texte

Methangas statt Fischmehl

Fischfarmen setzen auf neue Fütterungskonzepte und Anlagen – damit die Zucht ökologischer wird

© Erling Svensen / WWF-Canon

© Erling Svensen / WWF-Canon

Von Nik Walter

Kann das schmecken? Ein Lachs, der mit Holzschnitzeln oder Methangas gefüttert wird; Kopfsalat, der auf einer Fischkotbrühe wächst; oder Meerbrassen, die mit Schlachtabfällen gemästet werden? Manche mögen da die Nase rümpfen. Doch schon bald könnten solche Praktiken im Zentrum einer ökologischen und nachhaltigen Fischzucht stehen.

In Zeiten, in denen wegen notorisch überfischter Meere die Quoten des Fangs aus den Ozeanen bei rund 90 Millionen Tonnen pro Jahr stagnieren oder gar zurückgehen, sind Alternativen gefragt. Kein Wunder, boomt weltweit die Aquakultur, also die Zucht von Fischen, Muscheln, Crevetten, Algen und vielem mehr, was in Ozeanen, Flüssen und Seen lebt. Die jährliche Zuwachsrate beträgt seit Jahrzehnten rund sieben Prozent. Heute stammt jeder zweite Fisch, der auf einem Teller landet, aus einer Zucht.

Und der Bedarf wird weiter steigen. Denn Fisch gilt nicht zuletzt wegen des teils hohen Gehalts an Omega-3-Fettsäuren als gesund. Zudem müssen künftig gegen neun Milliarden Menschen ernährt werden. Schon heute ist die Aquakultur derjenige Sektor der Nahrungsmittelproduktion, der am schnellsten wächst, und er wird dies auch künftig tun, darüber sind sich die Experten einig.

Denn die Fischzucht schneidet im Vergleich zur Geflügel- oder Schweinemast ökologisch besser ab. Für die Produktion von einem Kilo Fisch brauche man etwa ein Kilo Futter, sagte der Fischereiexperte Jeffrey Silverstein vom US-Landwirtschaftsministerium im Februar an der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Boston. Für ein Kilo Poulet braucht es das Doppelte und für ein Kilo Schweinefleisch sogar mehr als drei Kilo Futter.

Norwegische Lachsfarmen hatten einen miserablen Ruf

Auch bei der CO2-Bilanz schneidet Fisch gut ab. Seine Mast verbraucht in etwa gleich viel Kohlendioxid-Äquivalente wie die Geflügelproduktion, aber nur halb so viel wie die Schweine- oder gar nur ein Zehntel der Rindermast.

Als die kommerzielle Fischzucht Anfang der 1980er-Jahre zu boomen begann, hatte sie schnell einen schlechten Ruf. So wurden damals ganze Fjorde an der norwegischen Küste mit Lachsfarmen zugepflastert. «Mit verheerenden Folgen für die Umwelt», wie der Aquakulturexperte Andreas Stamer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) in Frick weiss. Zu den Problemen zählen: Verschmutzung der umliegenden Ökosysteme mit Exkrementen und Futterabfällen, Kontamination mit Antibiotika, Überfischung der Meere als Quelle für Fischmehl für Zuchtfische sowie die Übertragung von Krankheiten und Parasiten auf wild lebende Fischpopulationen.

Das muss alles nicht sein. Denn Lachse und andere Fische kann man mittlerweile auch nachhaltig und umweltschonend züchten, wie jüngste Entwicklungen zeigen. So produziert die Firma Valperca im Wallis seit rund drei Jahren erfolgreich und nachhaltig Egli; in Kanada und anderswo werden erste in sich abgeschlossene Kreislaufanlagen für die Lachszucht gebaut, und in Norwegen tüfteln Forscher an unproblematischen Futterquellen wie Hefe, Bakterien oder Algen.

Fortschritte hin zu einer nachhaltigen Aquakultur gibt es vor allem auf zwei Ebenen: bei den Zuchtanlagen und bei der Zusammensetzung des Fischfutters.

Noch Anfang der 1990er-Jahre bestand kommerziell eingesetztes Fischfutter in erster Linie aus Fischmehl und Fischöl. Es wird aus nicht als Speisefische brauchbaren Wildfängen produziert. In den letzten 20 Jahren ist der Anteil von Fischmehl und Fischöl im Fischfutter aber deutlich zurückgegangen. In Lachsfutter etwa hat es heute nur noch gut 15 Prozent Fischmehl und 10 Prozent Fischöl, Tendenz weiter sinkend.

Ersetzt wurden Fischmehl und Fischöl vor allem durch pflanzliche Eiweisse und Öle wie etwa Soja, Weizen, Raps oder Kartoffeln. Das hat aber zu neuen Problemen geführt. Zum einen fressen die Fische auf diese Weise Nahrung, die der Mensch direkt verzehren könnte. Zum anderen sind die pflanzlichen Öle nicht gleich gesund wie die Omega-3-Fettsäuren im Fischöl. Zudem besitzen Pflanzen sogenannte Antinährstoffe, die bei Fischen zum Beispiel schwere Darmentzündungen auslösen können.

Futter aus Mikroben verhindert Darmentzündungen

Die Zukunft bei der Fischfütterung gehört deshalb nicht den Pflanzen, sondern den Mikroorganismen. «Einzellige Organismen sind vielversprechend», sagt Andreas Stamer, der selber ein Fischfutter auf Fliegenlarvenbasis entwickelt. Denn Hefe oder Einzeller könne man hygienisch und einfach herstellen – und erst noch, ohne dabei die menschliche Nahrungskette zu konkurrenzieren.

Wie Mikroorganismen künftig im Fischfutter landen könnten, weiss die Ernährungswissenschaftlerin Margareth Øverland. Sie experimentiert an der norwegischen Universität für Lebenswissenschaften mit Bakterien, die Methangas «fressen», mit Hefezellen, die auf Holzschnitzeln wachsen, und mit Mikroalgen, die mithilfe von Sonnenlicht und CO2 gedeihen (und Omega-3-Fettsäuren produzieren).

«Das ist die Zukunft», sagte Øverland an der AAAS-Tagung. Sie konnte bereits zeigen, dass Futter aus Mikroben – anders als pflanzliche Nahrung – keine Darmentzündungen auslöst. Zudem scheint Bakterienfutter, zumindest bei Hühnern und Schweinen, die Fleischqualität zu verbessern. «Die Mikroben sind für die Fische eine Art probiotisches Joghurt», sagte sie. In etwa vier Jahren, hofft Øverland, kann man mit Methangas gezüchtete Bakterien industriell produzieren.

Auch bei den Fischzuchtanlagen tut sich einiges. Vier Konzepte stechen dabei heraus:

→ Immer populärer werden Kreislaufanlagen. Diese in sich geschlossenen Systeme können dort gebaut werden, wo es eine Nachfrage nach Fisch gibt, also nahe beim Konsumenten. Wegen der genau kontrollierten Wasserqualität kann in der Regel auf Antibiotika und andere Medikamente verzichtet werden. Nachteil: Kreislaufanlagen brauchen relativ viel Energie und rentieren daher bislang nur in seltenen Fällen.

→ Sogenannte aquaponische Systeme verbinden Fischzucht mit Gemüse- oder Salatanbau. Aquaponische Systeme können nahe beim Konsumenten gebaut werden. Nachteil: relativ grosser Landbedarf.

→ Bei einer «integrierten multitrophischen Aquakultur» werden mit den Abfällen aus der Fischzucht andere Organismen gefüttert, etwa Muscheln und Algen. Diese Systeme sind auf eine Strömung angewiesen.

→ Unternehmen wie Ocean Farm Technologies testen kugelförmige Grosskäfige, in denen sie im offenen Meer Speisefische züchten wollen. Die Fütterung ist automatisiert. Die gezüchteten Fische sollen gesünder sein und schneller wachsen. Technologie und Betrieb sind aber teuer.

Zudem haben die Anlagen im Meer einen weiteren Nachteil: Sie sind Naturgefahren weit stärker ausgesetzt als etwa Kreislaufanlagen an Land. Immerhin: Ein Testkäfig von Ocean Farm Technologies vor der Küste Puerto Ricos hat bereits einen Hurrikan problemlos überlebt.

Weniger Glück hatte eine biologische Lachsfarm vor der Küste Nordirlands. Im November 2007 machten sich Milliarden von Feuerquallen – ein roter Teppich auf dem Meer – über die Lachszucht her und töteten mit ihrem Gift alle über 100 000 Fische im Wert von rund zwei Millionen Franken. Besonders bitter: Das Weihnachtsgeschäft stand unmittelbar bevor, und die Lachse waren alle schlachtreif.

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 12. Mai 2013