Cruise Tipps

Bergen (23.03.2017)

Schaut man in die Wettertabelle der Stadt, musste es passieren. Denn die letzten Male als wir hier waren, hatten wir prächtigen Sonnenschein. Bei über 200 jährlichen Regentagen stand uns also ein solcher rein statistisch bevor. Vom Anleger Bontelabo braucht man jedoch nur einmal kurz über die Straße und durch das große Steintor und man steht vor und bald in der Hakonshalle. Zur Zeit des namensgebenden Wikingerkönigs war hier Treffpunkt für wichtige Reichsversammlungen. Drinnen ist den mächtigen Steinfundamenten und Holzbögen der Anspruch abzulesen, über 750 Jahre Herrschaft zu symbolisieren. Wenn man rein könnte! Denn gerade als wir die Auffahrt wegen des irgendwie nicht nachlassenden Regens hinaufeilten, um uns in der Halle ein bisschen aufwärmen zu können, rauschte eine Fahrzeugkolonne heran. Auf dem Vorplatz waren bereits Soldaten eines Wachbataillons in ihren schönen blauen Uniformen angetreten. Ein paar wenige Herren und Damen in schwarzen Anzügen und ausgebeulten Jackentaschen, lässig über Sprechfunk plaudernd, deuteten freundlich darauf hin, wir mögen doch hier am Rande stehenbleiben. Eine schwarze Limousine hielt direkt vor uns, vielleicht zehn Schritte entfernt. Die Wagentür ging auf, König Harald V stieg aus. Einer der Begleiter reichte ihm sofort einen Regenschirm. Den gab er gleich weiter, an eine der Hofdamen. Sie war wohl die einzige in einem etwas feineren Kostüm und mit ziemlich viel Absatz. Hier bei den Regenpfützen doppelt ungeeignet. Einem handelsüblichen Geländewagen (wenigstens von außen) entstieg ein weiterer Herr. Ende 40, strenger Haarschnitt, Anzug eher von der Stange. Eine geflüsterte Frage an eine der Wachpersonaldamen, das ist der neue isländische Präsident – Gudni Thorlacius Johannesson. 2016 wurde der Hochschullehrer ins Amt gewählt. Wahrscheinlich deswegen, weil er im Gegensatz zu seinen sämtlichen Vorgängern und Mitbewerbern überhaupt gar keine persönliche Beziehung zu Wirtschaft hat, oder doch. Er gilt als Spezialist zu Island mit Studien über die Kabeljaukriege und Finanzkrise. Sicherlich weiß Präsident Johannesson die Geste von König Harald zu schätzen, ausgerechnet Bergen und die Hakonhalle für die erste offizielle Begegnung zu wählen. Galten doch die künftigen Isländer als die wagemutigeren Wikinger, die gerade hier in Bergen ihre zögerlichen Brüder zurückließen. Aber das ist schon über 1000 Jahre her. Für einen Historiker wie ihn jedoch gerade mal ein Wimpernschlag. Kaum verklingen die Salutdonner, melden sich auch ein paar Raben zu Wort. Bemerkenswerter Zufall. Waren es doch der Sage nach drei hungrige Raben, die den Wikinger vorausfliegend Richtung Island wiesen.

Für uns war hier auf Bergenhuis kein Weiterkommen. Der königliche Besuch beschlagnahmte die Gebäude. So ging es für uns gleich weiter in das alte Hanseviertel Bryggen. Der Regen hatte nachgelassen. So konnten wir ohne Nassrisiko den Kopf heben, um an den Fassaden die schönen Figuren und Schnitzereien zu sehen, die den Kaufmannsstolz vergangener Handelsepochen zur Schau stellt. Wie immer bei unseren Stadtspaziergängen gibt es Zeit für „dütt und datt“. Für Dinge, die als Mitbringsel mehr als das Schicksal eines Staubfängers verdienen, ist Bryggen der richtige Einkaufsort und der große Fischmarkt hat ja im Winter leider geschlossen.Bergen4

Um auch diesen Ausflug mit viel nordischer Landschaft zu garnieren, hatten wir eine Fahrt mit der Floibanen eingeplant. Die Seilbahn überwindet mit etwas über 20 Stundenkilometern, die Höhendifferenz von 302 Metern in nur knapp 8 Minuten. Die Trasse und oben das Aussichtsrestaurant gibt es schon seit über 100 Jahren. Die ersten Waggons waren aus Teakholz und kamen aus Baden-Württemberg, die neuen der vierten Generation sind aus Leichtmetall und eine österreichische Konstruktion für je 80 Gäste. Die Besonderheit ist das energiesparende Pendelsystem aus zwei korrespondierenden Kabinenwagen. Ganz oben liegt einem die ganze Stadt zu Füßen. Gut zu sehen sind auch die neuen Brücken, die jeweils Abkürzungen bieten zwischen den halbinselartige Stadtteilen. Hinten ums Eck lugt der Schornstein der AIDA heraus. Voraus, an dem anderen Anleger, liegt ein großes rotes Hurtigrutenschiff. So klare Luft, knirschender Schnee, ein weiter Blick. Und ein guter Abschluss unserer Nordlichtausflüge.

Bleibt noch auf dem kommenden letzten Seetag das Farewell an Bord. Wie immer mit vielen dekorativ geschnitzten Obst- und Gemüsekunstwerken.

Oder, wer es mag, auch die letzte Kunstauktion der Bordgalerie. Schon fast Tradition ist dabei eine „Seestück“ von Udo Lindenberg. Doch statt eines seiner „Likorellen“ für ein in etwa vierstelliges Budget zu kaufen, bleiben wir sparsam und ahmen ihn lieber direkt nach. Nehmen uns das Gläschen Likör, gehen an den Bug und sagen ein fröhlich- maritimes

„Auf Aida-sehen“

Bergen3

Trondheim (22.03.2017)

 

Trondheim hatte als Halbinsel an einer Flussmündung (des Nidelv) einen natürlichen und gut zu verteidigenden Hafen. Grund genug hier im Mittelalter den Sitz des Königs und damit die Hauptstadt zu etablieren. Olav II Haraldson, genannte der Dicke, hat sein komplettes Wikingerheer dazu verpflichtet, brave Christenmenschen zu sein, weil er hoffte, EIN mächtiger Gott könne die arbeitsteilig wirkenden Nordgottheiten der Feinde in Schach halten. Bei der Schlacht von Stilkestad um das Jahr 1030 verließ ihn sein Glück gegen die Dänen und Angelsachsen. Im Schlachtgetümmel tödlich getroffen, hielt er jedoch die kreuzgeschmückte Fahne hoch. Damit seine Wikinger nicht von der Fahne gingen, waren die Bischöfe so klug, in Rom gleich die Heiligsprechung zu veranlassen und mit dem Bau einer entsprechenden Wallfahrtstätte für ihn zu beginnen, die nicht zufällig, sondern wegen der einfach kopierten Baupläne ein bisschen wie Westminster Abbey aussieht. Dem gotischen Nidarosdom wurden seit seiner Fertigstellung 1152 besonders wirksame Mächte zugeschrieben. Deswegen ließen sich bis 1906 hier sieben norwegischen Könige krönen. Als dies in die Hauptstadt Oslo verlegt wurde, sollte an die ruhmreiche Geschichte erinnert werden und man begann in die Kassetten der Westfassade für über die Jahre verlorengegangene Figuren Helden und Heilige zu platzieren. Schulklassen haben auf ihren Exkursionen hier vor der Westfassade regelmäßig die Aufgabe unter den 40 Statuen die Könige ausfindig zu machen. Einfach ist es, wenn Namenstag ist, denn dann wird an diesen frisches Grün platziert. Eine der letzten Figuren ganz oben in der Spitze ist der Erzengel Michael. Der Steinmetz Kristofer Leirdal hatte zunächst keine Idee, wie dieser zu gestalten sei. Wir schreiben das Jahr 1965 und der auch musikverrückte Künstler hatte dann eine Offenbarung. Bob Dylan leitete beim Newport Festival eine Revolution ein, als er seine Gitarre elektronisch verstärkte und damit die Rockära lautstark einleitete. Leirdal war dies Grund genug ihn als modernen Helden zu sehen und dem zu schaffenden Erzengel sein Gesicht zu verleihen.

 

Trondheim hat aber noch mehr solcher seltsamen Geschichten. Dazu gehört der Fahrradlift. Nicht unweit der Kathedrale, einmal nur rüber über die schöne rote hölzerne Stadtbrücke Gamle Bybro in das Stadtteil Bakklandet geht es steil den Berg hinauf. Zu steil, wenn man, wie viele in Trondheim und erst recht in diesem Familienviertel mit dem Fahrrad unterwegs ist. Daher wurde ein Schlepplift installiert. Ein Fuß auf einem Zugeisen, einen auf dem Fahrradpedal, eine kleine Öremünze in den Schlitz (inzwischen geht das auch mit Handy-App) und schon ist man in Minutenschnelle oben.

 

Wir kamen von der anderen Richtung, denn mit einem Taxi haben wir uns hoch auf dem Berg zur Festung Kristiansten fahren lassen. Von hier hat man einen herrlichen Blick über die Stadt, den sich biegenden Nidelv-Fluss, dahinten in der Ferne die alte Klosterinsel Munkholmen und runter in die Gassen. Da unten irgendwo, den steilen Abstieg scheuend, spaziert die andere Hälfte der Gruppe durch die Einkaufspassage. Flugs sind wir bei ihnen und gemeinsam geht es durch die Munkegata. Wir wollen zum Stiftsgarden, denn dort will ich noch eine seltsame Geschichte loswerden.

Bauherrin ab 1774 war Cecilie Christine Schöller. Einige Jahre zuvor hatte sie von ihren Eltern das Gartengrundstück in der Innenstadt geerbt, das ihnen für die Verdienste um die Stadt zugekommen war – Stiftsgarden. Nun wollte sie es, vom Land in die Stadt ziehend, bebauen. Für eine alleinstehende „Kvinne Enke“ (Frau Witwe) unschicklich. Sie war seit wenigen Jahren verwitwet und wollte die von ihrem Ehemann ererbte Sägefabrik weiterführen – ungesetzlich, meinten die Ratsherren. War es die gute Grundstückslage und der gewinnträchtige Betrieb, die etwa Begehrlichkeiten auslösten? Die Amtsträger hatten aber nicht mit Cecilie gerechnet. Mütterlicherseits stammte sie von einer dänischen Adelsfamilie ab, ihr Vater war ein hoher General preußischer Herkunft, der mit seiner Tochter zu Hause „natürlich nur Deutsch“ sprach. Damals die Kultursprache, erst recht am königlichen Hof, denn dort führte für ihren erkrankten Stiefsohn König Christian VII, Juliane Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel das Regiment. Dänemark und Norwegen waren in einer Union und die Erbfolge wegen der vielen Nebenlinien unsicher. Enge Seilschaften bestanden, so der verschmähte „tyske cirkel“ rund um den „Ordre de l’union parfaite“ (Orden der perfekten Union, für gute Ehefrauen). Verliehen von der hohenzollerschen Prinzessin an der Seite von König Christian VI, Sophie Magdalene. Die liebte prächtige Schlösser und förderte gebildete Frauen. Cecilie war eine. Auch formell als Mitglied der Königlich Norwegischen Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst. Im Kampf „Amtsträger“ gegen „Private“ wurde der letzte Trumpf gezogen. Alten Vorschriften zufolge sei aus städtebaulichen Gründen ein großer Steinbau zu verhindern. Es folgte ein großer Holzbau, denn Cecilie hatte ja das Sägewerk. So entstand in nur vier Jahren und einem Stilmix von Noch-Barock und Schon- Neoklassik das größte Holzgebäude Europas. 140 Räume, 4.000 m² Nutzfläche. Nicht wie üblich wurden die repräsentativen Räume Richtung schön begrüntem Innenhof, sondern bewusst hin zur Straße, mit dem Blick zum Rathaus, eingerichtet. Die Fenster trotz winterlicher Extra-Kaminkosten extra hoch. Alle sollten sehen, wer hier zu Gast weilte. Und Empfänge gab es reichlich. So sehr man Cecilie ablehnte, hier durfte man nicht fehlen. Cecilie triumphierte. Besonders, wenn dann die Stadtnoblen auf Geheiß des Königshauses zu erscheinen hatten. Dafür hatte sie sich noch etwas ausgedacht. Bewusst wurde für dieses Haus das Konzept des Hochparterres gewählt. Offiziell als Hochwasserschutz. Tatsächlich bot es aber die Gelegenheit, den Eingang etwas weiter nach oben zu verlegen. Natürlich an der Straßenseite. Mit einer kleinen Freitreppe, an der ihr Namenssiegel prangte, natürlich größer als das entsprechende Emblem am Rathaus. Kamen also von dort diese Herren, die ihr das Wirtschaften und Bauen damals verbieten wollten, stand sie oben, über ihnen und grüßte huldvoll hinab. Ganz Trondheim sah´s und schmunzelte. Amüsiert hätte sie, die 1786 verstarb, dass durch Königin Maud, 1906 die erste Königin des unabhängigen Norwegens (und natürlich ebenfalls mit deutschen Vorfahren) Stiftsgarden zu einer der offiziellen Residenzen der Krone wurde. Trondheim7

 

AIDAcara – Impressionen

Schnee an Bord

Sortland (20.03.2017)

Auf der größten der Vesteralen-Inseln gelegen, hat Sortland nichts bemerkenswertes, wenigstens zunächst und aus touristischer Sicht. Reichlich Platz gibt es und unzählige, verschiedenartige Küstenformationen – unter dem Schnee, also zur Zeit nicht sichtbar. Daher hat die norwegische Küstenwache hier einen Standort. Ideal für das Anlandungsmanöver. In Alta hatten wir schon einige amerikanische Militärfahrzeuge gesichtet, die wir unbehelligt fotografieren durften. Hier in Sortland aber sollen in einem abgeschotteten Hafengebiet die Spezialkräfte der Marineinfanteristen untergebracht seien. Von hier aus wird die „Cold Resonse“ gegeben. So heißt das NATO-Manöver, das hier exerziert wird.Sortland1

Nun kommen wir zu dem „eigentlich nichts“, denn das ist hier in Sortland blau. Selbst den Stadtvätern und Müttern war es wohl etwas zu trist. Nur den Seereisenden erschließt sich die Schönheit der hunderten von Inseln einer anmutigen Schärenlandschaft fernab jeder Zivilisation. Zur Jahrtausendwende wollte man den Abwanderungsgelüsten der knapp 10.000 Einwohner etwas entgegenhalten. Schön sollte ihre kleine Hafenstadt werden, zum Verweilen einladen, jeder der konnte und mochte durfte mit aus dem Stadtsäckel bezahlten Farbtöpfen seine Fassade verschönern, solange es blau war oder wurde. Ein Bürgerkomitee suchte dann noch ein paar Sinnsprüche, die die Wände auch geistig etwas aufzufrischen sollten. Die norwegische Bevölkerungsstatistik sagt, das Vorhaben sei nicht ganz erfolglos gewesen. Warum auch immer.

Auf dem Rückweg kommen wir an der „Kulturfabrikken“ vorbei. Dort fiel ein englischsprachiger Aushang auf. Den „dear comrades“ (lieben Kameraden) wurde die ganze Gastfreundschaft zu Füßen gelegt, samt einiger angekündigter folkloristischer Tanzvorstellungen im April und Mai. Man hatte wohl amerikanischerseits durchaus vor, sich hier ein wenig länger einzunisten. Den Russen wird es wenig schmecken, besonders deswegen nicht, weil um Sortland herum fast identische topographische Bedingungen vorliegen, wie bei den russischen Nordmeerhäfen. Welch schöner Zufall gewissermaßen unter realistischen Bedingungen üben zu können. Was auch immer.

 

Fast auf dem Weg zum Schiff liegt die Ortskirche. An ihrem prunkvollen Inneren ist der Reichtum vergangener Zeiten nachzuspüren. Einstmals war die vorgelagerte Inselgruppe der Vesteralen ein lukratives Fischfanggebiet. Der vorbeiziehende Golfstrom brachte milde Winter und nicht zu heiße Sommer mit sich. Die Heringsschwärme liebten es. Um sich mal aus dem wogigen Nordmeer zurückzuziehen nutzen sie den kleinen Sund. Ahnungslos, dass dort die Fischer aus Sortland einfach nur ihre Netze ins Wasser hielten und einen reichlichen Fang machten. Der wurde in den Fischfabriken gleich verarbeitet. In Spitzenzeiten waren dies jährlich 400.000 Fässer mit gesalzenem Hering. Dies wiederum machte einen regelmäßigen Schiffsabtransport notwendig. Dafür wurde eine Reederei gegründet, die „Vesteraalske Dampskibsselskap“. Grundstock der späteren Hurtigruten. Sortland-Hurtigruten

Die Heringschwärme schrumpften, mit ihnen die Fabriken. Geblieben ist von den damals für die Versorgung der vielen Saisonarbeiter angesiedelten Rentierfarmen nur eine. Inga Samii Süda, zu der einige AIDA-Gäste einen Ausflug machen. Da kann man die kleinen Rentiere streicheln. Die älteren gibt es in Dosen oder frisch serviert mit den Moltebeeren. „Rubus chamaemorus“ mit seinem kräftigen Orange wächst nur in der nördlichen Tundra und schmeckt so ähnlich wie Brombeere. Nachteil ist, dass sie zur Lieblingsspeise der Braunbären gehören. Die wiederum aber hier auf den Inseln nicht anzutreffen sind, weil sie keinen Freischwimmer haben. Um die Gäste gnädig zu stimmen, gibt es Bord 15 % Rabatt auf das komplette Wellness-Repertoire von St. Barth. Der Drink des Tages heißt „Pukkellaks“ (Buckellachs), den es doch eigentlich eher Richtung Alaska gibt und der eher blau-grünliche Schuppen hat. Der Cocktail jedenfalls sollte vorgeblich aus der Region stammen, war wie die Moltebeere orange dank Mango und Grapefruit und seltsamerweise ziemlich süß.

Alta (18.03.2017)

Aurora borealis – das Polarlicht – ist ein elektromagnetisches Höhenphänomen. Da kommt es auf die Bodenbeschaffenheit an, auf die Achsstellung der Erde um die Sonnenwindpartikel durch die Atmosphäre schießen zu lassen und die allgemeine klare Wetterlage und noch so ein paar Dinge. Alles nur eine Rechensache, wie uns der Lektor Dr. Renken versichert. Der ist immerhin promovierter Elektroingenieur aus Bremen und hat für die Internationale Raumstation gearbeitet, kennt sich also im ganzen Weltall aus, da wird es doch für das kleine Alta reichen. Seine Nordlicht- Prognose jedenfalls liegt bei 45 %. Das ist hoch, meint er. Denn in Alta seien die geophysikalischen Primärbedingungen gut. In Norwegens nördlichster Kommune – so übersetzt er sich selbst – wird seit der Steinzeit Quarzit abgebaut. Das ist dieser vielfarbige Schieferstein, der durch die Gletscher der Eiszeit so zusammengequetscht wurde, dass er nunmehr ein paar mineralogische Besonderheiten aufweist, sehr hart, also für Werkzeug geeignet und fürs Nordlicht hilfreich. Für die Betrachter einfach schön. Denn je nachdem welche Mineralien in ihm eingeschlossen wurden, kann er grün, blau oder dunkelrot sein. Macht sich gut für edle Behältnisse. Napoleons Sarkophag im Pariser Invalidendom zum Beispiel sei aus Quarzit, ebenso wie die Särge der Pharaonen Tutenchamun und Amenophis. Zurück zum Norden und der 45%-Polarlichtprognose des Lektors.

Einigen Gästen war dies zu riskant, um stundenlang auf einem kleinen Schemel in der Tundra zu hocken, um dann die grünen Himmelsschleier wegen falscher Belichtungszeit doch noch zu verpassen, weil sie – wie halt launische Natur so ist – sich vielleicht auch nur ganz kurz sehen lassen. Und außerdem gab es ja noch so wunderbare Angebote, wie die Husky-Hundeschlitten-Fahrt, der Besuch in der Rentier-Farm oder die von uns gewählte Snowmobil-Tour.

 

Die Schneemotorräder sind hier ein ganz normales Beförderungsmittel. Ob Rentierzüchter oder Postboten, alle sind damit unterwegs und jeder Teenager kann darauf fahren, wie bei uns eben mit einem Fahrrad. Wir müssen jedoch ordentlich eingewiesen werden. Denn unsere Gefährten haben knapp 100 PS. Da jagt man schon ganz ordentlich vorwärts, wenn man einfach mal Gas gibt. Das funktioniert ein bisschen anders als bei den Motorrädern, nämlich mit einem sogenannten Daumenhebel. Mit dem drückt man Richtung Griff und ab geht die Post. Klammert man also aus Angst sich ein bisschen fester am Griff, passiert genau das Gegenteil, das Snowboard wird dann schnell zur Rakete. Nicht ganz so schlimm, aber doch ein bisschen, passiert es auch in unserer Kolonne. Plötzlich schießt jemand aus der Loipe hinaus. Hinter uns jault ein Motor auf. Die begleitenden Snow-Scouts sind sofort zur Stelle. Nichts passiert. Ein kurzer Schreck, aber eine lange Stehpause, bis sich alles wieder in Karawanenwanderdistanz fortbewegt – Zeit für Fotos. Will man ein bisschen Speed spüren, muss man sich eher unauffällig etwas zurückfallen lassen und dann mit Scha-wung wieder ran. Christa, die hinter mir sitzt, ist begeistert. Ein Riesenspaß. Schon das Anziehen der Thermoanzüge gehörte dazu. „Eigentlich habe ich 38, ich weiß auch nicht, warum das jetzt so eng ist!“, „Blau steht mir doch gar nicht!“ Hauptsache jede/r war schnee- und wetterfest verpackt.

Nach dieser kleinen Tour haben wir noch die Gelegenheit das Schneehotel zu besichtigen. Weltweit und nachvollziehbar extrem saisonbedingt gibt es davon weniger als zwei Dutzend. Ebenso nachvollziehbar die meisten davon in Skandinavien. Jedes Schneehotel hat so seine Besonderheiten. Gemeinsam ist ihnen das Iglo-Prinzip, also aus Eisblöcken gebaut zu sein. Damit kann dann so Ende Oktober begonnen werden.

Für das SORRISNIVA werden dann gut sechs Wochen benötigt, um von Januar bis Anfang April 30 Gästeräume zur Verfügung zu haben. Die geräumigen Suiten haben filigran gestaltete Rundbetten und Nischen mit Eiskunstwerken. Standard sind aber die Doppelbettzimmer, die inklusive Schlafsack, der bis minus 25°getestet ist und Rentierauflagen für das Eisblockbett, für je 530 € zu haben sind – pro Nacht! Frühstück ist inklusive, auch die Sauna. (Die ist aber im Haupthaus, das selbstverständlich ein ordentlicher Steinbau ist.) Es gibt in der Halle auch eine zauberhafte Kapelle, die auch für Trauungen genutzt werden kann. Am Eingang des Zimmertrakts steht “røyking forbudt“ mit sechs Übersetzungen. Wohl auch weil immer wieder Gäste schon nach kurzer Eingewöhnungszeit das Eis Hotelzimmer für so normal halten, dass ihnen ein Rauchverbot gar nicht in den Sinn käme. Wir besichtigen alle Räume. Besonders schön sind die Suiten. Hier gibt es dann auch einen filigranen geschnitzten großen Eissessel. Trotz doppelter Rentierfellschicht merkt man aber schon nach wenigen Minuten: das ist Eis, das ist eiskalt.

Sabine war vier Wochen vor dieser Kreuzfahrt mit einer Frauenabenteuerreise in Schweden. Ganz im Norden, in Argeplog. Das Igloo-tel ist dieser norwegischen Version in vielem ähnlich. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass das Iglo um einen Steinbau herum gebaut wird mit dem nicht unbeträchtlichen Vorteil, dadurch einen kurzen Weg durch die Nacht Richtung Sanitäreinrichtungen zu haben. Hier im SORRISNIVA will man gar nicht fragen, wo und wie man seine Sorgen los wird. Apropos Flüssigkeitsaustausch. Am Ende der Eishalle ist eine schöne Bar aufgebaut. Hier bekommen wir einen großen ausgehöhlten Eiswürfel, der mit Blue Curacao ordentlich ausgefüllt wurde.

Zurück an Bord treffen wir unsere Nordlicht-Fotografen. Allesamt begeistert. Wer sich mit den vielen Knöpfen seines Fotoapparates vorher gut vertraut gemacht hat, fand die richtige Einstellung, um die zarten Lichtspiele auch ordentlich einfangen zu können. So sind wir dann von Grund auf zufrieden mit der Nordlicht-Ausbeute. Versprochen ist versprochen. Die Nordlandreise war also bisher durch und durch erfolg- und erlebnisreich. Da kann auf dem Rückweg jetzt kommen was will. Tut es auch.

 

 

Tromsø (17.03.2017)

Tromsoe-Einfahrt

Einfahrt nach Tromsø

„Die kleine Lady“ begibt sich auf Walfänger-Kurs. Tromsø. Seit 9000 Jahren wird hier geankert. Letzter Halt vor den Eisbergen, um sich noch einmal richtig zu proviantieren. Hier wurde Richard With (1846–1930) geboren. Der vorausschauende Gründer der Hurtigruten. Die „Schnelle Verbindung“, so der norwegische Name, ist schlicht und genial. Statt die Lotsen immer wieder neu die immer zu großen Versorgungsschiffe durch die engen Fjorde führen zu lassen, dachte sich Kapitän With, mehr kleine Schiffe, mehr ortskundige Schiffsführer und noch mehr Schiffsanleger würden die bei Gründung 1893 noch ziemlich unbesiedelte Küste regelmäßig mit allem wichtigen besser versorgen. Finanziert von der staatlichen Post, die jedem Norweger die Zustellung seiner Korrespondenz garantierte. (Bei uns in Deutschland war/ist es ja auch so. Ob nun der Brief von Berlin nach Potsdam zu schicken ist oder von München nach Helgoland, das Porto ist gleich, aber eben nicht die Kosten.) Mit diesem sicheren Budget vom „Kongelige Norske Postverket“ starteten also die Hurtigruten. Heute eine der beliebtesten Nordlandreisearten. Längst sind aus den rustikalen Postschiffen ansehnliche Passagierschiffe geworden. Die 2002 gebaute „Finnmarken“ ist mit 138 Meter das größte und hat Platz für 1000 Gäste. Unweit ihres Liegeplatzes macht auch die AIDA cara fest. Wieder liegen wir mitten in der Stadt. Selection lässt grüßen. Das ist der Vorteil der kleineren Kreuzfahrtschiffe, die nicht ausserhalb und nördlich der Fjordbrücke anlegen müssen.

 

Tromsoe-AIDA-Hurtigruten

Liegeplätze AIDA cara und Hurtigruten

Wir nutzen die Stadtnähe für eine kleine cerevisologische Erkundung. Wir spazieren zur Brauerei Mack. „Olhallen“ heißt die kleine Kellerkneipe, in der uns zu unserer Überraschung ein deutscher Austauschstudent begrüßt und die Auswahl der neusten Bierkreationen erklärt. Auch von der Geschichte des Hauses erfahren wir etwas.

Ludwig Markus Mack, ein Bäcker aus Braunschweig, begab sich auf Wanderschaft. Ob es die schönen Berge oder die schönen Augen der nordischen Mädels waren, was ihn länger verweilen ließ, wird sehr unterschiedlich erzählt. Fakt ist, 1877 gründet er eine Brauerei. Aus seelsorgerischen Gründen wie es heißt. Denn die rauen Seeleute stillten ihren Durst bis dahin vor allem mit Schnaps. Da war den Stadtoberen, aber auch den besorgten Kontoristen in den Handelshäusern das niederprozentige Bier für die Matrosen deutlich lieber. Der Rausch war schwächer, kürzer und folgenärmer. Nach fünf (von 70) verschiedenen Sorten mussten wir aber unseren Geschmackstest abbrechen. Da der Rückweg etwas langsamer von statten ging, fiel uns seltsamerweise erst jetzt auf, dass die Strandgata Heimat von mindestens fünf Friseursalons war. Und kein Haarschnitt unter 50 Euro. Vielleicht liegt das daran, dass in den Monaten der Mitternachtssonne Mann/Frau ja 24 Stunden den Blicken seiner Mitmenschen ausgesetzt ist. Da die Temperaturen zu windfester Bekleidung auffordern, bleibt die Haartracht als eines der wenigen modischen Statements übrig. Zurück an Bord deutet sich am Himmel, dort hinten beim 418 Meter hohen Gipfel des Storstein, Bewegung am Firmament an. Das richtige Wetter, die richtige Atmosphäre für Nordlichter war mit dem sternenklaren Himmel durchaus gegeben. Die Fotografen nicht nur in unserer Gruppe waren erwartungsfroh.

Der Storstein war dann auch unser Ausflugsziel am nächsten Morgen. Kleiner Fotostopp an der Eismeerkathedrale, nur von draußen, da sie im Winter erst nachmittags geöffnet wird. Von ihr sind es wenige Taximinuten zur Seilbahn Fjellheisen. Sensationell. Der Blick. Der dicke Schnee. Die klare Luft. Unten liegt Tromsø. Die Tromsö-Brua ist super zu fotografieren. Diese Straßenbrücke verbindet über 1036 Meter Tromsøya, das ist der Hauptinselteil mit unserem Anleger, mit Tromsdalen, unserem Aussichtspunkt. Auf dem kleinen Bergmassiv stapfen wir mit Begeisterung und nachher nassen Hosenbeinen durch mindestens drei verschiedene Schneesorten. Ein erstes kleines Nordschneeabenteuer.

 

Da unten, wie fünf aufgeschobene mächtige Eisschollen, liegt das POLARIA. Das Erlebniszentrum wurde 1989 als Außenstelle des benachbarten Nordischen Polarinstituts gegründet. Das gibt es schon seit 1928 und es bildet die verschiedensten Nachwuchswissenschaftler aus, die zum Beispiel die Forschungsstationen in Arktis und Antarktis auffüllen sollen, in denen zu Klima und Umwelt, aber auch zu den zahlreichen Rohstoffvorkommen unter den Eiskappen geforscht wird. Ein wenig von den Aufgaben sieht man in der kleinen Polaria-Ausstellung. Hier erfahren wir auch einiges über das Farbenspiel des Nordlichts und seine „himmlische Herkunft“. Unser Interesse jedoch ist sehr viel weltlicher, genauer gesprochen tierischer.

Jeden Mittag findet pünktlich um 12:30 Uhr die Robbenfütterung statt. Da heißt es rechtzeitig da sein, denn die Plätze am Geländer des kleinen Beckens sind nicht nur bei Fotografen, sondern vor allem bei den jugendlichen Tierfreunden sehr begehrt. Vorher spazieren wir durch die Glastunnel, die uns unterhalb des Wasserbeckens führen. In denen lassen sich einige der Bartrobben bei ihren eleganten Schwimmübungen schon bestaunen. Eigentlich leben diese Tiere in der nördlichen Beringsee. Da sie jedoch von kleinen Organismen, Krebstieren, Muscheln und Schnecken leben, die auf den Meeresböden siedeln, verirren sie sich zunehmend in Richtung der mitteleuropäischen Küsten. Einige wurden sogar schon im Norden von Spanien gesichtet. Solche Geisterschwimmer finden manchmal nicht sofort wieder Anschluss an ihre Art-Kameraden. Besonders, wenn sie noch recht jung sind. Da hilft dann das POLARIA als Notunterkunft, meist kurz über einen Winter und Sommer. Zu unserem Vergnügen handelt es sich bei den Robben um sehr lernfähige Tiere. Sie beherrschen allerlei Tricks, auch eine komplexe Signalsprache, die überwiegend mit Pfeiftönen und Klopfzeichen vermittelt wird. Seit einigen Jahren gehören die beiden Damen Bella und Mai San dazu. Aus unbekannten Gründen wurden sie als Jungtiere von ihrer Herde verstoßen. Inzwischen sind sie 15 Jahre alt und bringen bei knapp 3 Metern von Schnauze bis Schwanz gut 300 Kilo auf die Waage. Da spritzt es schon ganz ordentlich, wenn sie aus dem Wasser katapultieren, um die ihnen beigebrachten kleineren Wendemanöver vorzuführen. Immer wieder wird betont, dass es sich hier nicht um ein Disney-Training handelt, sondern diesen flinken Meeressäugetieren Bewegungsabläufe beigebracht werden, mit denen sie in freier Wildbahn auf Jagd gehen könnten. Doch diese beiden Damen sind inzwischen Dauerbewohner im POLARIA und helfen dabei, die „neuen“ zu integrieren. Dieses Jahr gehören Loffen und Lyra dazu. Die kommen aus einem inzwischen geschlossenen kommerziellen Aquarium und müssen erst wieder umgeschult werden. Dazu gehört auch, ihnen ein wenig mehr Anstrengung abzuverlangen, bevor sie mit frischem Fisch belohnt werden. Bei diesem Training wurde festgestellt, dass Loffen eigentlich schwerhörig ist und in der freien Wildbahn keine Überlebenschance hätte. Für ihn wurde eine besondere Zeichensprache erarbeitet, so dass er auch an den Trainings teilnehmen kann. Auch wenn Bartrobben bis zu 30 Jahre alt werden können, wird er wohl einer der Nachfolger von Bella und Mai San sein.

Am späten Mittag sind wir wieder an Bord. Im letzten Jahr bot sich keine Gelegenheit einmal zu Fuß über die Tromsø-Brua zu gehen. Das wollten wir nachholen. Und einige Gäste wollten mit. Der Brückenspaziergang eröffnet uns eine paar seltene Über- und Einblicke in die Holzhäuser des alten Walfängerhafens. Erstaunlich flott kommen wir auf der Fußgängerspur an das andere Ufer. Die Eismeerkathedrale immer fest im Blick und auch den Wunsch, sie doch noch von innen zu bestaunen. Mit 140 m² ist das Buntglasfenster eines der größten in Europa. Über ein Dutzend Blau-Grün-Töne sind dem Polarlicht nachempfunden. Eindrucksvoll, so die freundliche Eintrittskartenverkäuferin im letzten Jahr, sei es auch, wenn die Mitternachtssonne mit dem Farbmosaik spielt. Also müssen wir in einem Sommer nochmals wiederkommen. Für jetzt war das aber eine schöne kleine Extratour von knapp drei Kilometer. Da ist es ein dankbarer Zufall, dass draußen gerade die Buslinie 28 vorbeikommt, die uns fast direkt bis zum Schiff wieder mit zurücknimmt.

Neptuntaufe

Noch vor Mitternacht an Bord der AIDAcara, 66 Grad 33 Minuten 5 Sekunden Nord, 11 Grad 13 Minuten 1 Sekunde Ost, damit kaum mehr eine Seemeile unterhalb des Polarkreises beginnt an Bord ein besonderes Spektakel. Die Eiskönigin – im richtigen Leben die Entertainmentmanagerin Annett – und Neptun, alias Kapitän Lars Krüger, haben eine wilde Horde um sich geschart, die den Eindringlingen in ihr Polarreich mal so richtig auf den Zahn fühlen wollen. Das mit salzig-saurem Eis und einem glibbrigen, sich jeder kulinarischen Zuordnung entziehenden Getränk in modischem Orange. Wer dies überstanden hat, reiht sich in eine lange Reihe der verhinderten Knoten-Künstler ein. Den Tampen locker in die Hand, eine Bucht zum Auge kreuzen, noch ein halber Schlag, das ganze richtig aufgeschlossen, fertig ist der Palstek. Wer´s endlich hinkriegt, bekommt einen Stempel auf die Stirn. Mit dem geht es zum Eisinitialen-Ritzen. Eintragung in das Polar-Gästebuch. Von vorneherein nicht für die Ewigkeit gedacht – so die Eiskönigin und Neptun, die amüsiert am Ende des Parcours Platz genommen haben und Urkunden verteilen. Für jeden einzelnen samt neuem Rufnamen. Aus Sabine wird Vivika. Das ist einerseits die nordische Bibi Blocksberg und soll anderseits wohl so was wie die „Lebendige“ oder eher „Überlebende“ bedeuten. Treffend für die sich über fast zwei Stunden hinziehende Polarkreiszollprozedur. Gut, dass diese seit über 200 Jahren gepflegte maritime Tradition zum einen ohne das übliche Bad in stinkendem „Etwas“ auskommt und man/frau dies nur einmal im Seefahrerleben durchstehen muss – wenn die entsprechende Urkunde vorgezeigt werden kann bei der nächsten Polarkreisüberquerung. 

 

Bodø (15.03.2017)

594 Seemeilen durch das Nordmeer. Bei Windstärken um 6. Aufbrausend bis 7. Natürlich kann der Seekartenspezialist der britischen Admiralität, Sir Francis Beaufort (1774-1857) nichts dafür, dass seitdem mit seiner Skala die Winde berechenbar scheinen, Kapitäne zwar von grober See (6) und steifer Brise (7) sprechen, aber diesen Wellengang nach Tabelle und Gefühl für durchweg schiffbar halten. Denn der Wind ist mit 22 Knoten gerade etwas schneller als das Schiff selber. Gut, da gibt es die Stabilisatoren. Das sind seitlich ausfahrbare, bewegliche Flossen, meist in der Mitte des Schiffs, meist unterstützt durch elektronisch geregelte Turbinen. Aber die sind halt eben nur gegen das „Rollen“, also die Drehbewegung um die Längsachse, nicht aber gegen das Auf und Ab von Bug und Heck, das „Stampfen“. Und da ist halt schlecht mampfen.AIDA-Treppe.jpg

Der Wind hatte sich ein wenig beruhigt, ist aber noch kräftig genug um am Fallreep zu rütteln, das uns oben von Deck 6 runter an die Pier bringen sollte. Mancher Landgang endete mit sorgenvollem Blick bereits oben. Den Blick hatten wir nach geradeaus gerichtet. Wir lagen nämlich mitten in der Stadt. Nur einen Kaffeetassenwurf entfernt von der Einkaufspassage. Da wollten wir hin. Kleinere Einkaufszettel waren abzuarbeiten. Dinge, die der Bordladen nicht hergab.

Für unseren Spaziergang hatte der junge Galerist uns freundlicherweise in eine Übersicht schauen lassen, der man entnehmen konnte, dass für kleines Fersengeld die wahrscheinlich einzigen Attraktionen dieses Industriehafens abzulaufen seien – Graffiti. In der Tourismuszentrale holten wir uns das versteckt gebunkerte Faltblatt. Neun Wandgemälde waren im Innenstadtbereich entstanden. 2016 machte das UpNorth-Festival hier in Bodø Station. Ein bisschen Abwechslung, noch mehr Kultur und ganz viel Farbe soll die kleinen Provinzstädte aufpäppeln. Internationale Künstler wurden eingeladen, die tristen Hauswände zu verschönern. Geschichten werden erzählt. Vom Seeadler berichtet der belgische Künstler „dzia“. Tatsächlich hat die Küste vor Bodø wegen der schwer zugänglichen und daher vom Fischfang verschonten kleinen Buchten einen recht großen Fischbestand. Und dieser wiederum macht das Gebiet zu einem der größten und dichtest besiedelten Brutgebiet der Seeadler. Apropos Brutgebiet. Das Adler-Grafitto befindet sich im Hafen auf der Hauswand einer Kindertagesstätte. Der Italiener Millo zeigt (auf den Spuren von Gulliver in Lilliput) ein kleines Riesen-Mädchen, ganz vom Urbanen gefesselt. Unser Lieblingsgemälde ist aber eindeutig von Animalito. Der Argentinier hat nämlich festgestellt, dass die Nachkommen der Azteken im fernen Lateinamerika und die Samen Nordeuropas wenigstens was ihre bunte Bekleidung anbelangt, bestimmt aber auch was ihre herzliche Offenheit betrifft, einiges gemeinsam haben. So küssen sich auf dem Hinterhof eines Import-Exportgeschäftes interkontinental zwei kleine „Eingeborene“.

 

Beim Besuch der „Domkirke“ – immerhin Bischofssitz der gesamten Provinz – haben wir Glück. Der Organist macht für das am Nachmittag für den AIDA-Ausflug stattfindende Orgelkonzert nämlich gerade Generalprobe, mit zartem Tastenspiel. Da macht auch der prasselnde Regen Pause. Aus unseren vielen Stadtrundgängen „gemeinsam auf eigene Faust“ haben wir gelernt, wenn‘s unten nix gibt und von oben kommt, musst du rein und rauf. In Bodø heißt das in die 17. Etage des Hotels SCANDIC. Seltsamerweise scheint dieses sehr schöne Panorama-Café eher bei den durchreisenden Geschäftsleuten bekannt zu sein. Jedenfalls haben wir allesamt Platz gefunden und der als Regenausgleichssachleistung spendierte Cappuccino umrandet unseren fantastischen Blick über die kleine Stadt.

 

 

Haugesund (13.03.2017)

An der Südwestküste Norwegens südlich von Bergen und fast genau westlich von der Hauptstadt Oslo liegt Haugesund. Mit etwas über 30.000 Einwohnern eher eine kleine Handelsstadt. Und doch ist sie bedeutend für die Region. Heute wie gestern. Heute, weil sie ein wichtiger Umschlaghafen Richtung England und Deutschland ist und als Hochschulstandort den landesweiten Schwerpunkt „maritime Bildung“ abdeckt. Früher noch viel mehr. Denn hier wurde vor über 1.000 Jahren durch Harald Schönhaar das erste Wikinger-Großreich gegründet. Ihm ist es – der Sage nach – 872 geglückt durch vollmundige Landversprechungen, aber auch ein scharfes Schwert 29 Stammesfürsten zusammen zu bringen um sich eine gemeinsame Regierung zu geben. Natürlich unter ihm, der eher der ärmste, aber stets der mutigste war. Damals wie heute hieß eine „Union“ die wichtige Aufgabe einer Außen-Vertretung der Wirtschaftsinteressen (hier quasi die Seeräuber-Gewerkschaft) und militärischer Beistandspakt (hier als Kriegsschiffverleih). Von diesem sagenhaften Großereignis zeugt noch ein zum Gedenken errichteter großer Steinobelisk, Haraldshaugn. Natürlich genau an der Stelle, wo König Harald zum Thing versammelt hatte. Wie praktisch, dass unweit davon eine Bushaltestelle ist (wohl aber eher wegen des großen Gartenmarktcenters) und dass das Ganze keine 15 Fahrminuten von unserem Anleger entfernt ist.

Mit dem Hafen-Shuttle-Bus geht es in die Innenstadt. Zur „Var Frelser Kirke“. Ein bisschen Jugendstil und ein bisschen zu viel Kreuzfahrt-Gäste, die sich mit dem kleinen AIDA-Stadtplan zu recht verloren fühlen. Wir spazieren Richtung Einkaufsstraße. Ein Blick in die Stadtchronik hatte uns ein paar Besonderheiten ins Auge fallen lassen. Die meisten Geschäfte und Unternehmungen wurden von Frauen gegründet. Nachgefragt und nachgelesen, lag das daran, dass schlichtweg die Männer ja zum Fischfang hinausfuhren, aber nicht immer zurückkehrten. Die dann meist noch sehr jungen Witwen erhielten aus der Gemeinschaftskasse statt einer Rente Startkapital. Und hier an einem der südlichsten Häfen Norwegens bot sich vor allem an, die verschiedensten im Landesinneren produzierten handwerklichen Produkte für die einen, und für deren Lieferanten die verschiedensten technischen Neuheiten in den Geschäften feil zu bieten. So hat sich bis heute eine recht bunte Mischung an Einzelhandelsangeboten erhalten. Wenn auch, wie sehr oft in Norwegen, die Lebensmittelgeschäfte inzwischen von arabischen, hier meist palästinensischen Flüchtlingen betrieben werden. Für uns war es eine interessante Entdeckung, wie viel Krimskrams doch Kunden, genauer Kundinnen erwerbenswert zu finden scheinen.

Das lässt sich nur mit „hygge“ erklären. Hinter diesem Wort verbirgt sich, was bei uns Gemütlichkeit heißt. Aber eben ein bisschen skandinavischer. Hyggja heißt zum einen „der Gedanke“, zum anderen ist „hyggelig“ norwegisch für „nett“. Dieser nordische Gemütlichkeitssinn möchte nämlich mit jedem kleinen Dekorationsstück immer auch eine kleine Geschichte erzählen. Und ebenfalls soll jedes kleine Dekorationsstück auch irgendwie, irgendwann und irgendwo einen Zweck erfüllen können. So haben Trolle unter ihren Zipfelmützen oft Korkenzieher. Und das Rentiergeweih macht sich, schön bunt lackiert, doch gut als Garderobe. Hyggelig oder?

Draußen in Haraldshaugn zog schon ein kleines Wolkenunbill herauf und beförderte einen großen Kaffeedurst. Wir hatten Zeit. Selection heißt ja längere Liegezeiten. Aber ganz so einfach schien es nicht, für ein lustiges Dutzend ein warmes Plätzchen zu finden. Die erste Bar mit dem für nordische Verhältnisse eher seltsamen Namen „Rabinowitz“ hat reichlich leere Bänke. Neugierig fragten wir, woher der Name käme. Später erfuhr ich, Moritz Rabinowitz sei einer der ersten Einzelhändler hier in Haugesund gewesen. Als kleiner Büroangestellter in Bergen bemerkte er die vielen schriftlichen Eingaben an die dortigen Händler, man möge doch dieses und jenes Haushaltsgerät endlich aus „der Stadt“ auch nach Haugesund bringen. 1911, mit Anfang 20, wagte er den Versuch. Er mietete ein kleines Café in der Haraldsgata – das, was bis heute seinen Namen trägt – und verkaufte einfach all die Dinge, die ihm aus den Beschwerdebriefen noch erinnerlich waren. Sehr zum Verdruss seiner späteren Schwägerin, der Vorbesitzerin der meisten guten Stücke. Die Geschichte hat leider kein Happyend, im Lager Sachsenhausen endet sie. Von den Rabinowitz hat im Gegensatz zu vielen anderen norwegischen Juden keiner den Krieg überlebt.

Kaum wollten wir uns in diesen geschichtsträchtigen Räumen niederlassen, gab es schon die ersten irritierten Blicke. Raucherkneipe. Und das nicht zu knapp. Hier war also nicht an ein gemütliches Kaffeetrinken zu denken. Keine 20 Meter weiter hatten wir Glück. Eine Frauenkooperative betreibt hier die „Totalen Kaffebar“. Über zwei Stockwerke gibt es selbstgebackenen Kuchen und handgebrühten Kaffee. Das klang, roch und schmeckte gut. Und zu unserem Glück hat das „Totalen“ auf dem kleinen Stadtplan der AIDA-Hafen-Info keinen Platz gefunden. Man weiß gar nicht, ob in diesem Umstand für die Kaffeekooperativefrauen Wohl oder Wehe liegt, wenn man an die lavastromähnlichen Mengen an drängelnden und quengelnden Kreuzfahrtgästen denkt.

AIDAcara

Die cara war das erste Clubschiff. 1996 noch ohne diesen Namen in Dienst gestellt. Und bis 2001 schipperte sie alleine als Kussmund. Wenig bekannt ist die Herkunft des inzwischen zur Marke gewordenen Reedereinamens. Die Deutsche Seereederei war das Auffangbecken der abgewickelten DDR-Kreuzfahrtschiffe. Und dieses Schiff der erste Neubau, der eben nicht auf einer der deutschen Werften, sondern in Finnland bei Kvaerner auf Kiel gelegt wurde. Mit einem neuen Konzept geplant, aber in alter Tradition getauft. Denn die jeweiligen Reedereien führen in den Schiffsregistern ihre „Pötte“ möglichst mit gleichen Anfangsbuchstaben. Und das war nun mal hier ein A, und am liebsten sollte auch diese DSR-Schiffsdamen wie die „Arkona“ mit einem A enden. A….A? Da boten sich zwar für ein Schiff, das Sonnenziele anschippern sollte, ein paar malerische Namen. Aurora, Atlanta. Man wählte AIDA. Die Oper von Giuseppe Verdi. Ägypten, der Kanal, der Triumphzug der Massen – eine schöne Vorstellung. Leider war und ist es ein Irrtum, „Aida“ sei einmal komponiert worden, um die Suezkanal-Einweihung musikalisch zu veredeln. Ein schöner Name ist es aber allemal. Erst als weitere Clubschiff-Schwestern zu Wasser gingen, wurde das „cara“ drangehängt und der eigentliche Taufname zur Firmenbezeichnung.

Schnell konnten wir an Bord unsere Kabinen in Beschlag nehmen. Lang ist‘s her (gut 10 Jahre), dass wir auf einem der kleineren Kussmünder das erste Mal unterwegs waren. Alles ein bisschen kleiner – so meinte es die Erinnerung. Für die Kabinengröße stimmt das nämlich nicht, nur für die Gesamtlänge, die mit 193 Metern fast als „kurz“ gilt und für die Gesamtzahl an Passagieren. 1.339 Gäste gelten inzwischen schon als „familiär“. Eines ist jedoch definitiv (wieder) größer geworden. Die Bordzeitung. Beim Relaunch des Schiffes hat man einen A3-Drucker spendiert. Da lässt sich wie in früheren Zeiten eine schöne große „AIDA Heute“ produzieren, statt dieser kleinen Faltblättchen, die wie kleine Oberschul-Handouts kaum mehr als Hafenbasisinformationen aufnehmen. AIDA-Heute

Aber ist die Reform der Reform schon „Selection“? Wir wollen uns überraschen lassen.