16.03. - 06.04.2024
Matchsticks for My Bones
Tanja Weidmann



























Vernissage: 16.03. / 18h00

Experimentelle Konzertlesung: 23.03.24 / 18h00

mit Christoph Schiller & Eric Ruffing
‚Ein Wintertag‘ ist ein Text von Christoph Schiller, dessen Semantik durch verschiedene Verfahren bereits in seiner schriftlichen Form stark zersetzt wurde. Im Live-Vortrag verwandelt er sich noch weiter in Klang, doch entstehen im Zusammenspiel zwischen Stimme und Eric Ruffing’s Elektronik auch neue semantische Räume.

Finissage: 06.04. / 19h00




I. Die Ausstellung
Die Einzelausstellung „Matchsticks for My Bones“ der Basler Künstlerin TanjaWeidmann präsentiert eine Reihe neuer Werkgruppen bestehend aus Zeichnungen, Objekten und Keramiken. In der Kombination aus natürlichen Materialien wie Asche, Holz, Tonerde, Graphit, Gips oder Jute, sowie verschiedenen Techniken und Themenkomplexen entsteht im Raum ein assoziativ dichtes Beziehungsgeflecht, das die Arbeiten zu einem eigenen Kosmos verbindet. Tanja Weidmann verarbeitet in ihren Werken Mythologien, Traumbilder und Erlebnisse zu einem erzählerischen Gewebe, wobei das Organische, Wachsende und Wandlungsfähige in den Vordergrund rücken. Ihr künstlerischer Ansatz gleicht dem einer Forschenden in einer archäologischen Ausgrabung. Die „Funde“ beginnen zu sprechen: Knochen und Erde bergen Erinnerungen, Rituale lassen Materie lebendig werden und Ahninnenfiguren erzählen von den ursprünglichen Kräften und der Magie des Lebendigen. Wiederkehrende Motive sind die Behausung, das Gefäss, Zellstrukturen, Verkörperungen, die fünf Elemente. Mit ihrer Auswahl des jeweiligen Materials, dessen Art der Bearbeitung - der damit erzeugten Materialität - und einer Formensprache, die archaische Elemente aufgreift und übersetzt legt Tanja Weidmann die Fährten aus. Die Spuren sind sichtbar für das Auge, das sich von der Intuition
leiten lässt. Ihre Werke erscheinen zugänglich, offen, lassen sich erkunden und befragen - dabei entziehen sie sich der einseitigen Definition. In diesem Sinne vollzieht die Künstlerin mit ihren Werkgruppen Transformationsprozesse, die den ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens sprichwörtlich versinnbildlichen. Die Ausstellung erzählt Geschichten in und mit Bildern und Objekten, zu der die Besucher*innen herzlich eingeladen sind teilzunehmen.

II. Notizen zu den Werkgruppierungen
Zünde dein Leben an, und suche diejenigen, die deine Flammen nähren. Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207-1273)

Das Gefäss
Es gleicht einem seltsamen Ritual: sie steht irgendwo und sucht minutenlang nach dem einen Ding in ihrer Handtasche. Ihre Handtasche ist sehr gross, gleicht mehr einem unförmigen Beutel mit Tragriemen als einer üblichen, geschneiderten Tasche mit diversen Fächern und Verschluss. Und so belieben in diesem geräumigen Behältnis die Gegenstände zeitweise zu verschwinden und sind daher oft nur mühsam wieder aufzuspüren. Geduld ist dann gefragt. Gleichmut. Nie ging etwas darin verloren. Ihr Beutel mag oft unpraktisch sein, unpassend für manchen Anlass und ein Kontrast zum Rest der Garderobe. Aber sie hält daran fest. Es gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit zu wissen alles dabei zu haben. Ihr Leben mit sich zu tragen, unabhängig und auf alle Eventualitäten hin ausgerüstet zu sein. Ihre Mutter pflegte die eigene Handtasche monatelang zu tragen und nur sehr selten zu entleeren. Fasziniert schaute sie als Kind dabei zu, wenn die Mutter dann eines Tages die Handtasche auf dem Tisch ausschüttete und das angehäufte Hab und Gut sortierte. Das gesammelte Leben einer berufstätigen Mutter und Ehefrau kam zum Vorschein. Kleine Andenken, Erinnerungen, Dinge die bewahrt werden und Dinge die versorgt oder entsorgt werden. Die Tasche, der Beutel, die Vase, die Schale - alle sind Gefässe und Behältnisse. Sie dienen dazu Dinge zu fassen und zu halten. Es sind die Werkzeuge der Sammelnden. Zur Zeit der Nomaden war so ein Gegenstand nicht nur praktisch sondern lebensnotwendig. Gesammelt und bewahrt wurden Beeren, Kräuter, Wasser, Werkzeuge, Feuerholz, Talismane, Knochen, Steine... die Frauen, so heisst es, waren diejenigen in der Sippe die sammelten. Und die mit Behältnissen ausgerüstet gar den Löwenanteil der Nahrung für das Überleben der Angehörigen bestritten. Wie sehr unterscheidet sich ihre Tätigkeit von der Jagd mit spitzen, harten, geschärften Waffen. Vom Verfolgen, Hetzen und Erlegen von Beutetieren. Es wäre zu abwegig daran festzuhalten, dass diese sich stetig wiederholten Handlungsabläufe keine prägenden und dauerhaften Einwirkungen auf das menschliche Erb- und Gedankengut hätten. Das Gefäss - der Kelch - ist das Symbol der Göttinnen, der Schöpferinnen. Ein friedvoller Körper, ein Raum der Leben entstehen lässt und Leben bewahrt.

Die Schlange
In den vom Christentum geprägten Kulturen haftet der Schlange ein bedenklich schlechter Ruf an, den es zu häuten gilt. Die Schlange des biblischen Paradieses war sicherlich eine Meisterin der Suggestion und Verführung. Man setzt dies gleich mit den negativen Wesenszügen der Hinterlist und Bosheit. Zu Unrecht. Die allgemein gehegten Vorstellung von Sünde und Schuld färben die Interpretationen westlicher Erzählungen von Schlangenwesen bereits in der antiken Mythologie. Medusa und Hydra gelten gleichermassen als schand- und schadhafte, weibliche Individuen. Sie wären im Grunde als begabte, mächtige Wesen zu beschreiben. Schicksalsfiguren denen durch die Furcht und Misogynie Unrecht getan wurde. Diese Deutung spricht allerdings gegen die herkömmlichen dominanten Sichtweisen. Eva wurde für ihre Wissbegier vergleichsweise milde bestraft, ihr fruchtbarer Körper war von Wert und Nutzen und so durfte sie, anders als Medusa oder Hydra, weiterleben. Weiblichkeit gepaart mit Kraft und Macht gilt seit jeher vornehmlich als suspekt, wenn nicht als gefährlich. Zu verlockend. „Trust in me ...“ säuselt die Schlange Kaa geschmeidig, hypnotisch und spielerisch in Walt Disneys Zeichentrickfilmklassiker von 1967 um das Menschenkind Mowgli zu verführen. Die Schlange verkörpert ganz im Sinne der christlichen Tradition eine Gefahr, aber ausgesprochen böse oder bedrohlich erscheint sie uns bei Disney nicht. Der Film basiert auf den Erzählungen und Gedichten des britischen Autors Rudyard Kipling, einem Mann des 19. Jahrhunderts, dessen kolonialistisches Weltbild von den US-amerikanischen Drehbuchautoren reproduziert wurde. Sie haben sich allerdings nicht in allen Aspekten an das Original gehalten. Und so wurde die Rolle von Kaa umgeschrieben und aus der Hilfe leistenden Figur wurde das listige und letztlich scheiternde Raubtier. Unsere Erzählungen und Geschichten verkünden eine Moral, ein Schwert das Gutes vom Bösen trennt. Es läuten die Glocken. Die Ahninnen Die Erzählungen der „Cantadora“ Clarissa Pinkola Estés sind ein Segen, sind Balsam, Heilmittel und ein grossartiger Schatz. Ihr Buch „Die Wolfsfrau“ fand seinen Weg auf wundersame Weise durch eine wundervolle Person und half durch eine Phase der Trauer und des Neuanfangs. Wir verdanken unseren Seelenfrieden solchen guten Geistern, die dann zu uns sprechen wenn wir stumm und blind nach Orientierung suchen. Wenn der Boden unter den Füssen aufreisst, die Erde bebt. Schau nach unten. Sieh dort die starken Ahninnen unter deinen Füssen. Wir stehen auf deren Schultern, sind verbunden und verwurzelt mit den Leben unserer Vorgängerinnen: der grossen Mutterfiguren... der Urmutter. Das Leben steckt tief in den Knochen. So erzählt die Cantadora: „Es gibt eine alte Frau, La Loba genannt. Sie kriecht gebückt durch die karge Landschaft, durch ausgetrocknete Flussbetten und klettert über die einsamen Bergkämme. Dabei sucht sie unter den Steinen und Sträuchern nach den Knochen verstorbener Wölfe. Und wenn sie ein Skelett vollständig zusammengetragen hat, wenn sich der letzte Rückenwirbel am richtigen Platz befindet und das Wolfsgerippe schön geordnet vor ihr auf der Erde liegt, dann lässt sie ihre alten Hände darüber schweben und singt. Sie steht mit erhobenen Armen über den Wolfsgebeinen und lässt einen Gesang ertönen, ein Lied für jede Knochenkreatur. La Loba besingt die Knochen, singt unaufhörlich, bis Gewebe und Fell beginnen zu wachsen und die Knochen zu umspannen, bis der Wolf zu atmen beginnt. Ihr Gesang wird immer voller und tiefer. Während sie weiter singt öffnet der Wolf seine Augen, springt auf und rast davon, schnell wie der Wind. Wer gute Augen hat, wird weit in der Ferne sehen, wie das Tier seine Gestalt wechselt, sich in eine Frau verwandelt, die sich laut auf-lachend schüttelt und hinter dem Horizont verschwindet.“

Der Odem
Ein. Und aus. Den Atem stetig und ruhig fliessen lassen. Ich greife nach den fünf Kilo Kurzhanteln und denke an das Meer. An das rhythmische Rauschen der Wellen. Lasse meinen Atem hörbar werden. Ein leiser Wind durch die geschlossenen Lippen. Im Atmen den eigenen Rhythmus finden. Das Gesetz der Gravitation ist nicht länger bloss eine abstrakte physikalische Formel. Mein Körper weiss mehr als mein Geist je begreifen wollte. Ich bewege die Muskeln, hebe und senke die Gewichte. Wie der Mond die Wassermassen des Ozeans bewegt. Anschwellen und abschwellen. Anspannen und entspannen. Ebbe und Flut. Ein geradezu sublimer Gedanke. Eine nahezu kosmische Vorstellung. Ich blende die funktionale, profane Umgebung aus. Schliesse die Augen. Mein Körper hat die Abläufe verinnerlicht. Alles was zählt ist die Bewegung der Muskulatur im Gleichklang mit den Bewegungen der Lunge. Das Meer in meinen Zellen atmet. Zyklisch. Ein. Und aus.

Text: Alice Wilke