30.12.2014

Gescheitert – aber mit voller Absicht

Die Gewinner des Afghanistankrieges

Von Ratbil Shamel-Ahang

Am 1. Januar 2015 endet der Kampfeinsatz der NATO und vor allem der USA in Afghanistan. Die NATO wird in den kommenden Jahren mit rund 12.000 Soldaten am Hindukusch bleiben, um die afghanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der sogenannten „Resolute Support“ auszubilden.

Afghanistan-Krieg

Der US-Krieg in Afghanistan begann nach den terroristischen Attacken vom 11. September 2001 mit vielen Versprechungen: Der damalige US-Präsident, Georg W. Bush, versprach den Afghanen Frieden, Demokratie und Wohlstand. Doch heute, 13 Jahre später, ist Afghanistan weit entfernt von Frieden, Wohlstand oder Demokratie. In Afghanistan wird immer noch ein erbitterter Krieg geführt, der täglich viele Opfer fordert. Die Taliban und ihre Helfer sind stärker denn je. Sie drangsalieren das eigene Volk, wo es ihnen möglich ist. Sie schrecken vor keinem Verbrechen zurück: Allein in den letzten Wochen starben mehrere Hundert Zivilisten durch ihre Terrorattacken.

Die afghanische Armee und Polizei sind nach eigenen Angaben kaum in der Lage, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen.  Den Sicherheitsbehörden fehlt es an allem: Personal, Material und sogar an regelmäßiger Besoldung. Das Land wird von einer korrupten Machtelite regiert, die sich nur mit Hilfe der USA an der Macht halten kann. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden. Die Arbeitslosigkeit ist so groß, dass die Regierung kaum konkrete Zahlen dazu veröffentlicht. Zudem ist Afghanistan in den letzten Jahren zum größten Opiumproduzenten der Welt aufgestiegen. Angesichts dieses desolaten Zustandes müsste nun endlich die Frage gestellt werden, warum die Afghanistanmission so kolossal gescheitert ist? Fehlte es am politischen Willen? Fehlte es an finanziellen Mitteln? Fehlte es an der Bereitschaft der afghanischen Bevölkerung mit der internationalen Gemeinschaft zusammen zu arbeiten?

Über 1000 Milliarden für den Krieg

Auf all diese Fragen müsste mit „Nein“ geantwortet werden: Nein, es fehlt - zumindest offiziell - nicht am politischen Willen, nein, es fehlt nicht an finanziellen Mitteln und es fehlt auch nicht an der Bereitschaft der Afghanen, mit der internationalen Gemeinschaft zusammen zu arbeiten. Die ganze Welt hat sich nach dem 11. September mit den USA solidarisch erklärt und marschierte mit den US-Streitkräften in Afghanistan ein. Das Taliban-Regime wurde innerhalb von wenigen Tagen entmachtet. Doch schnell gerieten die einstigen Versprechungen in den Hintergrund. Dennoch sagten viele Länder langfristige Hilfen für Afghanistan zu. Die USA waren die größten Geldgeber. Washington allein gab mehr als 1000 Milliarden Dollar in den letzten 13 Jahren für den Afghanistankrieg aus. Deutschland mehr als 30 Milliarden Euro. 

Die Afghanen sahen mit dem Sturz der Taliban endlich Licht am Ende des Tunnels und hofften nach über 20 Jahren Krieg auf Frieden. Die Demokratie, obwohl sie nicht viel darunter verstanden, wurde von den einfachen Menschen akzeptiert, weil sie nie wieder zu einer Schreckensherrschaft der Islamisten zurückkehren wollten. Bei den letzten Wahlen gingen die Afghanen, obwohl sie von den Taliban mit dem Tode bedroht wurden, zahlreich zu den Urnen – Männer und Frauen.

 

 

Afghanistan auf dem zweiten Blick

Auf dem ersten Blick schien nun alles optimal und vor diesem Hintergrund müsste die Afghanistan-Mission ein ganzer Erfolg sein. Doch wie so oft verrät ein zweiter Blick viel mehr als der erste: Die USA haben nach dem Vertreiben der Taliban den einstigen Warlords des Landes, die das Land in einem langjährigen Bürgerkrieg zerstört hatten, wieder zur Macht verholfen. Diese neue Machtelite des Landes war an einer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nur auf dem Papier interessiert. Zudem haben die US-Ideologen vor allem auf die militärische Karte gesetzt. Sie haben in den letzten 13 Jahren mehr als 750 Milliarden Dollar für den Krieg in Afghanistan ausgegeben. Allein im Jahre 2012 haben die USA rund 111 Milliarden Dollar für den Krieg bereitgestellt, das Budget für den Wiederaufbau betrug im selben Jahr rund 3,2 Milliarden. Die afghanische Armee und Polizei wurde, trotz vieler Versprechungen, nicht zu lebensfähigen und effektiven Sicherheitsorganen ausgebaut. Stattdessen wurden viele sogenannte private Sicherheitsfirmen gegründet, die von der US-Botschaft in Kabul bezahlt wurden und sich nur den US-Streitkräften gegenüber verantwortlich fühlten. Vor diesem Hintergrund ist Kabul bis heute auf militärische Hilfe angewiesen. Ähnlich verlief es auf dem wirtschaftlichen Sektor: Die Milliarden-Hilfen, die nach Afghanistan hineingepumpt wurden, durften in der Regel nur für den direkten Ankauf von Gütern ausgegeben werden. Alte Fabriken des Landes, die einst tausende Menschen Arbeit gaben, liegen bis heute still und durften nicht wieder in Betrieb genommen werden. Afghanistan ist ein an Bodenschätzen reiches Land. Doch das Land wird in den kommenden Jahrzehnten nicht ohne wirtschaftliche Hilfe vom Ausland überleben.

Angesichts dieser Entwicklung sagen viele ausländische Diplomaten in Kabul, dass sie den Konflikt in Afghanistan nicht mehr verstehen und kleine NGO´s, die wirklich Aufbauhilfe leisten möchten, beklagen sich über die Art und Weise, wie die Gelder in Afghanistan „vergeudet“ werden. Nicht die Wirtschaft, sondern die Korruption blühte in Afghanistan.

Die erwähnten Fakten führen zwangsläufig zu der Frage, für wen sich der Afghanistan-Krieg wohl gelohnt hat?

 

Die Gewinner des Krieges

Die Gewinner des Afghanistan-Krieges sind auf dem ersten Blick die Waffenproduzenten und neokonservativen Kreise in den USA. Diese zwei Kräfte leben von Krisen, die sie gern mit Hilfe der US-Streitkräfte auf ihre eigenen Art und Weise lösen möchten. Die 750 Milliarden, die für den Krieg in Afghanistan gegen ein paar Tausend Taliban-Terroristen ausgegeben worden sind, sind zumeist in die Kassen der Waffenproduzenten und ihrer politischen Lobbisten in den USA geflossen.

Die anderen Gewinner des Afghanistankrieges sind die Warlords in Afghanistan, die - dank der Schützenhilfe aus den USA - zu einer mächtigen und reichen Machtelite aufgestiegen sind. Vor diesem Hintergrund ist es in den letzten 13 Jahren in Afghanistan, um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen, nicht um Frieden, Demokratie oder Wohlstand für die Menschen gegangen, sondern darum, dass bestimmte Kreise in den USA und in Afghanistan an einem schmutzigen Krieg verdienen konnten. Das heißt: In Afghanistan geht es nicht um Konfliktlösung, sondern darum, den Konflikt kontrolliert am Leben zu erhalten, damit die Kassen weiter klingen können. Mit anderen Worten: Die USA marschierten nach Afghanistan, um mit voller Absicht zu scheitern. Für die eigene Bevölkerung erzählt Washington, dass Topterrorist Osma Bin Laden eliminiert und damit alle Kriegsziele der USA erreicht worden sei.

 

Die Verlierer des Krieges

Alle Menschen, die in den letzten 13 Jahren in Afghanistan ihr Leben gelassen haben, zählen natürlich zu den Verlierern des Krieges, alle Familien, die ihre Söhne und Töchter in Afghanistan verloren haben, weil ihnen erzählt wurde, dass am Hindukusch die Freiheit des Abendlandes verteidigt werden musste. Rund 3.000 tote NATO-Soldaten und mehr als 20.000 Opfer bei den afghanischen Sicherheitskräften sind zu beklagen. Die Zahl der Kriegsopfer unter der afghanischen Bevölkerung wird höher als 60.000 vermutet, doch die genaue Zahl ist nicht bekannt.

Ausblick

Der Krieg in Afghanistan wird, falls die Machteliten in den USA und Afghanistan nicht zu einem radikalen Kurswechsel kommen, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte andauern. Die Folgen des Konfliktes sind für das Land katastrophal, doch auch die gesamte Region und letztendlich die ganze Welt wird nicht davon verschont bleiben. Diejenigen, die wir als Taliban bezeichnen, sind nichts anderes als eine Söldnertruppe, die für die Interessen ihrer Geldgeber weiterhin kämpfen werden. Eine Lösung des Konflikts ist dann möglich, wenn die führende Weltmacht, also die USA, die Interessen der Regionalmächte in Afghanistan berücksichtigt und sich tatsächlich für den Frieden einsetzt.

Seit rund 200 Jahren ist in Afghanistan dann Frieden möglich gewesen, wenn die Weltmächte sich über die Rolle des Landes einig waren. Nun müssen die USA, Russland, China, Pakistan, Indien, Iran und Saudi-Arabien zu einer vernünftigen Übereinkunft kommen, da all diese Länder ihre unterschiedlichen Interessen in Afghanistan verfolgen. Keiner dieser Welt- oder Regionalmächte möchte in Afghanistan klein beigeben. Alle sehen ihre Zukunft von einem Afghanistan bedroht, das einseitig an den USA oder eine andere Macht gebunden ist.

Doch nicht nur die Welt- und Regionalmächte müssten sich einig werden, sondern die Afghanen ebenfalls. Noch ist keine politische Elite in Sicht, die in der Lage wäre, die verschiedenen Volksgruppierungen in demokratischen Werten und annehmbaren Zukunftsmissionen zu vereinen.

Mit anderen Worten, Afghanistan hat noch einen sehr langen, und - wie es aussieht - leidvollen Weg vor sich.