«Wir wollen raus aus dem christlichen Ghetto»

Ruswil, ein Dorf im katholischen Luzerner Bauernland. Vom «Rössli», in dem einst die CVP gegründet wurde, geht es über den Platz in ein mit CDs vollgestopftes Ladenlokal. Im hinteren Teil verlegt die Stereoanlage einen gemütlichen Hip-Hop-Beat, und als nun jemand

Drucken

Ruswil, ein Dorf im katholischen Luzerner Bauernland. Vom «Rössli», in dem einst die CVP gegründet wurde, geht es über den Platz in ein mit CDs vollgestopftes Ladenlokal. Im hinteren Teil verlegt die Stereoanlage einen gemütlichen Hip-Hop-Beat, und als nun jemand eintritt, dreht ihn Roger Lustenberger, der Ladeninhaber, leiser. Ghetto geht anders.

Auf dem Sofa sitzen unter ihren Baseballkappen drei Hip-Hopper und trinken Cola. Lustenberger, lange Jahre DJ, setzt sich zu ihnen. «Was hast du damals aufgelegt?», fragt ihn David Wöhrle, Texter der Homies, einer Hip-Hop-Gruppe aus dem Aargauer Seetal. «Alles, was dem Ziel diente, dass die Leute um Mitternacht zu sind.» «Auch DJ Ötzi?» «Ja, auch dieses Niveau.»

Inzwischen hat Roger Lustenberger, 30, ein anderes Niveau. In seinem Laden in Ruswil verkauft er christliche Bücher und CDs. Und er hat kürzlich die «Beat Ministry» gegründet, eine Plattform für christlichen Hip-Hop, sogenannten Gospel-Hip-Hop. Eben ist die erste CD der Beat Ministry erschienen: «Beatlehem, Vol. 1».

Hip-Hop, war das nicht die Musik, in der nur über Sex und Gewalt gesprochen wird? Die Videoclips voller aufgemotzter Autos und williger Frauen? Roger Lustenberger hat 800 CD weggeschmissen, als er fromm wurde. «Aber nicht, dass du das falsch verstehst», sagt er, «es ist nicht Ausdruck des Christseins, alte CD in den Müll zu werfen.» Alle lachen. Dann, ernst: «Schau es als ein Aufräumen an.»

Der Berner hm-Clan ist, 1999 gegründet, vermutlich die älteste Gospel-Hip-Hop-Truppe der Schweiz. «Ich war schon als Teenager voll in diesem Hip-Hop-Zeugs», erzählt Ändu Marmet, 24, Stromer. Gleichzeitig sei der Glauben für ihn immer wichtig gewesen. «Viele sagten: Ui, jetzt wird er brav, jetzt darf er keine breiten Hosen mehr tragen. Aber die Band war der Beweis, dass das geht. Und dass man trotzdem nicht sonntags um 9 Uhr 30 auf der Kirchenbank sitzen muss.» Heute veranstaltet der hm-Clan in Bern regelmässige Hip-Hop-Gottesdienste. Es kommen fünf bis zehn Leute. «Die Leute sind schwer zu überzeugen», sagt Marmet. «Sie haben halt ein miserables Bild von der Kirche: stierer Verein, schlechte Musik.»

«Überleg mol, das cha doch ned alles gsi sii / Fühlsch ächt Befriedigung mit all dene Partys? / Frauegschichte, Drogenabentüür, all die Bacardis / Dänksch, so chönntsch go vo do, dis Läbe wär erfüllt gsii?» So reimt Sent aus Aarau, ein Rapper im Kapuzenpulli, mit Kreuz am Halskettchen. Wie er richten sich viele Schweizer Gospel-Hip-Hopper immer wieder ans junge Partyvolk, was dann ein wenig wie vertonte Jugendarbeit klingt. Tatsächlich war David Wöhrle, der Texter der Homies, lange Jugendarbeiter. Heute studiert er Theologie. «Ja, wir wollen die jungen Leute herausfordern», sagt er, «ihnen sagen, dass man das Leben auch anders anpacken kann, dass man sich nicht mit dem zufriedengeben muss, was man hat.»

Alois Leisibach, Musiker bei den Homies, hat bisher nicht viel geredet, aber jetzt schaltet er sich ein: «Wer's cool findet, soll es sich anhören. Wer nicht, halt nicht.»

Sehen sich diese jungen Musiker denn als Prediger? «Ja», sagt Ändu Marmet, «auf jeden Fall: Dinge aufzeigen, den Finger auf- und draufhalten. Hip-Hop ist die Freiheit, das zu sagen, was man denkt. Das gilt auch für uns.» Und Roger Lustenberger, der Manager der Beat Ministry, fügt an: «Wenn wir über Jesus rappen, heisst es, wir missionieren. Aber was ist, wenn einer ‹motherfucker› reimt? Predigt er damit nicht auch sein Weltbild?»

So oder so: Ihr Weltbild trennt die Gospel-Hip-Hopper um Welten von der teilweise prominenten Schweizer Rapszene mit Musikern wie Bligg, Gimma, Greis oder Stress. Kontakte bestehen kaum. Viele Konzerthäuser lehnen die frommen Rapper ab, halten sie für peinlich oder fürchten um das Image ihres Lokals.

In der «Beat Ministry» wollen die Gospel-Hip-Hopper darum auch Lobby- und Netzwerkarbeit betreiben. «Wir wollen raus aus dem christlichen Ghetto», sagt David Wöhrle, dessen Homies durchschnittlich zweimal im Monat auftreten – meist im Saal irgendeiner Kirchgemeinde, wo ein aufgeschlossener Pfarrer Hip-Hop nicht für Teufelszeug hält. Das Vorbild sind auch für diese jungen Musiker die USA: Dort schaffen es die bekanntesten Gospel-Hip-Hopper auch schon einmal in die Charts.