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Leseprobe zu Schillers »Die Räuber« gefällig?

Die literarische Gattung (S. 34 - 35)

Als Schiller begann, »Die Räuber« zu schreiben, war er gerade 18 Jahre alt, also sicher nicht in dem Alter, in dem man sich gerne an feste Regeln, an vorgefertigte Muster hält - besonders nicht in einer Zeit, die das Genie verherrlicht, das sich selbst die künstlerischen Regeln gibt. Und gerade für das Theater gab es ja ganz feste Regeln, die man von den Franzosen übernommen hatte: Der deutsche Dichter und damalige Literaturpapst Johann C. Gottsched (1700 - 1766) hatte in seinem Hauptwerk »Versuch einer kritischen Dichtkunst« (1729) festgelegt, dass die Regeln der französischen Dichtung auch für die deutsche Dichtung zu gelten hätten. Schönheit war nach diesen Regeln gleichbedeutend mit Ordnung und Maß in Sprache und Form.

Für das Theater galten z. B. die drei Einheiten:

· die Einheit des Ortes (das Stück darf nur an einem einzigen Ort spielen),

· die Einheit der Zeit (alles muss sich innerhalb von höchstens 24 Stunden abspielen) und

· die Einheit der Handlung (nur eine Handlung, keine Nebenhandlungen, Abschweifungen etc.).

Das nach diesen Regeln geformte Drama (nach dem griechischen Philosophen und Theatertheoretiker Aristoteles nannte man es „Aristotelisches Drama") hatte auch einen weitgehend verbindlichen Musteraufbau (5 Akte in symmetrischem Aufbau):

1. Akt: Exposition: Einführung der Personen, des Konflikts, der Voraussetzungen

2. Akt: Steigende Handlung, Verwicklungen, Knoten

3. Akt: Höhepunkt, Umschwung, Peripetie

4. Akt: Fallende Handlung, Moment der letzten Spannung, retardierendes Moment: doch noch glückliches Ende?

5. Akt: Auflösung, Katastrophe, Tod

Der junge Schiller hatte wie mancher seiner Zeitgenossen mit solchen Regeln nichts im Sinn - seine aufgestaute Wut, sein Freiheitswille konnten sich nicht in eine vorgegebene Form pressen lassen: er brauchte ein Ventil.

Aus dem Schaubild S. 24/25 können Sie schon erkennen, wie wenig er sich an die Regeln hält: Zwar hat das Stück, das er selbst nicht „Tragödie", sondern „Schauspiel" nennt, 5 Akte, und der 1. Akt enthält die Exposition, der 5. die Katastrophe, aber um die anderen Regeln kümmert er sich nicht sehr:

Abweichungen von den Regeln in den »Räubern«

· Der Spannungsaufbau ist nicht symmetrisch: fallende Handlung schon von Beginn des 3. Akts an, der ganz untypisch kurz ist: nur 2 Szenen.

· Das Stück hat zwei Handlungen, die bis zum 4. Akt nebeneinander laufen, sich kurz berühren, dann aber wieder trennen, dazu noch kleinere Nebenhandlungen (Spiegelberg-Intrige, Kosinsky-Geschichte).

· Es gibt viele (Neben-)Personen.

· Das Stück spielt an verschiedenen Orten.

· Die Handlung läuft sprunghaft ab und umfasst eine Zeit von etwa anderthalb Jahren.

· Die Sprache enthält Elemente der Alltagssprache.

Dabei hatte Schiller noch besonders effektvolle dramatische Möglichkeiten ausgelassen: Franz und Karl treffen nicht einmal aufeinander, man hört nur kurz (4. Akt), dass sie sich gesehen haben. Was hätte das für eine Szene geben können!

Formal sind »Die Räuber« also nicht dem (späteren) Drama der deutschen Klassik verwandt, sondern Stücken wie den »Soldaten« von Lenz (Mini-Szenen, ständiger Schauplatzwechsel, Handlungsabweichungen, Alltags-, sogar Umgangssprache und Dialekt), Goethes »Götz von Berlichingen« (Ortswechsel, Perspektivenwechsel, kurze und lange Szenen) und selbst Büchners »Woyzeck« (von 1836!).

Friedrich Schiller: Die Räuber

Mahnert, Detlev
Kartoniert
Preis: 4,95 Euro
ISBN:3-580-63302-3