Israels Armee – noch immer eine der besten?

Nach dem Krieg in Libanon 2006 hatte es verbreitet Kritik an der Einsatzfähigkeit und Wirksamkeit der israelischen Armee gegeben. Inzwischen scheint man die Lehren gezogen und die ursprüngliche Schlagkraft wiederhergestellt zu haben.

Faustus Furrer
Drucken

Nach dem Libanonkrieg im Sommer 2006 waren der israelischen Armee schwerwiegendes Versagen und Schwäche im strategischen Denken vorgeworfen worden, und es gab Stimmen, die behaupteten, die israelischen Streitkräfte befänden sich nicht mehr in dem gewohnt hervorragenden Zustand. In der folgenden Zeit wurde diesen Mängeln mit neuen Ausbildungskonzepten und angepassten Kampfverfahren sowie mit einer wesentlich verbesserten Logistik Rechnung getragen, so dass der Krieg von Ende 2008 gegen den Gazastreifen rein militärisch als Erfolg betrachtet werden konnte. Marine, Heer und Luftwaffe erreichten grösstenteils die ihnen vorgegebenen Ziele. Eine Nachkriegs-Analyse ergab, dass mit neuen Waffen und Systemen sowie angepassten taktischen Verfahren zur asymmetrischen Kriegsführung die Schwächen der israelischen Armee, die im Libanonkrieg von 2006 bestanden, überwunden wurden.

Gemischte Kriegsbilanz

Trotzdem fiel die politische und sicherheitspolitische Bilanz gemischt aus. Die Frage, inwieweit ein Angriff dieses Ausmasses angebracht war, ist nicht Gegenstand dieses Artikels. Dass sich die israelische Armee im letzten Jahr auch mit negativen Schlagzeilen beschäftigen musste, soll aber nicht verschwiegen werden. So haben der Goldstone-Bericht, der Angriff auf die Gaza-Unterstützungs-Flottille und verschiedene Vorwürfe gegen hohe Amtsträger dem Ansehen der Armee geschadet. Auch die noch ausstehende Beschlussfassung des Uno-Menschenrechtsrates zum Goldstone-Bericht dürfte die Armee noch länger beschäftigen.

Es stellt sich also die Frage, wie die Armee die Wende in so kurzer Zeit zustande brachte. Nach dem Libanonkrieg war rasch klargeworden, dass die rechtlichen Grundlagen der Kriegführung nicht revidiert werden müssen. Die allgemeine Wehrpflicht von drei Jahren für Männer und zwei Jahren für Frauen wurde beibehalten. Der Libanonkrieg zeigte aber auch, dass mit einer technischen Überlegenheit allein, ob am Boden oder in der Luft, ein Krieg nicht gewonnen werden kann. Der damalige Generalstabschef Dan Halutz hatte zu sehr auf «seine» Luftwaffe und die technischen Möglichkeiten vertraut. Und auch im Heer war man der Annahme, man könne eine Gruppe mit einem GPS praktisch aus einem zurückversetzten Kommandoposten per Laptop führen. Falsche Annahmen und eine ungenügend ausgebildete Reserve führten zu den empfindlichen Rückschlägen.

Drei Prioritäten

Nach seinem Amtsantritt im Februar 2007 setzte der neue Generalstabschef, Gabi Ashkenasi, neue Schwerpunkte. Drei Prioritäten sollten das Denken im Generalstab leiten. Erstens müsse man den Gegner kennen wie sich selbst. Zweitens muss der Krieg auch geführt werden. Und drittens muss der Krieg vorbereitet werden. Man ist versucht, zu glauben, Ashkenasi habe die Reihenfolge verwechselt, weil doch zuerst der Krieg vorbereitet werden muss, bevor man ihn führt. Mit der gewählten Reihenfolge der Prioritäten wollte Ashkenasi deutlich machen, dass sich die israelische Armee ständig im Krieg befindet und dass die laufenden Aktionen höchste Priorität geniessen. Planungen und Konzeptstudien jeder Art haben Priorität drei. Für die Ausbildung des Heeres lautete Ashkenasis These: «Wer den Verteidigungskampf beherrscht, kann auch im Bewachungsdienst eingesetzt werden. Aber nicht umgekehrt.» Soldaten, die zu lange nur Polizeieinsätze in Cisjordanien leisten, sind an der Kampffront nicht mehr unmittelbar einsetzbar. Zudem dürfen «weiche» Faktoren wie Moral, Disziplin und Vertrauen in die Vorgesetzten und die Mitkämpfer nicht unterschätzt werden.

Diese an und für sich unspektakulären Vorgaben und Erkenntnisse wurden von allen verstanden und kompromisslos umgesetzt. Sie stellten hohe physische wie waffentechnische Anforderung an Kader und Soldaten. Intensive Gefechtsausbildung in Bataillonsstärke wurde wieder durchgeführt, und der Kampf der verbundenen Waffen wurde 1:1 geschult. Ashkenasi schloss den Transformationsprozess erfolgreich ab und wurde am 13. Januar 2011 durch Generalleutnant Benny Gantz abgelöst. Der ehemalige Fallschirmjäger Gantz ist der 20. Generalstabschef Israels.

Sieben Bedrohungen

Eine Besonderheit für Israel ist es, dass die Armee nicht nur Antworten auf eine einzelne Bedrohung haben muss, sondern gleich auf sieben. Militärisch ausgedrückt ergeben die sieben Nachbarländer sieben verschiedene Feindbilder in sieben verschiedenen Kampfräumen und erfordern deshalb sieben verschiedene Einsatzverfahren. Das stellt hohe Anforderungen an die strategischen Planer im Generalstab. Wenn man die Frage «Israels Armee – immer noch eine der besten?» beantworten will, muss man das gesamte Umfeld, in dem sich die Streitkräfte zu bewegen und in dem sie zu kämpfen haben, mit einbeziehen.

Formell befindet sich Israel mit Libanon noch immer im Kriegszustand. Der von Iran unterstützte Hizbullah ist aus israelischer Sicht eine schiitische Terrororganisation. Zwar herrscht seit dem 14. August 2006 ein Waffenstillstand zwischen Israel und dem Hizbullah. Aber Friede herrscht an der israelischen Nordgrenze nicht, und bis vor wenigen Wochen wurde der Hizbullah in Israel noch als die unmittelbarste Bedrohung empfunden. Aufgrund der jüngsten politischen Veränderungen im Nahen Osten wird die Lage jetzt allerdings anders beurteilt.

Das Gebiet im Norden ist sehr hügelig, unübersichtlich, bewaldet und mit Ortschaften durchsetzt. Es handelt sich um ein Gelände, in welchem sowohl Infanterie- wie Panzerkräfte zum Einsatz kommen können. Stellenweise handelt es sich um reines Gebirgsinfanterie-Gelände. Hier wird Krieg gegen einen Gegner geführt, den man tagelang nicht sieht und durch den man trotzdem stets unter Raketen- und Panzerabwehrwaffen-Beschuss geraten kann.

Noch immer im Kriegszustand

Formell befindet sich Israel auch mit Syrien noch immer im Kriegszustand. Der Überraschungsangriff der Syrer im Jom-Kippur-Krieg von 1973, als mehr als 1000 syrische Panzer auf die Golanhöhen vordrangen, ist in Israel unvergessen. Der Golan ist ein Hochplateau mit einer Länge von 60 und einer Breite von 25 Kilometern und ist für die israelische Armee von strategischer Bedeutung. Das Gelände ist offen, gut einsehbar und flach. Es handelt sich um reines Panzergelände. In die elektronische Luftraumüberwachung auf dem Hermongebirge und dem Golan hat Israel Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe für verschiedene Führungs-, Alarm- und Einsatzsysteme getätigt.

Die Armee unterhält auf dem Golan mehrere grosse Truppenübungsplätze. Hier können die Panzerbrigaden im möglichen Kriegs-Einsatzgebiet geschult werden. Für mehrere Panzerbrigaden ist das Golan-Plateau die Heimatbasis. Im Ernstfall würde Israel hier gegen mindestens vier syrische Panzerdivisionen kämpfen. Diese Bedrohung ist real. Eine weitere, noch grössere Bedrohung stellen die Boden-Boden-Raketen und eine grosse Menge chemischer Waffen dar.

Mit Jordanien hat Israel 1994 Frieden geschlossen und unterhält recht freundschaftliche Beziehungen. Hingegen könnte sich der «kalte Frieden» mit Ägypten rasch noch mehr abkühlen. Ein Wahlerfolg der islamisch-fundamentalistischen Muslimbruderschaft würde die Kräfteverhältnisse nicht nur verändern, sondern geradezu umstürzen. Die israelische Armee stünde einer der modernsten und am besten ausgebildeten Armeen im arabischen Raum gegenüber. Der Grenzverlauf entlang der Negevwüste zur Sinaihalbinsel ist im Norden relativ flach und im Süden von Gebirgen, Tälern und Erosionskratern durchzogen. Dieses Panzergelände weist nur geringe Deckungsmöglichkeiten auf und setzt Motoren und Aggregate höchsten technischen Anforderungen aus.

Besondere Voraussetzungen

Besondere Voraussetzungen für die militärische Planung bieten die besetzten Gebiete des Gazastreifens und Cisjordaniens. Der Gazastreifen ist mit einer Länge von 40 und einer Breite zwischen 6 und 14 Kilometern etwas kleiner als der Kanton Obwalden, weist aber mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern eine 40 Mal grössere Bevölkerungsdichte aus. Damit ist klar, dass es sich bei einer möglichen Intervention um Einsätze in dicht besiedeltem Gebiet, militärisch ausgedrückt um Orts- und Häuserkampf, handelt. Zusammenhängende Operationen wie zum Beispiel auf dem Golan oder im Sinai sind nicht denkbar. Die asymmetrische Kampfführung ist komplex, heikel, wird durch die öffentliche Meinung wesentlich beeinflusst und stellt höchste Anforderungen an die Führung.

Das besetzte Westjordanland wiederum ist kaum grösser als der Kanton Bern. Es handelt sich um eine Hügellandschaft mit vielen fruchtbaren Tälern. Das Westjordanland ist für Israel eine militärisch-strategische Pufferzone gegen Angriffe durch Bodentruppen seitens der Nachbarländer. Einige wichtige Luftabwehrbatterien in den höher gelegenen Gebieten sollen für eine bessere Reaktionszeit und dadurch für mehr Sicherheit sorgen. Für allfällige palästinensische Terror- oder Störaktionen müssen sehr bewegliche Sicherheitskräfte bereitstehen. Es handelt sich hier freilich um Polizeiaktionen weit unter der Kriegsschwelle.

Iran ist natürlich kein Nachbar von Israel. Die nukleare Aufrüstung, einhergehend mit dauernden Drohgebärden, stellt in der Gesamtheit der möglichen Szenarien jedoch die grösste Bedrohung für Israel dar. Ballistische Lenkwaffen können das Land bereits heute erreichen. Die israelische Luftwaffe ist mit der Ausarbeitung entsprechender Abwehrpläne beschäftigt.

Erfolgsrezepte

Mit einem Gesamt-Armeebestand von etwas mehr als 170 000 Mann in Friedenszeiten, welcher in kürzester Zeit mehr als verdoppelt werden kann, verfügt Israel über eine Streitmacht, die im Falle eines Angriffs ein Heer von mehr als 300 000 Mann, eine Luftwaffe in der Grössenordnung von 50 000 Mann und eine Marine mit über 10 000 Mann mobilisieren kann. Die Erfolge der israelischen Streitkräfte beruhten jeweils darauf, dass alle Anstrengungen konsequent auf ihre Wirksamkeit und Effizienz in Bezug auf die effektiven Bedrohungs- und Finanzierungsmöglichkeiten überprüft wurden. Geld wird nur in eine Kampfwertsteigerung investiert. Zudem wurden sämtliche Erkenntnisse durch den Generalstab, in engem Kontakt mit der Rüstungsindustrie, unmittelbar umgesetzt.

Es ist der Armeeführung, der Rüstungsindustrie und der Politik gelungen, für die unterschiedlichsten Einsatzarten die entsprechenden Waffen und Geräte fristgerecht und auf höchstem technischem Niveau zur Verfügung zu stellen. Israel verfügt heute wieder über eine der modernsten Armeen der Welt, ausgerüstet mit Hightech-Geräten und bestens geschulten Kampfverbänden.

Israels Armee ist die beste Armee im Nahen Osten. Die Gründe dafür sind im Wesentlichen die folgenden: Das Land besitzt eine sehr leistungsfähige, unabhängige und auf dem neuesten Entwicklungsstand produzierende Rüstungsindustrie und hat mit den USA einen zuverlässigen und kompetenten Partner. Zudem kooperiert Israel mit Deutschland und Indien in sehr wichtigen Rüstungsprojekten. Und israelische Bürger betreiben in vielen Ländern ein gewinnbringendes Beziehungsgeflecht.

An vorderster Front

Ein enormer Verbesserungswille und Erfindergeist bei den Streitkräften führt zu laufenden Kampfwertsteigerungen an Waffen und Geräten. Dafür sind keine langjährigen Konzeptstudien notwendig. Die der Armee zur Verfügung gestellten Waffen und Geräte werden laufend mit modernster Technologie «nachgebessert» und sind jenen der Gegner im Nahen Osten überlegen. Die Ausbildung und ein möglicher Kampfeinsatz werden kompromisslos auf das jeweils erkannte Feindbild ausgerichtet. Die Geheimdienste operieren erfolgreich im Hintergrund und beschaffen die für die Kampfvorbereitungen und den effektiven Kampfeinsatz unerlässlichen Informationen über den Gegner. Der Kenntnisstand ist sehr hoch.

Die Ausbildung ist hart, anforderungsreich und umfasst auch wieder alte «Drillmethoden». Der Soldat glaubt nach durchlaufener Ausbildung, dass er ein Elitesoldat sei. Ein hochmotiviertes Kader, mehrheitlich mit Kriegserfahrung, hat Vorbildcharakter und ist glaubwürdig. Kommt die Gewissheit der Juden hinzu, dass ihr Volk bis heute immer überlebt hat.

Die Zusammenarbeit von Politik und Armeeführung ist sehr eng, und der Armee werden genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Politiker und Militärs sprechen offen über Krieg und Bedrohungsszenarien. Die Debatte über Krieg findet in Israel im öffentlichen Leben täglich statt. Die Begriffe Krieg und Tod werden thematisiert und nicht wie bei uns im besten Fall umschrieben. Die Erkenntnis, dass eine wirkungsvolle Streitmacht kontinuierlich reformiert und erneuert werden muss, macht die Armee Israels zu einer der besten der Welt.

Faustus Furrer, Divisionär a. D., war von 2003 bis 2010 Verteidigungsattaché in Rom mit Zuständigkeit für Israel (faustus.furrer@bluewin.ch).