehen und das Geschick zu versuchen. Sollte man dennoch einen erwischen, würde er von meinen Herren nicht geschont.

Diebold Schilling, Schweizer Chronik, Luzern 1862

Top

Die Pilatus-Sage bei Joachim Vadianus (1484-1551)

Der Humanist, Bürgermeister und Reformator Joachim Vadianus schreibt Folgendes über den Pilatussee:

Es gibt wunderbare Dinge, die man sich nicht anders erklären kann, als dass man sie einer göttlichen Kraft (numen) zuschreibt, welche, wie Plinius sagt, durch die ganze Natur verbreitet ist und sich auf die verschiedenste Art kundgibt. So liegt z. B. in der Nähe der alten berühmten Stadt Luzern ein hoher Berg, welcher in der Landessprache Frackmont genannt wird. Ein wenig unter seinem Gipfel ist ein ganz kleiner See oder eher ein Morast, welchem man den Namen des Pilatus beigelegt hat. Wirft man mit Absicht etwas in diesen See, so gibt er seinen Zorn durch erschreckliche Unwetter kund. Fällt jedoch zufällig etwas in ihn hinein, so rührt er sich nicht, gleichsam, als ob er verstände, dass dem, was von ungefähr geschieht, keine böse Absicht zugrunde liegen kann.

Kuno Müller, Die Luzerner Sagen, Luzern o.D.

Top

M. A. Cappeler und die Pilatus-Sage

1767 verfasste der Naturforscher M. A. Cappeler eine ‚Pilati Montis Historia’, eine Geschichte des Pilatusberges. Er schreibt darin über die Pilatus-Sage:

Pilatus, der jüdische Landpfleger, wegen schlechter Verwaltung der anvertrauten Provinz nach Rom zurückberufen, wurde vor den Kaiser Tiberius gebracht, der ihn zum Erstaunen aller Anwesenden bei seinem Eintritt mit großer Höflichkeit und Achtung empfing und, anstatt ihm eine Strafe zuzumessen, ehrenvoll entließ. Kaum war jedoch der ehemalige Landpfleger außer dem Bereich des Kaisers, so kehrte dessen Zorn zurück; Pilatus wurde abermals vorgeladen und abermals freundlich empfangen und ehrenvoll entlassen. Dies geschah mehrere Male, bis endlich die Hofbeamten Verdacht schöpften, dass er an seinem Körper versteckt ein Amulett trage; sie untersuchten daher den Landpfleger aufs genaueste und fanden den Rock unseres Heilandes unter seinen Kleidern verborgen. Sie nahmen ihm das heilige Kleid ab, und wie er jetzt wieder vor dem Kaiser erschien, wurde er sofort zum Tode verurteilt. Nach der Hinrichtung warf man die Leiche in den Tiber, worauf so schreckliche Stürme erfolgten, dass man den Leichnam herausfischte, ihn nach Vienne in Gallien schaffte und dort in die Rhone warf. Auch hier entstanden neue Stürme; abermals wurde der Leichnam aus dem Wasser gezogen und, um ihn loszuwerden, nach Lausanne gebracht. Da aber auch hier, wie in Italien und Gallien, Pilatus Ursache von Sturm und Wetter war, beschlossen endlich die Lausanner, nach reiflicher Überlegung, ihn in einen kleinen See zu werfen, welcher ungefähr vierzig Stunden von ihrer Stadt in den Alpen lag. Es war dieses der kleine See auf dem Berge Frackmünd. In dieser neuen Wohnung blieb endlich Pilatus, aber nicht ohne sie von Zeit zu Zeit zu verlassen und als Gespenst den Berg zu durchstreifen. Bald sah man ihn in dem Morast seines Sees herumwaten, bald auf einem Felsen sitzen, bald in heftigem Streite mit einem anderen Gespenst, dem König Herodes, stehen, bald in heftigem Laufe umherirren. Immer war er der gleiche böse Geist, welcher die Umgegend mit Sturm und Wetter überzog, die Hirten auf den Weiden erschreckte, ihre Herden zersprengte und das beste Vieh von den Felsklippen in den Abgrund hinabstürzte. Als Pilatus sein Unwesen immer ärger trieb und man den Leichnam doch in dem See behalten musste, da kein anderes Land ihn mehr angenommen hätte, dachten die Bewohner der Gegend auf Mittel, ihn zur Ruhe zu bringen. Da geschah es, dass eben ein fahrender Schüler, der zu Salamanca studiert hatte und ein starker Zauberer war, in die Schweiz gelangte. Dem versprach man eine große Summe Geldes, wenn er das Land von den Plagen des bösen Geistes befreie und ihn auf immer zur Ruhe bringe. Der Zauberer ging auf das Anerbieten ein und versprach, sein Möglichstes zu tun. Er suchte den Geist, traf ihn auf einer hohen Felsspitze und begann seine Beschwörungen. Wahrscheinlich waren sie nicht stark genug, denn Pilatus wich nicht. Da traf der Zauberer Vorbereitungen zu stärkeren Beschwörungsformeln. Er begab sich auf einen Hügel, gegenüber der Felsspitze, auf der Pilatus saß, und begann den eigentlichen Kampf, der so heftig wurde, dass von den Fußstößen des Beschwörers noch heutigen Tages ein Teil des Hügels ohne Rasen geblieben ist. Endlich wurden die Formeln so stark, dass Pilatus nicht mehr widerstehen konnte und dem Beschwörer versprach, sich in Zukunft im See ruhig zu verhalten, wenn man ihm einen Geist beigebe, der, in eine schwarze Stute verwandelt, ihn nach der würdigen Art römischer Ritter in seine neue Behausung trage. Zudem verlangte er, dass ihm erlaubt sei, einmal des Jahres an die Oberwelt emporzusteigen. Die Bedingungen wurden bewilligt. Als nun auf Befehl des Zauberers wirklich eine schwarze Stute vor Pilatus erschien, spornte er das Tier im Zorn zu solch wilden Sprüngen an, dass man noch heute den Abdruck seiner Hufe auf einem der Felsen sehen kann. Pilatus hielt seinen Pakt treulich; nur am Karfreitag, dem Tage, an dem er den göttlichen Heiland verurteilte, irrt er in seiner Amtstracht an den Ufern des Sees. Dem, der ihn sieht, ist der Tod vor Jahresende bestimmt. Wenn Pilatus geschmäht wird, oder wenn Steine in seinen See geworfen werden, dann bricht sein Zorn aus, und es entstehen heftige Ungewitter.

M. A. Cappeler, Pilati Montis Historia, 1767

Top


Luzern und das Pilatus-Massiv um 1900.
Spuk auf dem Pilatus

Im Jahre 1540 wollte ein Alpbub oder Handknabe abends das Jungvieh von den Höhen des Berges zu den Hütten treiben. Doch der Weg war ihm versperrt, da der Boden vor ihm bedeckt war mit großen schweren Pferden. Der Bub erschrak, denn er wusste, dass zu ewigen Zeiten keine Pferde in diese Höhe und Wildnis gelangen konnten. Geistesgegenwärtig schlug er das siegreiche Zeichen des Kreuzes gegen die Pferde, und die teuflischen Tiere erhoben sich sofort und stoben in den Lüften auseinander.

Der Handbub aber fiel krank zu Boden, und der Meister, der ihn suchte, musste ihn den Berg hinab zur Hütte tragen. Später hat dieser Knabe, als er schon alt geworden war, dies Erlebnis Cysat erzählt. Cysat kannte den Mann sehr genau und plauderte täglich mit ihm. Er war inzwischen Diener der Stadt geworden und erreichte das hohe Alter von 80 Jahren.

Renward Cysat

Top

Das wilde Heer auf den Pilatus-Alpen

In den hohen und wilden Alpen des Pilatusberges hausen viele Gespenster. Einige lassen sich nur des Nachts hören oder sehen. Sie erscheinen in der Gestalt von Menschen, die der Hirt noch zu Lebzeiten gekannt hatte. Sie reiten auf gespenstischen Pferden und jagen in vollem Lauf dahin.

Zuweilen erhebt sich ein Getümmel von solcher Gewalt, als ob viele hundert Pferde dahersprengen. Das Gebirge erzittert wie bei einem Erdbeben und ertönt, als löse man zahllose Geschütze.

Zuweilen fährt das gespenstische Heer auch ohne Pferdegetrampel nachts mit Windesheulen um die Sennhütten und lässt sie erzittern, dass ihre Bewohner fürchten müssen, sie fallen vor dem wilden Ansturm zusammen. Dies erfuhr auch Renward Cysat selbst zum wiederholten Male, als er 1566 und 1572 in Gesellschaft auf der Alp Fronstaffel übernachtete. Von dem wilden Getöse soll sein Hund taub und blind geworden sein und sich selbst die Augen aus dem Kopf gekratzt haben.

Top

Gespenstische Pferde und Geisterwesen am Pilatussee

Cysat hörte oft von Älplern des Pilatusberges und von alten glaubwürdigen Männern, die von Jugend auf als Jäger oder Sennen dort wohnten, dass es im Gebirge, besonders auf den Höhen, in den rauen und wilden Felsen von bösem, teuflischem Gespenster- und Geisterwerk wimmle. Man höre oft des Nachts, wie das Gespensterwerk mit grausem Geschrei vom Tal herauf über die Höhen und Gipfel des Berges fahre, als wären es viele Geschwader von Reitern und Reisigen. Während es dort oben derart tose, wäre es unten im Tal heiter, still und wolkenlos. Oben aber ginge es zu, dass die Erde bebe, dass man sich in den Hütten nicht mehr sicher fühle und fürchte, Hütten, Scheunen und Gaden und alles Vieh würden von der Stelle weggetragen.

Renward Cysat will eine solche Erscheinung 1565 bei den Sennen in der Nähe des Pilatussees gehabt haben.

Top

Schwarze Geisterpferde auf dem Pilatus

Viele Sennen haben auf den höchsten Gipfeln des Pilatusberges, wo selbst Geißen und Gemsen nur mühselig hingelangen und weit und breit keine Pferde zu finden sind, ganze Scharen schwarzer Rosse erblickt. Wenn die Hirten das Zeichen des Kreuzes gegen die Tiere machten, erhoben sich die Pferde in die Luft und rasten davon. Wenn ein Älpler diese Pferde erblickte, befiel ihn meistens großer Schaden, wie Ohnmachten, Krankheiten, besonders Geschwülste des Gesichtes. Das begegnete ihm nicht, wenn er die Kirchenglocken, die des Abends zum Ave Maria läuteten, aus dem Tale hörte.

Von Renward Cysat

Top

Der geisterhafte Hirt

Eine Wuotanssage vom Pilatus.

Auf den Alpen des Pilatus erscheint oft beim Einnachten ein ganz kleiner Mann. Er ist angezogen wie ein Hirt, trägt eine Lecktasche über die Schulter und führt in der Rechten eine lange Rute. Der Kleine lockt das Vieh und treibt es dann vor sich her. Hat er es gesammelt, hebt er die Kühe langsam in die Lüfte und entschwindet mit ihnen. Erst am dritten Tag lässt er das Vieh wieder zu Boden kommen. Es ist dann matt und halbtot. Wenn ein Senn dazwischenkommt, kann er dem Vieh rufen und den Alpsegen beten, dann kommen die Kühe, die sich schon in den Lüften befinden, langsam und ohne Schaden wieder herunter.

M. A. Cappeler, Pilati Montis Historia, 1767

Top

Pferde auf den Alpen

Die Sennen erzählen, dass nachts auf den Alpen des Pilatus ganze Scharen von Männern und Pferden erscheinen. Sie sprengen die Alpen hinauf und hinab und springen über die jähesten Felsen hinunter. Sie verführen dabei ein Trampeln und Lärmen, dass alles erzittert.

M. A. Cappeler, Pilati Montis Historia, 1767

Top


Der sogenannte Pilatuslindwurm der Rasse ‚Draco Helveticus’ aus Atanasius Kirchers naturkundlichem Werk ‚Mundus Subterraneus’, Amsterdam 1664.
Von den Pilatusdrachen

Vor Zeiten lebten in den Wildnissen und Gebirgen der Umgebung von Luzern gewaltig große Würmer und Drachen. Besonders hausten sie auf dem Pilatus, und zwar in dem großen Wald, der sich vom Berg bis gegen Kriens und Malters erstreckt. Jäger und Holzer sahen die Drachen oft in dieser Gegend.

In heißer Sommerszeit sah man sie nach Untergang der Sonne wie ein Feuerbrand von einem Berg zum anderen schießen. Vor allem flogen sie vom Pilatus gegen den Rigi und sahen dann aus wie brennende Balken. Das Volk machte sich mancherlei Meinungen über die Drachen. Es erzählte, dass fahrende Schüler und Schwarzkünstler sich auf solche Tiere setzen konnten und mit ihnen aus dem Lande fuhren nach fernen Orten, wo man ihnen das Blut entnahm und Teile ihres Körpers, besonders Steine, die sich in ihrem Leib befanden, zu allerlei Zwecken brauchte und daher hoch bewertete.

Wenn ein fahrender Schüler einen Drachen in Gewässern wegführte, kamen ungeheure Regengüsse und brachten Wassernot.

Cysat sah im Jahre 1566 einen Drachen bei angehender Nacht vom Rigi zum Pilatus ziehen. Im gleichen Sommer folgte große Wassernot.

Renward Cysat

Top

Der Küfer von Luzern und die Drachen

Ungefähr im Jahre 1410 erlebte ein Bürger von Luzern, wohnhaft in der Eisengasse und Küfer von Beruf, mit Drachen eine gar wundersame Geschichte.

Der Küfer ging zur Herbstzeit allein und ohne jeden Gefährten den Hergiswald hinauf. Er gelangte in die raue Wildnis unterhalb des Fräkmünd, das auch Pilatusberg genannt wird, und suchte dort Reifenstangen für sein Handwerk.

Als er so durch eine wilde Schlucht zwischen Felsen gehen wollte, fiel er unversehens in eine tiefe Grube. Als er sich umsah, bemerkte er neben sich zwei große, ungeheuerliche Lindwürmer, die sich eben für den nahenden Winter zurechtmachten. Der Küfer erschrak, was wohl begreiflich ist, darüber sehr, und da er sich von aller menschlichen Hilfe verlassen sah, hielt er sich so still er nur konnte. Dann befahl er sich, dieweil ihm nichts anderes übrigblieb, der Barmherzigkeit Gottes.

Während er so gläubig Gott anflehte, stand der Allmächtige ihm in dreifacher Weise sichtlich bei. Die Würmer und Untiere, die Drachen glichen und Füße hatten, zeigten sich sanft und zahm und taten dem Küfer kein Leid an. Und der Küfer, einer inneren Stimme folgend, richtete sein Verhalten nach dem der Tiere, die immer wieder an den Felsen leckten und sich von ihren salzigen Absonderungen ernährten. In dieser Weise fristete auch der Küfer sein Leben und brachte den Winter zu, ohne unter dem Frost zu leiden. Und zum Dritten gewöhnte der Küfer die Tiere so sehr an sich, dass sie zutraulich wurden und ihm damit das Mittel seiner Rettung boten.

Nachdem der Küfer bei den Ungeheuern den Winter wie bei freundlichen, zahmen Gesellen zugebracht hatte, und der Frühling in das Land zog, rüsteten sich die Würmer, wie das ihre Gewohnheit war, zur Ausfahrt. An einem schönen Tage krochen sie aus ihrer Höhle und schwangen sich auf den Felsen. Als der gute Mann dies sah, bereitete es ihm großen Schmerz, denn er sah nun den Augenblick gekommen, da er in völliger Einsamkeit und hilfloser Lage zurückgelassen würde.

Aber Gott fügte es, dass sich der eine der Würmer oben auf dem Rande des Loches noch einmal umwandte und den Mann ansah, so sprechend, als wollte er ihn auffordern, mitzukommen. Das Tier winkte ihm wie ein vernünftiges Wesen, ließ seinen langen dicken Schwanz in das grausige Loch hinunterhangen und hielt solange still, bis der verlorene Mann sich ein Herz.

Renward Cysat

Top

Streit mit dem Drachen

Im Jahre 1503 sagten verschiedene junge Herren von Luzern eine Jagd im Fräkmünd-Gebirge und den Wäldern gegen Malters an. Sie wollten Hoch- und Niederwild jagen.

Einer von ihnen, der im Wald ob Malters hinter den anderen zurückblieb, stieß auf einen großen Drachen, der am Boden lagernd schlief. Zuerst meinte der junge Herr, es läge da ein alter, verfaulter Baum. Als aber das Tier einen bösen Geruch und Dampf von sich gab, merkte der Junker bald, was er vor sich hatte. Er erschrak zuerst ordentlich; als er aber einige seiner Gefährten nahen hörte, fasste er sich ein Herz und schlug dem Untier mit einer Axt auf den Kopf. Der Streich schadete dem Tier, das eine dicke gehörnte Haut besaß, nichts. Es erwachte aber davon, schwang sich in die Höhe und flog über den Wald davon.

Die Jäger besahen sich die verlassene Lagerstätte und fanden sie gänzlich verbrannt. Auch die Bäume, die das Untier bei seiner Flucht gestreift hatte, zeigten Brandspuren, als ob ein Feuer über sie gegangen wäre.

Etwa sechzig Jahre später, im Jahre 1562, hörte Cysat diese Erzählung aus dem Munde eines sechsundsiebzigjährigen Ratsherrn und vornehmen Bürgers der Stadt erzählen. Der Vater des Ratsherrn war bei jener Jagdgesellschaft mit dabei gewesen.

Kuno Müller nach Renward Cysat in, Die Luzerner Sagen, Luzern o.D.

Top

Von Drachen und Lindwürmen

Auf dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürmer vollauf gegeben, die hausten in unzugänglichen Höhlen und Schluchten des gewaltigen Alpenbergstocks. Oft haben Schiffer auf den Seen sie mit feurigen Rachen und langen Feuerschweifen vom Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen. Solch ein Drache flog einstmals in der Nacht vom Rigi zurück nach dem Pilatus; ein Bauer, der, von Horn bürtig, die Herden hütete, sah ihn, und da ließ der Drache einen Stein herunterfallen, der war wie eine Kugel geformt und glühend heiß; der war gut gegen allerlei Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll abschabte und dem Kranken eingab. Zu anderer Zeit hat man einen grauslich großen Drachen aus dem Luzerner See die Reuß hinaufschwimmen sehen.

Einstmals ging ein Binder oder Küfer aus Luzern auf den Pilatus, Reifholz und Holz zu Fassdauben zu suchen; er verirrte sich und die Nacht überfiel ihn, mit einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab. Drunten war es schlammig, und als es Tag wurde, sah er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen, und in jeder dieser Höhlen saß ein gräulicher Lindwurm. Diese Würmer flößten ihm viel Furcht ein, aber sie taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den feuchten salzigen Felsen, und das musste der Küfer auch tun, damit fristete er sein Leben, und das dauerte einen ganzen Winter lang. Als der Frühling ins Land kam, machte sich der größte Lindwurm auf und flog aus dem feuchten Loche heraus mit großem Rauschen; der andere kleinere kroch immer um den Küfer herum, liebkoste ihn gleichsam, als wolle er ihm zu verstehen geben, dass er doch auch mit heraussollte. Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager in die Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes Messgewand, wenn er der Drachengrube entrinne, und als der zweite Drache sich anschickte aufzufliegen, hing er sich ihm an den Schweif und fuhr mit auf, kam also wieder an das Licht, ließ sich oben los und fand sich wieder zu den Seinen. Doch lebte er nicht lange mehr, weil er der Nahrung ganz entwöhnt war, hielt aber Wort und sein Gelübde, ließ ein prächtiges Messgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit sticken und alles in das Kirchenbuch einzeichnen. Es soll diese Wundergeschichte sich ereignet haben 1410 oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres bis zum 10. April des folgenden hauste der Küfer bei den Lindwürmern.

Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Meersburg 1930

Top


Von den Drachen am Pilatus. Aus Atanasius Kirchers naturkundlichem Werk ‚Mundus Subterraneus’, Amsterdam 1664.
Die Sage um den Pilatussee

Die Oberalp blieb durch Jahrhunderte totenstill und berüchtigt. Mancher Senn getraute sich nicht, dort sein Vieh zu sommern. Wenn von ihr die Rede war, bemächtigte sich vieler eine unerklärliche Angst; denn Wettertannen umstanden auf einer flachen Anhöhe drei Bergseen. Es waren hässliche Sümpfe, die Schrecken verbreiteten. Unwetter brauten sich hier zusammen, sodass Überschwemmungen und namenloses Elend daraus folgten. Man verfocht die Meinung, wer laut riefe oder mutwillig Steine, Holz und Erde in den Bergsee würfe, würde dadurch Unheil stiften. "Grusame (grausame), ungestüme wätter von Hagel, windschlegen (Windstössen) und anlaufen der bergwasser" waren das Ergebnis. In diesem garstigen Alpenpfuhl lag nämlich die Leiche des römischen Landpflegers Pilatus aus Palästina. Hier hatte sie endlich ihr Grab erhalten, nachdem sie an anderen Orten, in Rom, Vienne und bei Lausanne nicht mehr geduldet worden war. Aber niemand durfte die Totenstätte aufsuchen, den Leichnam belästigen oder ihn durch den Wurf eines Gegenstandes stören. Sonst brach der Geist gereizt hervor, um heftige Stürme in das Unterland zu senden und es zu verwüsten. Er zersprengte Viehherden, jagte sie in alle Tobel hinein und hetzte die Tiere über Felsen in die Schluchten. Er ließ stechendes Ungeziefer und Schmeißfliegen auf die entsetzten Hirten los, um sie aus der Umgebung zu vertreiben. Aus der Ferne hatte man die arg gequälte Seele schon erspäht. Es war eine Erscheinung wie die eines Geistes, mit wallendem taubengrauen Haar und Bartsträhnen. Der struppige Geist saß manchmal auf einem Sessel mitten im gräulichen Sumpf. Er war bekleidet mit einem weißen Hemd oder wie ein Fürst von einem purpurnen Gewand umhüllt und träumte aus hohlen Augen in die Runde. Er versuchte jeweils, die blutbefleckten Hände im Teich zu waschen, doch umsonst. Die Schuld würgte ihn weiter; er härmte sich ab. Bald hockte er vermummt und gelangweilt auf einem Stein am Uferbord, bald tappte er ruhelos und von Groll durchdrungen im Föhrenwald umher. Bisweilen raffte sich das Gespenst auf, erstieg den Berg und kauerte auf einer Felsplatte hoch über dem Moor. Dort brütete er vor sich hin. Diese Platte wackelte nachher noch während vieler Jahre. Deswegen nannte man den Gipfel Gnepf- oder Gnappstein. Gnappen bedeutet wackeln. Der Blitz spaltete einst die Steintafel, sodass sie in den Abgrund zur Trockenmatt stürzte. Auf dem Berg trifft man jetzt nur noch Blockwerk an. ... Jener Geist trieb sein Unwesen Jahrhunderte lang. In Luzern erließ man ein Verbot, den Alpensee zu besuchen. Die Verordnung lautete: Die Sennen, Handknaben und alle jene, die bei ihnen sind, werden verpflichtet, "gar niemandt uff den berg, noch zum see wandlen ze lassen". Wer sich ohne ausdrückliche Erlaubnis des Rates der Stadt hinaufbegab, wurde bestraft. Im Jahre 1564 legte man zwei Männer in den Turm, warf sie also ins Gefängnis, weil sie heimlicherweise den See betrachtet hatten und hernach Gewitter und Ungemach losgebrochen waren. Als aber die Seelein verlandeten und nur noch glucksende Pfützen oder 'wasserschweizinen' (Wasserbrühen) waren, hob man das Verbot im Jahre 1594 auf. Die Sennen wurden des Eides entbunden. Man befahl ihnen, "diesen sew (See) oder güllen (Mistwasser oder Jauche) uszugraben". Binsen wuchsen ja bereits heraus, und die Lachen durchwatete man, ohne den Geist herauszufordern. Der Name des Geistes aber hat sich auf die ganze Bergkette übertragen. Der Gebirgsstock hieß vorher Brochenberg oder 'fractus mons', Zeichnung mundgerecht und verwandelte das Wort in 'Fräkmünt'. Heute erinnern noch zwei Alpgüter an den ursprünglichen Namen Fräkmünt.

Hugo Nünlist, Der Pilatus und seine Geheimnisse

Top


Der Pilatusdrache nach Johann Jakob Scheuchzer, um 1706.
Der Drachenstein zu Luzern

Ein Bauer, der bei Luzern mit Mähen beschäftigt war, sah plötzlich einen Drachen über sich, der nach dem Pilatusberg flog. Unterm Fliegen enttröpfelte dem Ungeheuer eine Feuchtigkeit, die gleich frischem Blut auf dem schwarzen Boden anzusehen war und in der Feuchtigkeit fand der Bauer einen vielfarbigen Stein, der noch zu Luzern bewahrt wird und ein kräftig Heilmittel ist gegen pestartige Krankheiten; dass sich das oft bewährt hat, davon zeugen die Stadtbücher, worin es beschrieben ist.

Johann Wilhelm Wolf, Deutsche Märchen und Sagen, Leipzig 1845

Top

Der Pilatus und die Herdmanndli

In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land, im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich sind. Absonderlich viel erzählt wird von dem hohen Berg Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem Geklüft wohnten, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus das ist der rechte und wahre Broch- oder Brockenberg der Schweiz, auf welsch Frarmont (mons fractus) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus, Hut-Berg, weil im Land die bekannte Rede geht.

Hat der Pilatus einen Hut
So steht im Land das Wetter gut.

Aber es geht die Sage, dass nach Christi unseres Herrn Leiden, Tod und Auferstehung, der römische Landpfleger Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar, dass der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da habe er am Berg den ungeheuerlichen See gefunden, der hat weder Zu- noch Abfluss und ist wegen der unergründlichen Tiefe schwarz und grässlich anzusehen, ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt, dass wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege, wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern, die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen und das Hineinwerfen von Steinen oder Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die Herdmanndli, die wohnten vielfach in der Pilatus-Höhle, die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren den Menschen gar gut und hilfreich, gar 'gespäßige Lüet' wie die Hirten sagen. Sie verrichteten nachts der Menschen Arbeit; kamen vom Berg auch herunter in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die Manndli wunderselten und auch da hatten sie lange graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, dass man nimmer ihre Füße sah.

Ein Hirte hatte einen recht ragenden Kirschbaum oben am Berg, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen auf die Hürten, dass hernach gutes Kirschwasser gebrannt werden konnte. Der Hirt wurde aber neugierig, zumal mocht' er gern die Füße der Herdmanndli sehen, ging her und streute Asche rings um den Baum, als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in der Asche. Es waren kleine Gänsefüße. Der Hirte lachte, und sagt' es freudig seinen Genossen an, dass er nun wisse, was für Füße die Herdmanndli haben. Die Zwerge aber ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten dem Kirschbaum Ast um Ast und ihrer keines kam jemals wieder herunter, den Menschen hilfreich zu sein. Sie blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft wohnen. Der Hirte aber wurde ganz tiefsinnig, schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.

Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Meersburg 1930

Top

Der Dürst

Um den moorigen See auf dem Pilatus und im ganzen Berggehege tobt der Dürst, das ist der wilde Nachtjäger, wie in Thüringen, im Vogtland und am Harz, der hat zur Gesellschaft auch ein gespenstig Weib, wie der Hackelberg die Tut-Osel, der wilde Jäger Thüringens die Frau Holle und der des Vogtlandes die Frau Berchta, die heißen sie drunten im Entlibuch, hart an des Bergstocks Westwand, das Posterli, und in Luzern kennen sie die Sträggele, die, wie die Hollefrau und die wilde Berchta, den faulen Mägden die Rocken wirrt. Mit gar wildem Saus und Braus fährt der Dürst über die Almen daher, reißt und rüttelt an den Sennhütten, bricht mächtige Baumstämme, wirft Felsen in die Gründe und führt wohl auch Kühe mit sich hoch in die Luft, die nimmer wieder herunterkommen oder halbtot und ausgemolken etwa erst am dritten Tag. Wenn ein Hirte das gewahr wurde, konnt' er noch Einhalt tun durch den Alpsegen, wenn er den zeitig durch einen Milchtrichter rief, dass der Dürst ihn noch hören konnte, so sank die entführte Kuh ganz sanft wieder auf die Matte nieder.

Auf der Bründler Alp über Eigenthal kann man wohl noch heute den Alpsegen im Abendruf der Sennhirten vernehmen, der lautet gar wunderbar durch die Feierstille der Natur, wie Orgeltöne und Glockenklang, und widerhallt aus allen Klüften die Flichbanden nieder, wie Geistermusik. Das ist der Ruf und der Segen: Ho - ho - ho - öh - ho! - Ho - hi - ho - ho! - Ho lobe! Ho lobe! - Nehmet alle Tritt in Gottes Namen, in unserer lieben Frauen Namen! Lobi Jesus, Jesus, Jesus Christ! Ave Maria! Ave Maria! Ave Maria! Ach, lieber Herr Jesus Christ, behüt Gott aller Leib, Seel, Ehr und Gut, was in die Alp gehören tut. Das walt Gott und unsre herzliebe Frau, das walt Gott und der heilige Sankt Wendel! Das walt Gott und der heilige Sankt Antoni! Das walt Gott und der heilige Sankt Loy! (Aloysius.)

Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Meersburg 1930

Top


Weggis am Vierwaldstätter See und der Pilatus.

Wasser ist mehr als H2O!

Bitte helfen Sie uns dabei, die Liste der aufgeführten und besprochenen Brunnen, Quellen und sagenhaften Gewässer zu vervollständigen.

Mit Ihren Bild- und Textbeiträgen können Sie mit dazu beitragen, dass die einstige hohe Bedeutung des Wassers in Volkskunde und Religionen nicht in Vergessenheit gerät. Bitte beachten Sie hierbei, dass wir aus urheberrechtlichen Gründen ausschließlich Fotos verwenden können, die Sie selbst gemacht haben.

Über Ihre Anregungen und Mitarbeit freuen sich Klaus Kramer und Team.