Lebenserinnerungen Ernst Kindhauser, geb. 26.04.1913

Die vorliegenden Ausschnitte aus meinem Leben habe ich auf das Anraten und den Wunsch unseres verdienten, langjährigen Präsidenten der Museumskommission; Dr. Hans Stiefel aufgeschrieben und zwar nur aus .dem Gedächtnis. Vieles habe ich sicher vergessen, aber was mir besonders Eindruck machte ist hier festgehalten.

 

Ernst Kindhauser

 

 

 

Vorwort

Mein Urgrossvater Joseph Kindhauser kam Anfangs der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von Kleinandelfingen nach Wiesendangen. Er verheiratete sich hier mit Susanna Studer von da. Diese Familie ist im "Haushaltadel von Wiesendangen" 1826 eingetragen als "Ansäss". 1829 wurde mein Grassvater Hans Ulrich als Aeltester von 8 Geschwistern geboren. Unter dem Datum 18. Febr. 1835 steht im Gemeinderatsprotokoll: "Joseph Kindhauser, der schon mehrere Jahre auf Eigentum sitzt, wird einstimmig ins Bürgerrecht von Wiesendangen aufgenommen." -1863 heiratete mein Grassvater, der Landwirt und im Nebenamt Sigrist und Totengräber war, Susanna Ernst von Teuschen -Aawangen. Diese Frau starb aber kinderlos und mein Grassvater schloss nochmals eine Ehe mit Elisabeth Briner von Stadel, die 22 Jahre jünger war. Ihnen wurden 3 Kinder geschenkt, von denen mein Vater der Aelteste war, geb. am 13. Febr. 1882. Im Jahr 1912 heiratete mein Vater Margaretha Mast, geb. am 25. März 1887, die ebenfalls im Oberdorf aufgewachsen war.


 

Aus meinem Leben

Am 26. April 1913 erblickte ich als 1. Kind meiner Eltern das Licht der Welt. Anderthalb Jahre später kam mein Bruder Ueli dazu. Wir wohnten im Qberdorf, gegenüber der Schreinerei Huss. Meine Grossmutter (die Mutter vom Vater) eine Tante und ein Onkel, beides Geschwister meines Vaters, gehörten noch zu unserer Familie.

Jugendzeit

Aus meiner frühesten Jugendzeit sind mir einige Eindrücke geblieben. Oft nahm sich Tante Elise Zeit, mir mit kleinen Geschichten die Zeit zu vertreiben, ich hätte stundenlang zuhören können. In der Advendszeit aber erzählte uns die Mutter, wie zu Weihnachten das Christkind käme und uns ein Christbäumli und Geschenke bringe. Das war eine ähnliche Geschichte wie diejenige vom Osterhasen, das heisst wir beiden Brüder hörten sie gerne, aber wir sahen ja weder den Osterhasen noch das Christkind einmal in Wirklichkeit. Wir trauten der Sache nur halb, merkwürdigerweise. An einem Weihnachtsabend, ich weiss nicht mehr wann, Vater war früh mit der Stallarbeit fertig und trat mit uns noch vor's Haus. Es war eine sternklare Nacht, darum erklärte er uns noch einige Sternbilder. Wie wir wieder ins Haus traten, stand in der Stube ein strahlendes Christbäumchen. S'Christkindli sei grad in der Zwischenzeit da gewesen, erzählte die Mutter. Merkwürdig dachten wir!

Wohl ein Jahr später, wir zwei sassen in der Stube, da raschelte es im Gang, Schritte gingen, die Stubentür öffnete sich und ein brennendes Christbäumli in der Hand, erschien ein leibhaftiges Christkindli. Sein Haar glänzte im Kerzenschein. Schneeweiss angezogen, mit roten Backen und einer lieben Stimme, bat es uns, ein Weihnachtsversli aufzusagen. Uns beiden stockte der Atem, wir erröteten und waren zuerst sprachlos. War das Traum oder Wirklichkeit? Wir fanden die Sprache wieder und sagten unser Versli auf, dabei beobachteten wir s'Christkindli ganz genau. Es verabschiedete sich, es hätte noch viele viele Besuche zu machen, bei vielen, vielen Kindern. Einige Jahre später hatte unser Nachbar Besuch aus Amerika und ich erzählte meiner Mutter: Diese Frau hat genau das gleiche Haar, die gleiche Stimme, das gleiche schöne Gesicht wie damals das Christkindli !

Ebenso geheimnisvoll dünkte uns, wenn im Stall ein neues Kälbchen zu sehen war. Es sei in der Nacht vom Heustock herunter gesprungen, erzählte die Grossmutter. Dabei stand es meist noch auf wackeligen Beinen und der Heustock war so hoch. Wiederum ein Geheimnis!

Oft wenn Mutter viel zu tun hatte, schickte sie uns beide zur Grossmutter (Mutters Mutter) die noch weiter oben in Oberdorf wohnte, fast beim Maler Bölsterli. Wir besuchten sie gerne, sie holte uns jeweils dürre Birnen- und Apfelstückli aus dem Stücklitrog auf der Schütti und kochte uns am Abend Milchgries. Sie selbst hatte mit ihrem Magen Schwierigkeiten. Zudem besass sie eine geschnitzte, hölzerne Puppe, die unbeschadet die wildesten Bubenspiele überstand.

Das Bad im Wein

An einem nebligen Spätherbsttag war in unserer Trotte hinter dem Haüs emsiges Treiben. Die grossen Traubenstanden und Kufen, in denen der Wein nach dem Wümmet vergoren war, wurden eine nach der andern geleert. Die Traubenmaische in die Tansen (Bükti) geschöpft und in den Presskorb geleert. Dann wurden die Bretter und Balken aufgelegt und das Pressen begann. Als schöner roter Strahl schoss der junge Wein vom Pressbett in die Rinnstande. Wir zwei Brüder standen an die niedere Stande gelehnt und genossen das Schauspiel des plätschernden Weines. Plötzlich sackte mein Bruder zusammen und stürzte kopfüber in die schon halb gefüllte Weinstande. Ein Aufschrei! Mein Vater und noch zwei Nachbarn sprangen herbei. Vater riss den im Wein badenden Bruder heraus und trug ihn zur Mutter in die Küche. Für Mutter war das ein schrecklicher Augenblick, sie hielt den, vom Körper meines Bruders tropfenden Wein, für Blut. Ueli hat aber diese Badekur gut überstanden.

Im Winter aber, wenn Schnee gefallen war, zogen wir zwei Brüder mit den andern Oberdörflern an den ehemaligen Rebhang im Hinterdorf. Wir erlebten da herrliche Schlittenfahrten, wenn nicht zufällig ein Baum im Weg war, weil der Lenker die Schlittelbahn versehentlich verlassen hatte. An ruhigen Abenden aber, wenn der Boden gefroren war, hörte man vom fernen Elsass her dumpfen Kanonendonner, es war ja Kriegszeit.

Stöckligumpe"

Fing dann gegen den Frühling hin, im gestauten Dorfbach das Eis an zu schmelzen, das vorher die wunderbarste "Schliefi“ gebildet hatte, so folgte ein anderes Vergnügen. Die grossen Buben hieben mit Beilen das Eis in grosse Stücke und dann galt es, mit Mut und Geschick von einem Eisstück zum andern springend den Bach zu überqueren und wenn möglich ohne einen Schuh voll herauszuziehen. Für viele Mütter war das eine beängstigende Zeit.

Wie schön war es aber bei der Heuernte. Nach dem Mähen im "Auacker“ zeigte mir die Mutter, wie man in den gemähten Grasmahden die feineren Kümmelstauden von den gröberen Kerbelstauden unterscheiden konnte. So sammelte ich einige "Arvel" (Armvoll) Kümmel und war darob recht stolz, dass ich beim Heuen auch etwas Nützliches hatte helfen können. Der Kümmi wurde daheim auf der Schütti (Dachboden) getrocknet, nachher mit einem Stecken ausgeschlagen und in der Küche zum Würzen verwendet. Kümmitünkli u.s.w.

Schulzeit

Bald rückte meine Schulzeit heran. An der Hand meiner geliebten Mutter schritten wir den Fussweg hinter dem Dorf hinunter zum Schulhaus. Dieser Tag kam mir ungeheuer wichtig vor. Fräulein Herzog, zu der schon meine Mutter in die Schule ging und die ich schon vor meiner Schulzeit kannte hat mit grosser Geduld und viel Liebe uns Lesen und Schreiben gelehrt. Wie oft schweifte mein Blick durch's Fenster auf den nahen Kirchenturm zum Storchennest. Ob dort bald junge Störche zu sehen waren? Einmal ereignete sich etwas Unerhörtes! Ein sogenanntes Postflugzeug landete in den Rietwiesen. Wir Buben rannten natürlich während der Pause ins Riet, alles andere vergessend. Mit der Zeit meldete sich aber ein schlechtes Gewissen, war doch die Pausenzeit längst vorüber. Aber o Wunder!

Frl. Herzog, unsere liebe Lehrerin erschien mit den ihr treu gebliebenen Mädchen ebenfalls beim notgelandeten Flugzeug. War das eine Erleichterung für uns Buben und sie sagte kein Wort von Strafe.

Die Maul- und Klauenseuche. Winter 1919 -20

Im übernächsten Winter durchlebten meine Eltern eine schwere Zeit. Mit besorgten Gesichtern verrichteten sie still ihre Arbeit. Drohend stand über dem Dorf die gefürchtete Maul- und Klauenseuche des Viehes. Sehr gut erinnere ich mich, wie mein Vater eines Abends zur Zeit der Stallarbeit zur Mutter in die Küche trat und tonlos sagte: "Du es frisst e Chue nid", das war alles. So hatte diese Seuche auch unser Gehöft gefunden. Rings ums Haus wurde ein behelfsmässiger Zaun erstellt. Niemand durfte mehr zu uns kommen, ausser dem Tierarzt und dem Metzger als die erste Kuh im Stall zusammenbrach. Aussen am Zaun an der Dorfstrasse wurde eine Kiste befestigt, in welche der Briefträger die Post legte. Die Nachbarn besorgten die notwendigsten Einkäufe ebenfalls über diese Kiste. Mein Schulkamerad Walter Huss legte täglich einen Zettel ein von Frl. Herzog, in welchem meine Schulaufgaben aufgelistet waren, denn in die Schule durfte kein Bauernkind, bei dem zu Hause der Stallfeind herrschte. Wie lange wir "eingesperrt" waren, mag ich mich nicht mehr erinnern. Als wir wieder frei waren, standen 3 Kühe weniger im Stall, und die verbliebenen durchgeseuchten Tiere, die eben nicht mehr viel Milch gaben, mussten bald auch abgeschoben werden. Für meine Eltern muss das ein schwerer Schlag gewesen sein.

Vater verliert ein Auge

In der Zwischenzeit war zu uns zwei Brüdern 1920 noch ein dritter gestossen, unser Jüngster mit Namen Armin. Im Sommer 1921 verlor Vater sein linkes Auge. Beim Rebenhacken (Fälgen) in den Bergreben spritzte ihm ein kleiner Stein gerade in sein Auge. Im Spital musste dieser herausoperiert werden, damit das andere Auge nicht gefährdet würde, so sagten die Aerzte. Trotz dieses Unfalls verfolgte Vater unbeirrt seinen schon lang gehegten Plan im Berg oben einen Hof zu gründen, das heisst aus der Enge des Dorfes herauszukommen. Schon Jahre zuvor hatte er im hintern Berg von Heinrich Stolz eine grosse Wiese kaufen können. Diesen Handel hatten sie beim gemeinsamen Viehtränken am Dorfbrunnen abgeschlossen. Durch Landkäufe bei Ganten und durch Land Abtausch wirkte er weiter auf dieses Ziel hin, ohne dass zunächst jemand das gemerkt hätte. Wir besassen ja unsere Felder in allen Himmelsrichtungen vom Dorf weg. In den Rietwiesen, im Leigrüebler, in der Breite, im Brüelacker, in der Huewies, in der Bettlen, im Dornacker, im Brünnler, zwei im Auacker, im Hasensprung und dann die grosse Wiese und die Reben im Berg. Vater studierte Pläne und Kostenberechnungen. Als "Präsident Keller" wie man ihn nannte mit bauern aufhörte, konnte er an jener Gant wieder ein grosses Stück Wiesen und Acker im Berg ersteigern. Nun rückte Vaters Ziel näher. Ein Fachmann des Wasserwerkes der Stadt Zürich, den Vater als Zivilgutsverwalter kennen gelernt hatte, der riet ihm, an der Stelle wo sich heute unser Brunnenschacht befindet, Grundwasser zu suchen.

Und siehe da, das lebenspendende Nass fand sich in scheinbar genügender Menge. Ein Sodbrunnen mit einem grossen Kiesmantel wurde erstellt. Noch gut erinnere ich mich, wie die Männer aus dem tiefen Loch die Erde von einem Bretterboden zum andern hochschaufelten. Die erste Bedingung für einen künftigen Hausbau war gegeben. Freilich musste das Wasser heraufgepumpt werden, aber es war da, wo man es brauchen wollte. So wagten sich meine Eltern an den Bau einer neuen Siedlung dem Berghof. Das gab im Dorf viel zu reden!

Auszug

Anfang Februar 1923 kam der grosse Tag, an dem wir aus dem Dorf auszogen. Schon Wochen vorher zügelte Vater mit Pferd, Ochs und Schlitten Heu und Stroh, andere Vorräte, entbehrlichen Hausrat, Handgeräte, Werkzeuge und noch tausend Dinge, die sich in alten Bauernhäusern finden. Aber der wichtigste Tag war bestimmt derjenige, an dem Vater und Mutter, Grossmutter und wir 3 Buben, unser Knecht Wolfgang, dann unsere Kühe und Kälber samt Pferd, Ochs, Schweine, Hühner und Katzen auszogen. Das Küchengeschirr wurde in Zeinen und Harassen auf den grossen Brückenwagen geladen. Ebenso Küchen und Stubentisch; darunter sass warm eingepackt mein jüngster Bruder, der in den letzten Tagen noch die "Masern" erwischt hatte. Am Morgen hatte ich vor lauter Aufregung sogar vergessen, meinen Schultornister in die Schule mitzunehmen.

Aller Anfang ist schwer

Im Berg oben, im neuen Haus war es kalt, der neue Kachelofen in der Stube durfte noch nicht zu stark geheizt werden. Was aber viel schlimmer war, am Abend wurde es recht ungemütlich dunkel. Wir hatten ja kein elektrisches Licht mehr wie im Dorf, und wir Buben waren uns nicht gewohnt, mit den alten Petroleumlampen umzugehen. Wir sassen an jenem ersten Abend in der kalten Stube, eine alte Stall- Laterne auf dem Tisch. Zwei Zimmerleute hatten noch letzte Arbeiten auf der Schütti fertig gemacht und assen mit uns z'Nacht. Vater erzählte den Werdegang der neuen Siedlung. Wir hätten halt jetzt noch kein "Elektrisch", weil er die Zuleitung vom Dorf her selber hätte bezahlen müssen und dadurch die finanzielle Belastung einfach zu gross geworden wäre.

Von da an galt es also jeden Abend der Mutter noch Wasser vom Brunnen in die Küche zu tragen, bis der grosse Wasserbehälter neben dem Schüttstein gefüllt war. Das war für alle recht ungewohnt, im Dorf war das Wasser ja aus dem Hahnen in der Küche mühelos zu haben gewesen.

Mutter und Vater klagten nie, waren aber oft zum Umfallen müde. Dazu kam die neue grosse Zinsenlast, die schwer auf die Eltern drückte. Im Hof fehlte der gewohnte Elektromotor. Freilich zum Heu-, Emd- und Garbenabladen wurde er nicht mehr gebraucht, Vater hatte ja eine Scheune mit Hocheinfahrt bauen lassen.

Aber wie sollten wir im Spätherbst dreschen? Wir besassen allerdings eine kleine Stiftendreschmaschine und Vater hatte irgendwo einen alten Göppel gekauft. Das ist eine Einrichtung mit der die Kraft eines Zugtieres zum Antrieb einer stehenden Maschine übertragen werden kann. Im kleinen Wiesli vor der Scheune wurde das Gerät aufgestellt. An einem riesigen Zahnrad, das flach auf den Boden gelagert ist, waren zwei Stangen befestigt. An der einen Stange wurde das Pferd, unser alter Fritz, an der Halfter angebunden, an der anderen starken Stange wurde er eingespannt wie an einem Wagen. Nun musste das Tier, von einem Fuhrmann geführt oder angetrieben, in einem grossen Kreis immer rundum um das grosse Zahnrad laufen und dasselbe drehen. Dadurch wurde ein ganz kleines Zahnrad, an einer langen Antriebswelle die bis in die Scheune reichte, schnell gedreht. Dort übertrug eine Riemenscheibe mittels Treibriemen die Drehkraft auf unsere Stiftendreschmaschine. Nun konnte das Dreschen beginnen. Unser Knecht Wolfgang stand auf dem grossen Zahnrad im Wiesli und überwachte das Zugpferd. Mein Vater, 2 Tagelöhner, eine Taglöhnerin und wir 2 Buben arbeiteten als Drescher. Diese Arbeit dauerte einige Nachmittage. Nachher musste von Hand die Windmühle getrieben werden, um die Körner vom "Güsel" (Spreu) zu reinigen. Das war wieder die Aufgabe von uns Buben, Vater oder Wolfgang mussten "nur" die Maschine treiben

1924. Im Jahr darauf suchte Vater eine andere Lösung. Emil Notz, dessen Vater früher in der Mühle eine mechanische Werkstatt betrieben hatte, kam uns zu Hilfe. Er hatte eine Art Lieferwagen zu einer Brennholzfräse umgebaut. Dieses Auto wurde nun quer in die Hocheinfahrt gestellt, die Autotüre geöffnet und der Führersitz hochgeklappt, darunter befand sich eine Riemenscheibe. Mittels einem Treibriemen durch die offene Autotüre wurde die Dreschmaschine angetrieben. Das ging viel eleganter als mit dem Göppel und wir droschen auf diese Weise manches Jahr.

Graf Zeppelin

Es muss im Herbst 1927 gewesen sein. Fast alle unsere Felder, ausser der grossen Wiese im hintern Berg, waren ja noch mit zahllosen Obstbäumen bestockt. Davon bestand der grösste Teil aus älteren und ganz alten Mostbirnbäumen. Sie trugen in jenem Jahr so reichlich, dass wir überhaupt fast nicht fertig wurden mit Birnen schütteln und auflesen. Zuerst im Frühherbst kamen die Gelbmöstler an die Reihe, die mussten termingerecht aufgelesen und gemostet werden, bevor sie "teig" wurden. Dann folgten Teilersbirnen, Schweizer Wasserbirnen, Wybirnen und Dornbirnen. Zuletzt die späten Grünmöstler, Sülibirnen, Schellerbirnen, Märxler und noch andere. Vater musste immer wieder Birnen schütteln, dann das aufgelesene Obst auf den Brückenwagen laden und mit unseren braven, braunen Milchkühen in die Kreuzstrasse fahren wo Oskar Peter mostete. Er verkaufte den Saft in grossen Mengen dem Konsumverein Winterthur. Mutter, Grossmutter und uns Buben blieb die Aufgabe, die Birnen aufzulesen und in die Säcke abzufüllen. Oft kam noch eine Schwester von Grossmutter zu Hilfe. -Einmal, wir lasen Grünmöstler auf, hörten wir ein eintöniges dumpfes Brummen. Mutter und Grossmutter hielten inne, das Geräusch kam ihnen irgendwie bekannt vor. Das Brummen wurde stärker und lauter und plötzlich tauchte über dem Bergholz am Himmel ein riesiges Luftschiff auf, der "Graf Zeppelin". Wir Buben mussten nur staunen. War das eine Wohltat aufrecht zu stehen und diesem Ungetüm zuzuschauen und zuzuwinken. Majestätisch zog es seine Bahn Richtung Oberwinterthur. Für uns Buben hätte dieses stolze Luftschiff noch viel langsamer fliegen sollen, die Arbeitspause wäre länger geworden.

Mutter und Grossmutter aber hatten eine unerhörte Ausdauer im Birnenauflesen, während wir Brüder die vielen Bäume manchmal ins Pfefferland wünschten. Besonders wenn noch nasses Gras unter den Bäumen das Auflesen erschwerte und doch kein einziger Grashalm in die Säcke gelangen durfte. Weit über 200 Säcke a circa 50 kg. hat Vater damals in die Kreuzstrasse geführt. Der Erlös aber für unsere Mühe war mehr als entäuschend, für 100 kg. Mostbirnen erhielt Vater damals Franken 2.50. Dass wir von da an jeden Winter einige Bäume fällten ist leicht zu verstehen, gab doch Brennholz, das nichts kostete als die Mühe des Ausgrabens.

In jener Zeit hatte Reinhard Metzner oberhalb dem "Steinler" ein Stück Land kaufen können und darauf ein kleines Haus gebaut, eine kleine Küche, eine Stube und ein Schlafzimmer. Weil sich dort eben auch kein fliessendes Wasser fand, so holte er täglich mit unserer Rücken-Milchtanse das Wasser bei uns am Brunnen. Er schlug uns vor, wir könnten doch, statt unser Wasser ins Haus zu tragen, dasselbe mit einer Flügelpumpe in der Küche von Hand herpumpen. Vater hatte schon früher an so etwas gedacht, aber unser ehemaliger Nachbar im Dorf, Alfred Ruckstuhl, hatte ihm abgeraten, weil eine Handpumpe das Wasser auf diese Entfernung nicht ansauge. So stand Ansicht gegen Ansicht. Nach vielem Hin und Her anerbot sich unser Nachbar uns die Leitung vom Brunnenschacht bis ins Haus zu installieren, wenn wir die Grabarbeiten, Mauerdurchbrüche u.s.weiter ausführten. Vater entschloss sich, die Sache zu wagen. Eine "Allweiler" Handpumpe wurde angeschafft, in der Küche montiert, und wirklich, unser Nachbar bekam Recht, die Pumpe sog das Wasser an. Das war für uns wirklich eine Erleichterung. Als Gegenleistung erhielt R. Metzner die Erlaubnis in unserem Land an der Drainageleitung im Chrättler einen Schacht zu bauen und von dort eine Wasserleitung zu seinem Haus zu ziehen. So war beiden gedient.

Nach der Schule

Als meine Schulzeit sich dem Ende näherte, bot mir unser Lehrer, Herr Simler eine Lehrstelle an als Maschinenzeichner bei Sulzer, Winterthur. Aber durfte ich an so etwas denken, wenn meine Eltern sich dermassen abmühten? Schon im letzten Schuljahr hatte ich ausser den Ferien noch 14 Tage daheimbleiben müssen um in der Heuernte zu helfen. Damals amtete im Dorf als Gemeinde -Krankenschwester Hilda Mittelholzer. Sie war die Schwester des berühmten Fliegers und eine sehr selbstbewusste, fromme Frau. Im Dorf hatte sie grossen Einfluss, auch auf meine Mutter. Durch diese Krankenschwester suchten und fanden meine Eltern für mich im Tösstal eine Stelle als Hausbursche in einem Ferienheim (Erholungsheim) bei Turbenthal. Ausser den vielen Hühnern und 8 Schafen, die mir anvertraut wurden, war der grosse Garten mein Arbeitsfeld. Sozusagen alles Gemüse bauten wir selbst an, sodass ich in dieser Beziehung viel lernte. Den Konfirmanden -Unterricht besuchte ich in der nahen "Chrischona - Gemeinde"; das war der ausdrückliche Wunsch meiner Eltern, weil daheim ein sehr liberaler Pfarrer seines Amtes waltete. Jene 2 Jahre haben mein Leben entscheidend beeinflusst. Eine ältere, blinde Krankenschwester (Diakonisse) nahm mich oft nach Feierabend beiseite und las mit mir die beiden Thimotheus Briefe. Sie lebte mir das Leben einer Christin so vor, dass ich mich sehnte, auch so ein glückliches Leben führen zu können. Leider starb sie noch vor meiner Konfirmation.

In jenem Hause arbeitete, (oder "diente", wie man damals sagte) eine Bauerntochter aus dem oberen Tösstal als Zimmermädchen und Köchin. Sie war fleissig, still und flink, ein paar Jahr älter als ich. Weil sie klein und zierlich war, wurde sie von allen viel jünger geschätzt und Anneli gerufen. Damals schon schloss ich sie in Liebe in mein Herz, hätte aber nie gewagt, ihr davon ein Wort zu sagen. Sie ist dann 8 Jahre später meine liebe Frau geworden, trotz der Voraussage von Schwester Hilda Mittelholzer, welche zu meiner Mutter sagen durfte:"lhr habt ja so viel Schulden auf eurem Berghof, dass euer Aeltester nie eine Frau finden wird".

Im Frühjahr 1930 riefen mich meine Eltern nach Hause zurück. Im Dorf wurde ein Baumwärterkurs unter der Obhut der Landw. Genossenschaft durchgeführt, den ich dann besuchte. Wir stutzten junge bis ältere Bäume zusammen. bis sie fast wie Wegweiser aussahen. Kursleiter Aeppli von Hagenbuch wollte uns den damals sogenannten "Oeschbergerschnitt" beibringen. War das der Anfang einer modernen Baumpflege? Wir lernten das Umpfropfen von jungen Bäumen auf gute neue Sorten. Das habe ich später mit Erfolg oft ausgeführt. Zur Baumpflege gehört aber auch die Pflege der Bienen. Mit Hilfe unseres guten Nachbarn zimmerten wir im Laufe des Sommers ein neues Bienenhäuschen. Leider sind die vielen Baumgärten ums Dorf fast alle verschwunden und an ihrer Stelle stehen heute -- Häuser!

Wieder in der Fremde

In jener Zeit hatte ein junger Bauer, der vor Jahren einen Sommer lang bei uns gearbeitet hatte, geheiratet und im Wadtland zwischen Aubonne und Etoi einen schönen Hof kaufen können. Nun suchte er nach Arbeitskräften. - Wir waren uns bald einig, weil mein Vater fand, ich müsste jetzt bei einem tüchtigen Bauern meine Berufskenntnisse erweitern. Im Frühjahr 1931 trat ich, mit noch einem um 1 Jahr älteren Burschen (Gottlieb Moser), jene Stelle an. Der Anfang aber war schwer, ich kannte keinen vertrauten Menschen. Mich plagte bitters Heimweh, obwohl wir auf dem Hof ja deutsch sprachen. Mit der Zeit aber bekam ich Freude an der ungewohnten neuen Aufgabe, lernte ich doch auch mit 2 Pferden umzugehen und zu fahren, Als im Sommer die ersten Kirschen heranreiften, wir hatten viele Kirschbäume, entschied unser Meister, diese müssten nun auf dem Markt in Aubonne verkauft werden. Mein älterer Mitknecht der im Umgang mit 2 Pferden und den vorhandenen Maschinen besser vertraut war als ich, lehnte zum voraus ab, zu Markt zu fahren. So wurde ich dazu bestimmt. Mit einigen Zeinen sehr schöner Kirschen, die wir mit dem "Charabanc" (Einspännerwägeli) in die Markthalle brachten begann mein erstes Markterlebnis. Gottlieb spannte das Pferd aus und strebte heimzu. "Wenn am Mittag das Wägeli leer sei, könne ich dasselbe gut von Hand heimbringen, da die Strasse ja fast bis zu unserem Hof bergab gehe," so lautete seine Weisung. Mit gemischten Gefühlen harrte ich nun der Dinge, die da kommen sollten. Alle meine Französischkenntnisse aus der Schule suchte ich zusammen, sie reichten aber nicht weit genug. Mit etwas Humor von kauflustigen Marktbesuchern, die mir den "Deutschschweizer" natürlich anmerkten kam das Geschäft trotz allem gut in Gang. Bevor Mittag war hatte ich meine Zeinen leer und zog glücklich meines Wegs nach Hause. Meine Meistersleute waren sehr zufrieden und so wurde beschlossen, dass ich von jetzt an jede Woche ein oder zweimal zu Markt fahre. Mein Sortiment wurde erweitert mit Gemüse aus dem grossen Garten, später mit Frühkartoffeln und nachher mit Beeren und Kernobst. Einmal nahm ich gute Tafelbirnen in einer Zeine mit. Kein Mensch würdigte diese eines Blickes. Das nächste Mallegte ich dieselben Birnen schön reihenweise in niedere Kistchen, zwischen jeder Reihe ein gefaltetes weisses Papier. Und siehe da, zum gleichen Preis wie in der Woche vorher, gingen die Birnen schlank weg. Da habe ich nicht nur Französisch gelernt. Das Geschäft machte mir Freude, besonders weil mir von meinem Markterlös 10% als Lohnzugabe versprochen wurde. Mein damaliger Monatslohn betrug 50 Franken und diese Zugabe war mir sehr willkommen.

Den Sommer über hatte mein Bruder Ueli daheim geholfen und wollte im Herbst eine Lehre antreten als Spengler und Installateur. So musste ich vor Neujahr wieder nach Hause zurück. Mit meinem ersparten Lohn kaufte ich ein älteres aber gutes Pferd. Einspännige Zugarbeiten waren auch daheim mit einem Pferd leichter zu erledigen als mit einer Kuh.

Nochmals in der Schule

Mein ehemaliger Meister in Wadtland hatte mir geraten, eine landw. S:chule zu besuchen. So befasste ich mich mit diesem Gedanken. Mein Vater aber fürchtete die Kosten. "Du kannst die Schule schon besuchen," meinte er, "aber ich vermag es nicht, für dich das Schulgeld zu zahlen." So erkundigte ich mich in Wülflingen bei Schuldirektor Leemann, ob es unter diesen Umständen dennoch eine Möglichkeit gäbe, dass ich die "Weinlandchule" besuchen könnte. Nach einigen Rückfragen schrieb er mir, er würde sich für mich einsetzen, er sei überzeugt, dass ich ein Stipendium bekäme. So geschah es auch, ich durfte kostenlos als externer Schüler die beiden Kurse 1932/33 und 1933/34 der Schule besuchen. Da gab es viel Neues zu lernen, aber Vater und Mutter liessen mir auch die nötige Zeit daheim für die Aufgaben. Sehr interessierte mich Betriebslehre, Chemie, Weinbau und Tierzucht, letztere vom hochgeschätzten Lehrer und späteren Strickhofdirektor Bernhard Peter von Wiesendangen vorgetragen. Der Winter flog nur so vorbei.

Im Sommer 1933 aber stand mir die R. S. bevor. Weil ich bei den Säumern (Gebirgs- Train) eingeteilt war, musste ich diesen Dienst in Andermatt leisten. In Sachen Pferdepflege lernten wir Verschiedenes, das uns auch daheim wieder zugut kam. Die majestätische, aber auch unerbittliche harte Bergwelt beeindruckte mich tief. Wie klein und unscheinbar kommt man sich vor angesichts dieser Bergriesen, angesichts dieser wunderbaren, überwältigenden Schöpfung.

Im November begann der zweite Kurs an der Weinland -Schule. Diese Zeit mit der frohen Kameradschaft und den interessanten Exkursionen gehört zu den schönsten Erlebnissen meines Lebens.

Schwere Zeiten

Nach dem 2. Examen im Frühling 1934 war ich wieder eingespannt in den harten Existenzkampf meiner Eltern. Mutter plagte sich nebst den üblichen Arbeiten in den Reben noch besonders mit dem Anbau und Verkauf von Gemüse. Wie manches Mal machte sie sich zu Fuss auf den Weg in die Stadt, unser Bruggenwägeli voll beladen vor sich herstossend. Im Altersheim "Wiesengrund" war eine Cousine meines Vaters Verwalterin. Sie war eine gute Abnehmerin von Mutters Gemüseangebot. Von diesen Fussmärschen brachte Mutter, oft todmüde, das so bitter benötigte Bargeld nach Hause. Diese Fahrten überforderten aber ihre Kräfte. Sie wurde krank, herzkrank. Im folgenden Jahr begannen wir mit dem Anbau von vorgekeimten Frühkartoffeln um das zeitaufwendige Gemüsegeschäft zu ersetzen und Mutter zu entlasten. Die ersten hiesigen Kartoffeln liessen sich sehr gut verkaufen und räumten den Acker so früh, dass man noch eine Nachfrucht anbauen konnte.

Im Einverständnis mit Vater kaufte ich von unserem Dorfschmied (Richard Karrer) einen Federbockwagen. Das erleichterte den Verkehr mit der Stadt ganz wesentlich, konnte man doch mit Pferd und Wagen weit mehr laden und erst noch schneller fahren. Ebenfalls schafften wir einen ausgebauten "Fiat" Automotor an, den uns der Schmied auf ein Fahrgestell aufbaute. Mit diesem fahrbaren Benzinmotor konnten wir nun dreschen, wann es uns zeitlich passte und erst noch die Windmühle und ebenso im Winter die Brennholzfräse antreiben.

Mutters Krankheit aber verschlimmerte sich täglich, obwohl wir ein gutes, älteres Mädchen gefunden hatten, das den Haushalt besorgte und auch draussen auf dem Felde half. Meine stille, heimliche Liebe zu jenem Anneli von Fischenthai hatte ich aber nicht vergessen. Nach einer Aussprache mit Mutter und Vater nahm ich die Verbindung mit ihr wieder auf und gestand ihr meine Liebe. Nach einer von ihr noch gewünschten Bedenkzeit gab sie mir ihr Ja -Wort. Am folgenden Bettag verlobten wir uns und zugleich feierten meine Eltern ihre silberne Hochzeit. Mutter aber wurde immer kränker und schwächer. Zwei Tage vor Weihnachten starb sie, für uns alle trotzdem unerwartet in ihrem 50.sten Lebensjahr. In meinem Leben hat

mich nichts so sehr geschmerzt wie damals der Tod meiner Mutter. Sie fehlte einfach überall, wir konnten sie nichts mehr fragen.

Nach dieser schweren Zeit war Vater froh, dass wir, Anneli und ich, uns entschlossen, bald zu heiraten. Am 11, April 1938 liessen wir uns in Wald, wo Anneli nochmals 6 Jahre "gedient" hatte, trauen. Von einer Hochzeitsreise war allerdings keine Rede. Die schönen Frühlingstage die folgten, benutzten wir um unsere vorgekeimten Frühkartoffeln zu stecken und zwar damals noch von Hand. Das war für meine Frau kein leichter Anfang im Berghof. Jeden Samstag galt es, die vielen und meist russigen Petrol-Lampen und Laternen zu putzen und nachzufüllen, sie lernte mit dem Holzkohleneisen die Wäsche zu bügeln u.s.w.. Noch heute bin ich ihr dankbar, dass sie nie murrte und klagte. Mit Fleiss und Interesse lernte sie die Rebarbeiten erledigen, die ihr, ausser mir, unsere langjährige Taglöhnerin Frau Grob mit besonderem Stolz vorzeigte. Im Herbst reichte es dann zu einer zweitägigen Hochzeitsreise. Wir besuchten meine ehemaligen Meistersleute in Aubonne und das Comptoir in Lausanne.

Das Nordlicht!

Im folgenden Frühjahr 1939, leider weiss ich nicht mehr genau wann, war ich eines Abends noch im Oberdorf bei meiner Gotte eingekehrt. Wie ich heimkehren wollte und wir beim Einnachten vor die hintere Haustüre traten, es war schon fast dunkel, bot sich uns am Himmel ein noch nie gesehenes Farbenspiel an. Genau über dem Horizont im Norden schossen breitgefächerte rote bis fast violette, riesige Strahlen, wie aus mächtigen Scheinwerfern bis weit gegen Süden am Himmel dahin. Wir beide standen zuerst wie gebannt und konnten nur staunen. Dann kam mir auf einmal das Merkwürdige dieses Farbspieles zum Bewusstsein. Rasch verabschiedete ich mich und hastete den Trottenrain hinauf, heimzu, um auf dieses Wunder aufmerksam zu machen. Die Strahlenfächer am Himmel verblichen langsam und wichen einer roten Fläche, die Daheimgebliebenen sahen die scharf abgegrenzten Strahlenbündel nicht mehr. Wir rätselten noch eingehend über dieses Naturschauspiel. Die Zeitungen berichteten anderntags, das sei ein Nordlicht gewesen. Grossmutter aber meinte mit besorgter Miene: "Das ist kein gutes Zeichen, es gibt Krieg." Sie sollte Recht bekommen, aber sie musste diese Notzeit nicht mehr erleben, sie starb am 27. Juni im hohen Alter von 88 Jahren.

Der Krieg bricht aus

Am 1. September 1939 war Mobilmachung, der 2. Weltkrieg begann. Vor dem Einrücken fuhr ich mit dem Velo noch ins Dorf um einen Melker zu suchen, weil Vater für 2 Tage als Pferdeführer aufgeboten war. Ein alter Mann, der Vater von Coiffeur Inglin übernahm diese Aufgabe: für 2 Tage, füttern, melken und Futter holen. So konnte ich etwas beruhigter einrücken, obwohl Vater unser Pferd auch zum Militärdienst stellen musste.

Wir hatten damals nach der Frühkartoffelernte Anfangs Juli auf dem gleichen Feld nochmals vorgekeimte Kartoffeln gesteckt. Diese standen Ende August gesund und eine gute Ernte versprechend da. Sie sollten noch gegen die Kraut -und Knollenfäule gespritzt werden. Aber wer konnte dies tun, wenn ich zur Mobilmachung einrücken musste? Weder meinem Vater, noch viel weniger meiner Frau konnte ich ja diese strenge Arbeit zumuten. So hängte ich an jenem denkwürdigen Tag noch das Spritzertäusli an den Rücken und spritzte unser Kartoffelfeld. Dann erst studierte ich den Kriegsfahrplan - und erschrak!! Es fuhr kein Zug mehr nach Winterthur, der mich rechtzeitig auf den Schnellzug und damit auf meinen Mobilmachungsplatz Seewen -Schwyz gebracht hätte. Also was tun? Den Tornister hatte ich schon gepackt. "Anneli ich muss mit dem Velo nach Winterthur, sonst komme ich zu spät." Das war die Lösung. Aber das Velo? Anneli musste mitkommen und mit meinem Velo wieder heimfahren, sonst hätten wir es bestimmt verloren in der damaligen Aufregung! Sie setzte sich also auf die Stange vor den Sattel und so fuhren wir zu zweit, ich den Tornister auf dem Rücken im Eiltempo in die Stadt. Im Stadtrain wo die Strasse die Bahn überquert rief ein Mann: "Lueg emal da, dä nimmt grad d'Frau mit!" Wir aber erreichten noch zur rechten Zeit im Hauptbahnhof den Schnellzug. Ein kurzer Abschied -Anneli fuhr mit dem Velo heimzu und ich mit dem übervollen Schnellzug einer ungewisser Zukunft entgegen. Das war kein Einrücken in den Wiederholungskurs; aber so viele Schimpfwörter über "die Deutschen", die den Krieg angefangen hatten, habe ich meiner Lebtag nie mehr gehört.

Es brach eine schwierige Zeit für meine Frau und Vater an. Es folgten die vielen Verfügungen und amtlichen Vorschriften für die Bauern betr. dem "Mehranbau", genannt Anbauschlacht nach "Plan Wahlen". Es gäbe über diese Zeit viel zu schreiben. Nach der 1. Mobilmachung wurden wir Überraschend im Spätherbst entlassen. Im Frühling 1940 aber war die 2. Mobilmachung. Alles was Urlaub hatte, musste wieder einrücken. Man erwartete von den Deutschen einen Angriff auf unser Land von Norden her. Mit Anneli und Vater verabredete ich, dass sie unter keinen Umständen vom Berghof fliehen sollten. Kämen fremde Truppen, so würden sie allen Schnaps im Hause ausleeren, sonst aber die Soldaten unbehelligt lassen. Würde der Krieg ausgehen wie er wollte, so würde ich mit allen Mitteln versuchen, wieder hierher heimzukommen. Wir wollen heute noch dankbar sein, dass Gott unser Land damals vor einem Angriff der Deutschen verschont hat.

Aktivdienst

Aus meiner Aktivdienstzeit während dem Krieg folgen hier nur zwei Auschnitte. Im Tessin in Rodi Fiesso waren wir vom Mai bis vor Weihnachten 1940 einquartiert. Während dem Hochsommer half fast die ganze Kompanie den daheimgebliebenen Frauen und alten Bauern im Ort und weit in den umliegenden Dörfern, die Heuernte einzubringen. Später erhielten wir mit den Säumern des Urnerbataillons 87 die Aufgabe das gesamte Baumaterial für mehrere Militärbaracken auf die Höhe des Passes Campo Lungo zu säumen. Dieser Saumweg führt über Prato und Dalpe hinüber nach Fusio im Maggiatal. Es galt also Zement, Bretter, Balken, Wandteile, Fenster, Türen, Weileternitdachplatten u.s.w. auf die Pferde zu verladen. Auf viele Bastsättel musste noch ein besonderes Holzgestell aufgesetzt werden um die ungewohnten Lasten, ohne Behinderung der Pferde, sicher befestigen zu können. Für eine einzige Baracke benötigten wir mehr als zwei Wochen Zeit. Dank dieser täglichen Transporte erhielten wir, Mannschaft und Pferde, eine gute Gebirgsmarschkondition, mussten wir doch jedes Mal etwa 1200 m. Höhenunterschied überwinden.

Ein anderes Mal, das war Anfang 1943 musste ich vorbezogenen Urlaub nachholen bei einem zusammengewürfelten Geb. Train Detachement. Neben anderen Aufgaben sollten wir von der Gotthard -Passhöhe aus 2000 Säcke Zement zum Festungsbauplatz "Sella" befördern. Das geschah mit einspännigen Holzschlitten, auf welche 3 -5 Säcke geladen wurden. Mit einer Seilbahn, die für das Lucendro Stauwerk das Material transportierte, wurde der Zement von Airolo heraufgebracht. Der Schlittweg führte über einen kleinen zugefrorenen See am Hospitz vorbei. Ein mehrtägiger schwerer Schneesturm behinderte unseren Auftrag ganz erheblich. Wir zogen alles an, was wir an Kleidungsstücken bei uns hatten. Leibbinden, Ohrenkappen, Handschuhe und Kaput. Dieser war meistens am Abend vor Nässe und Kälte gefroren wie ein Brett. Für uns Säumer war das der härteste Einsatz den wir leisten mussten während dem Aktivdienst. Da kam unerwartet der Bericht, die Transportseilbahn hätte einen Schaden erlitten und stehe still, wir sollten darum wieder nach Andermatt zurückkehren. Ein Maschinenschaden hat wohl kaum in unserem Leben eine solche Freude ausgelöst wie dieser Stillstand der Seilbahn. Von den angesagten 2000 Zementsäcken hatten wir ja erst deren 1400 an Ort und Stelle gebracht.

Der Krieg diktiert Aenderungen

Wir Bauern hatten im Dienst oft mehr freie Zeit, als daheim im Urlaub. 1940 studierte ich in Rodi Fiesso abends nach dem Hauptverlesen eine kleine Schrift von Virtanen, einem Finnländer, über neuartige Grasconservierung. Im Einverständnis mit Vater, bauten wir Anfangs 1941 in der Scheune 2 Futtersilos aus Beton. Nachbar Reinhard Metzner zimmerte uns eine Schalung aus Holz und vom Vorstand der Milchgenossenschaft erhielt ich die damals erforderliche Erlaubnis zum Bau. Später wurden solche Silobauten sehr empfohlen und sogar Beiträge daran ausgerichtet. In einem, der Migros nähestehenden Blatt, las ich damals den Satz: "Baut Wirtschaftsbunker der Freiheit", als Aufforderung zum Bau von Futtersilos. Die Bauern konnten auf einmal nicht genug Milch, Fleisch und überhaupt Nahrungsmittel produzieren. Im Spätherbst wurde unser erstes Silofutter von der E.T.H. untersucht und zu meiner Freude als buttersäurefrei, das heisst, als gut befunden. Dank der kürzeren Heuernte waren wir wieder etwas unabhängiger von Schlechtwetter -Perioden geworden.

Weil aber Kriegszeit herrschte kamen andere Schwierigkeiten. Zum Dreschen im Herbst brauchte es plötzlich eine Bewilligung zum Benzinkauf, ebenso für das Petrol für unsere Lampen und Laternen. Nachbar Metzner wusste sich zu helfen. Von der Firma Kern und Schaufelberger in Winterthur liess er sich eine Windkraftanlage bauen. Ein Propeller mit angekoppeltem Generator auf seinem Hausdach montiert, lieferte Lichtstrom für seine ganze Wohnung. Diese Beleuchtung war weit heller und besser als unsere Petrollichter. So befassten wir uns auch mit dieser Neuerung und liessen uns einen Kostenvoranschlag erstellen. Herr Schaufelberger freute sich, an einem grösseren Gebäute seine Anlage auszuprobieren. Leider hörten er und seine Fachleute nicht auf unseren Rat, den Windflügel auf einem Holzmast im Rebberg aufzustellen. Nein, sie bauten die Anlage auf unserem Scheunendach. Weil aber unser Hof an einem sehr windgeschützten Ort steht, klappte die Sache nicht, der Propeller musste wieder abgebrochen werden. Emil Peter, Verwalter der Landw. Genossenschaft, gab uns freundlicherweise seine Einwilligung, weit oben in seinem ehemaligen Rebland, einen ca. 14 m hohen Mast aufzustellen. Von dort wurde eine Gleichstromleitung über 2 Telephonstangen zu unserem Wohnhaus geführt. Im Keller stellten wir 6 Autobatterien als Ausgleich und Stromspeicher auf. Schon bei schwachem Wind drehte sich nun der Propeller und lieferte Strom, es schien alles gut seinen Zweck zu erfüllen. Die Beleuchtung in Haus und Stall war gegenüber dem Petrollicht sehr gut. Bei langandauernden Schönwetterperioden, ohne Wind, fingen jedoch die elektr. Birnen an, rötlich und schwach zu leuchten. Aber Energie für ein elektrisches Bügeleisen oder gar für einen Motor fehlte halt einfach.

Die Anbauschlacht

Nun, Militärdienst und dazwischen "Mehranbau" daheim lösten sich ab. Die Betriebsweise musste immer intensiver werden, wir Bauern konnten kaum genug anpflanzen, ernten und abliefern. Schon 1940 und 1941 wurde hier in der Ostschweiz der Zuckerrüben- und Rapsanbau eingeführt. - Diese, für uns bisher unbekannten Kulturen, sollten unser Land etwas unabhängiger von fremden Einfuhren machen, die damals eben einfach ausblieben. Mit Vorträgen und Anbaudemonstrationen wurde uns Bauern empfohlen und praktisch gezeigt, wie Aussaat, Pflege und Ernte erfolgen konnten. Damals kannte man bei den Zuckerrüben noch kein "Monogerm" Saatgut, sodass das Vereinzeln der aufgelaufenen Pflänzchen von Hand, tief gebückt oder auf den Knien geschehen musste. Ebenso in der Ernte musste alles von Hand getan werden. Mit einer "Schippe" (eine Art Messer an einem langen Stiel) wurde das Kraut abgeschnitten, die Rüben mit einer Grabgabel ausgestochen und dann zusammengeklopft, um sie von der Erde zu befreien. Nach einem bestimmten Plan mussten sie auf die Eisen- bahn verladen werden, nach Aarberg, wo die einzige Zuckerfabrik der Schweiz stand. Wer damals Zuckerrüben anbaute, bekam als II Belohnung und Anreiz" einige Kilogramm Zucker ohne Rationierungsmarken. Aehnlich verhielt es sich mit dem Anbau von Raps zu Speiseöl. Die Aussaat geschah mit der Sämaschine. Wenn in den Schoten die Rapssamen sich zu verfärben begannen, mähten wir den Raps wie Getreide und banden von Hand mit Schnüren kleine Gärbchen. Diese wurden zu grossen Puppen aufgestellt und zum Ausreifen stehen gelassen bis die Samen schwarz waren. Zum Heimführen kleideten wir den Wagen noch mit Tüchern aus, um ja keine Samen zu verlieren. Daheim droschen wir den Raps wie Getreide. Kein Mensch klagte und jammerte wegen Ueberproduktion, niemand träumte von Blumenwiesen. Aber auch niemand fragte, ob die grosse Mehrarbeitslast der Bauern und besonders der Bauernfrauen, die ja immer daheim waren, deren Kräfte überforderten. Die Hauptsache war, dass alle genug zu essen hatten. Und heute ist das alles vergessen!! So vergingen die Kriegsjahre.

Gegen Ende 1944, wir waren wieder im Dienst im Tessin, kam eines Abends nach dem Hauptverlesen unser Zugführer Obltn. Stiefel zu mir. Er teilte mir mit, dass er in Wiesendangen von Dr. Bechter das Doktorhaus gekauft habe und mit seiner Frau die ebenfalls Aerztin sei, die Arztpraxis übernehmen wolle. Dieser Bericht freute mich sehr, hatte ich doch im Dienst Obltn. Stiefel als ganz korrekten Offizier und lieben Menschen kennengelernt. Als Beweis für meine Aussage führe ich an: "An der Soldatenweihnacht 1944, an der verschiedene Offiziere "Geschenke" erhielten, wurde Obltn. Stiefel von der Mannschaft mit einem 3. Stern am Kragen der Uniform zum Hauptmann befördert. Ein weniger beliebter H. D. Arzt im Offiziersrang erhielt aber einen Hammer und einen grossen Nagel. Mit diesen Instrumenten könne er bei einer nächsten Impfung der Mannschaft besser "vorlochen". So kam auch der Soldatenhumor nicht zu kurz.

Waffenstillstand

Im Juni 1944, als Amerikaner und Engländer, trotz hoher Verluste in Frankreich landeten, schien im grossen Völkerringen eine Wende einzutreten.

Am 8. Mai 1945 trat der ersehnte Waffenstillstand in Kraft. Wie überall, so auch in unserem Dorfe läuteten die Glocken zum Dankgottesdienst. Noch nie sah ich so viele Menschen in unserer Kirche wie damals am 8. Mai

1945. Auch auf den Treppen zur Empore sassen die Leute dichtgedrängt. Und wirklich, wir hatten allen Grund, unserem Schöpfer zu danken für die grosse Bewahrung, dass unser Land nicht in die direkten Kriegsgreuel hinein gezogen worden waren.

Anfang 1944 hatte uns Gott unseren ersten Sohn namens Ernst geschenkt. - Nach Kriegsende 1945 unsere Tochter Margrit und 1947 und 1949 nochmals 2 Söhne Hans-Ulrich und Benjamin, alle zur grossen Freude von Grossvater und uns Eltern. Wir sind Frau Dr. Stiefel heute noch dankbar, dass sie damals, bei der Geburt unseres Jüngsten, uns so beigestanden ist und so gut beraten hat.

Endlich genügend Strom und fliessendes Wasser

Nach Kriegsende anerbot sich Ernst Wiesmann, der Vater von Prof. Dr. Ernst Wiesmann, einmal an die E. K. Z. zu schreiben, weil er dessen Präsidenten persönlich kenne. Er schilderte diesem unsere Lage und schrieb, es sei für unsere Gemeinde kein Ruhmesblatt, wenn ein Bauer allein, auf solche Art und Weise (Windkraftanlage), sich selber helfen müsse. Er wies darauf hin, dass ja seit 1934 eine Hochspannungsleitung der E. K. Z. in unserer Nähe vorbeiführe. Dieses Schreiben wirkte! Die Leitung der E. K. Z. war einverstanden, dass das Elektrizitätswerk Wiesendangen mittels einem Stangentransformer an der Hochspannungsleitung anschliessen und uns den ersehnten Kraftstrom liefern könne. An einer, für mich denkwürdigen Civilgemeindeversammlung, damals noch im alten Schulhaus, wurde ein solcher Antrag der Vorsteherschaft zum Beschluss erhoben, mit der Auflage, dass wir an die Erstellung des Transformers 2000 Fr. zu bezahlen hätten. Das brachte für unsern Nachbarn und für uns eine grosse Aenderung und Erleichterung. Auf Anraten von Ernst Wiesmann, der bei der Firma Sulzer angestellt war, kauften wir etwas später einen Sulzer Aquablock". Dieser, vorher an der Mustermesse in Basel ausgestellte Wasser -Druckkessel, wurde von Walter Bleier, unserem Dorfspengler und Installateur, im Keller aufgestellt. Die angeschlossene Wasserpumpe mit der automatischen Druckregelung versorgt uns seither mit "fliessendem" Wasser. Was war das für uns eine Wohltat! Meine Frau musste in der Küche kein Wasser mehr pumpen, niemand musste mehr pumpen um das Vieh zu tränken, niemand um die Reben zu spritzen, um die Wäsche zu waschen, um den Garten zu giessen und -und -. Und wir hatten doch, Vater und ich, damals noch mit der Rückenspritze, nebst den unsrigen noch für 5 andere Rebenbesitzer die Reben gespritzt.

Der Wein des Jahrhunderts

Nun will ich noch den denkwürdigen heissen und sehr trockenen Sommer 1947 erwähnen. Unsere Wasserversorgung musste ihre Feuerprobe bestehen. Im Herbst aber reifte in den Reben ein Wein heran, wie er seit 1911 in Wiesendangen nie mehr hatte gekeltert werden können. Die Oechslewaage zeigte über 90° und darum hiess der erlesene Tropfen "Wein des Jahrhunderts".

Die Güterzusammenlegung Ende der 40iger Jahre warf die Güterzusammenlegung bereits ihre Schatten voraus. Diese grosse Aufgabe wollte mein Vater nicht mehr selber lösen. Ab 1. Jan. 1952 konnte ich unser Heimet von ihm käuflich übernehmen zum damaligen Ertragswert. Bisher hatten Anneli und ich einfach so, ohne jede Abmachung bei Vater gearbeitet. Er hatte auch immer für unsere finanziellen Bedürfnisse und diejenigen unserer Kinder gesorgt. Nachdem dann das grosse Werk der Güterzusammenlegung beschlossen war, musste mit der Vorausbezahlung der mutmasslichen Kosten begonnen werden. Das waren für die damalige Zeit erhebliche Beträge, die jedes Jahr erhoben wurden. Für uns aber stellten sich weitere, grosse, lebenswichtige Fragen. Was geschah mit dem Rebland im Berg? Von den insgesamt 43 Rebbesitzern, davon 29 im Berg, hatten, ohne die Stadt Winterthur, nur noch deren sechs, Interesse und Lust wieder Rebland zu übernehmen und Neuanlagen zu pflanzen. Allen andern war der Weinbau total verleidet, weil der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag gestanden hatte. Sie hatten nur noch darauf gewartet, durch diese Flurbereinigung ihr Rebland loszuwerden. Dazu herrschte im Januar 1956 eine Wärme wie im Frühling. Das war wirklich schönes Wetter zum Bäume schneiden, nicht aber für die Reben, die bereits begannen, etwas auszutreiben. Anfangs Februar sank aber das Thermometer innert weniger Tage auf minus 18 - 22°. Das bedeutete nichts Gutes! Und wirklich, beim Austrieb im April mussten wir feststellen, dass ein Grossteil der Stöcke schlecht austrieben und der andere Teil überhaupt total erfroren war. Es bestand dazu die Aussicht, dass voraussichtlich 1957 die Neuzuteilung des Landes stattfinden sollte. Die meisten Rebbauern, dazu gehörten auch wir, griffen zur Reuthaue und rodeten ihre Reben aus.

...und ihre Folgen

Als Lösung dieses Landproblems erwog die Ausführungskommission den Bau einer Siedlung im hinteren Berg, da wo wir unser schönstes ebenes Land besassen. Sollten wir nun dieses Land verlieren im Tausch gegen steiles Rebland im vorderen Berg? Das entsprach nicht den Grundsätzen der Güterzusammenlegung. Mein jüngster Bruder Armin, der eine landw. Lehre gemacht und ebenfalls die Landw. Schule in Wülflingen besucht hatte, interessierte sich eventuell für eine Siedlung. Er besass ja im Dorf oder in dessen Nähe ca. 3 ha. hochbonitiertes Land und im Lätten ein Stück Reben, arbeitete aber in der Kistenfabrik in Attikon. Nach langen und schweren Ueberlegungen erklärten Vater und ich, wir wären gewillt, das schöne, ebene Land für eine Siedlung abzutreten unter der Bedingung, dass mein Bruder Armin dieses zugeteilt erhielt. Darauf wollte die Ausführungskommission nicht eingehen. Nun drohte ich, dass ich bei einer anderen Lösung vor das Schiedsgericht gehe. Alte Bauern aus dem Dorfe rieten mir ab, dieses ebene Land gegen Rebland einzutauschen. Nach langen, beidseitig schweren Ueberlegungen entschied dann die Ausführungskommission, mein Bruder würde diese Siedlung erhalten, wenn wir bereit wären, so viel steiles Rebland zu übernehmen. Das war für mich aus beruflicher Sicht als Bauer der schwerste Entscheid meines Lebens, er bedeutete die Aufgabe von Zuckerrüben -und Kartoffelbau.

Der Neuantritt des Landes

Am 1. November 1957 war für alle der Antritt des neuen Landes. in jenem Winter ebnete ich die vielen Gräben aus, die sich im Laufe der Jahrzehnte zwischen den einzelnen kleinen Rebparzellen gebildet hatten und grub die zum Teil hohen Börder ab. Damals waren ja die Rebberge noch nicht begrünt. Da wo schon 20, 30, und mehr Jahre die abgeschwemmte Feinerde nie mehr nach oben getragen oder geführt worden war, hatten sich unterhalb der Rebgrundstücke hohe Erdwälle gebildet, die ausgeebnet oder weggeführt werden mussten. Diese Erdbewegungen waren mühsame Handarbeit.

Römerfunde beim Rebhof

Im Juni 1958 begann mein Bruder mit dem Bau seiner Siedlung (dem Rebhof) in unserem ehemaligen Ackerland im hinteren Berg. Schon in den ersten Tagen, als ein Bagger mit dem Aushub für den Keller begann, kamen überraschend merkwürdige Dinge zum Vorschein.

Es fanden sich glasierte schöne Keramik-  oder Tonscherben, Ziegelbrocken und Scherben von Becken und Schüsseln. Zudem hatte der Bagger einige Rollsteinmauern, die nur gut furchentief zugedeckt waren, durchbrochen oder angerissen. Schon 1925 oder 26 hatten wir bei der Erstellung einer Drainage im angrenzenden Ackerland mehrere ähnliche Mauern im Boden festgestellt. Damals hatte sich aber niemand für solche Merkwürdigkeiten interessiert. Jetzt aber wunderte es uns alle, was da früher einmal hier für Gebäude gestanden hätten. Ueber unseren Bruder Ueli bekamen wir Verbindung mit Dr. Drack von der kant. Denkmalpflege. Schon am folgenden Tag erschien dieser persönlich. Mit der Zustimmung von Armin, ordnete er sofort einen Baustopp und eine Notgrabung an. Der ganze Boden im Umkreis der zukünftigen Gebäude wurde genau durchsucht. Es fanden sich viele Zeugen einer römischen Siedlung. Nach Dr. Drack musste es sich um die Ueberreste eines grossen römischen Gutshofes handeln. Mit Sicherheit erkannte Dr. Drack 6 ehemalige Wohnräume, wovon einer eine Küche und ein anderer ein heizbares Zimmer gewesen sein müsse. Zudem fand man nicht weit verstreut 27 römische Münzen, alle nach römischen Kaisern datiert von den Jahren 161 bis 311 nach Christus. Ebenso kamen Reste eines Ziegelbodens, Scherben von Schalen und Weinamphoren zum Vorschein. Ob wohl damals im Berg schon Reben standen? Die Römer hatten ja die Weinreben aus ihrer Heimat nach Helvetien gebracht. Aus allem schloss Dr. Drack, dass der grosse Gutshof von den Allemannen zu Anfang des 4. Jahrhunderts überfallen und zerstört worden sei. Leider gelangten die gefundenen Münzen durch Dr. Drack allesamt sofort nach Zürich ins Landesmuseum, wo wir sie wohl nie mehr zu Gesicht bekommen. Sie würden dort, zu unserer grossen Enttäuschung, in einer Kiste aufbewahrt, ihren Dornröschenschlaf weiter träumen. Statt dessen könnte man wenigstens einige schöne Stücke in unserem Ortsmuseum ausstellen. Die Wiesendanger hätten dann Gelegenheit diese Zeugen einer frühen Besiedlung unserer Gegend mit eigenen Augen zu sehen.

Wieder Reben !

Im darauffolgenden Winter konnten wir die ersten 40 Aren Rebland vorbereiten und im Frühling 1959 anpflanzen. Auf Anraten der Forschungsanstalt Wädenswil wechselten wir damals vom altbekannten Stickelbau auf Drahtbau über. Das war für uns Neuland. Nach den ersten Weinlesen im neuen Rebberg warteten andere Fragen auf eine Lösung. Seit ich mich als Bub zurück erinnern konnte, kaufte unser Weinkäufer (Weinherr) Oskar Peter, Wirt zur Kreuzstrasse, unseren Wein "trüb ab Presse" und pflegte ihn dann selber. Nun aber wünschten alle Wiesendanger Wirte und auch die andern früheren Weinkäufer, den neuen Wein nicht mehr wie bisher "trüb ab Presse" zu kaufen, sondern fertig gepflegt und ausgebaut, abgefüllt in der Flasche. Auf diese Anforderungen waren wir in keiner Weise eingerichtet. Der "V.O.L.G." aber suchte durch die Landw. Genossenschaft noch Traubenlieferanten. 1964 kelterten wir unsere Trauben also das letzte Mal selber. Seit 1965 liefern wir die ganze Ernte, zusammen mit meinem Bruder im Rebhof, dem V.O.L.G., der den "Wiesendanger" immer gesondert keltert, lagert und abfüllt.

Zugkraft-Wechsel

Damals entschloss ich mich noch zu einer anderen grossen Umstellung. Wir wechselten vom Pferdezug zum Traktor. Mein Bruder Armin, der in der neuen Siedlung "Rebhof", also ganz in der Nähe wohnt, hatte von allem Anfang an mit einem Traktor gearbeitet. Der Gedanke, dass wir gewisse Maschinen gemeinsam anschaffen könnten, liess sich aber nur verwirklichen, wenn wir die gleiche Zugkraft besassen. Das galt auch für die Maschinengemeinschaft für Mistkran und Miststreuer im Dorf, bei der wir Mitglied wurden. Die modernen Maschinen, welche grosse Arbeitserleichterungen, namentlich für die Frauen, brachten (Ladewagen, Heuerntemaschine) hatten alle Zapfwellenantrieb und das fehlte den Pferden. Allerdings empfand ich zuerst eine Art Angst, wenn ich mit dem Ungetüm Traktor im Acker hantierte und dachte dann mit Wehmut an unsere treuen Pferde zurück. Aber manchmal hatte man von ihnen fast zu grosse Leistungen verlangen müssen, besonders am ehemaligen Rebhang.

Unbegehrtes Rebland mit Schwierigkeiten

In der Zwischenzeit, d.h. 7 Jahre nach der Güterzusammenlegung hatten sich noch keine Interessenten aus dem Dorf gefunden, die das, von der Ausführungskommission reservierte "Land mit Rebverpflichtung", im hinteren Lätten übernehmen wollten. Der damalige Kassier der Melioration, oder getragen werden, Als ich vor gut 60 Jahren einmal eben mit der Erdtanse Schwemmerde in unsere Reben trug, rief mir ein Rebnachbar und Spassvogel zu, das sei eine der leichtesten Arbeiten, man könne immer die halbe Zeit mit der leeren Tanse bergab laufen. - Wo das jahrelang nicht geschah, entstanden die früher erwähnten "Börder", die immer höher. wurden und nach der Güterzusammenlegung so viel Arbeit und Mühe verursacht hatten. So hat also die erfolgreiche Bekämpfung der Stiellähmekrankheit noch weitere gut Folgen. Aeltere Fachleute wehrten sich zuerst energisch gegen eine dauernde Begrünung der Rebböden, wir aber sind überzeugt von der Richtigkeit dieser Massnahme.

Das Zepter in jüngere Hände gelegt

Die siebziger Jahre brachten uns etwas ruhigere Zeiten und gute Weinernten. Unser jüngster Sohn, der die landw. Schule besucht hatte und später die erste Winzermeister -Prüfung in der Schweiz mit Erfolg bestand, heiratete 1978. Das junge Ehepaar übernahm darauf zuerst pachtweise und dann käuflich, wiederum zum Ertragswert das Heimwesen. Das war für uns Alte wiederum eine grosse Umstellung, wohnten wir doch zuerst alle zusammen. Mein Vater, Anneli und ich, unser Sohn Benjamin mit seiner Frau Claudine und ihrem ersten Sohn Thomas, also 4 Generationen. Dass es ab und zu kleine Unstimmigkeiten gab, versteht sich, aber Jung und Alt gab sich redlich Mühe, einander zu verstehen und zu lieben. Die beiden Frauen wechselten jede Woche mit Kochen ab. Urgrossvater Ulrich konnte im Februar 1980 noch seinen 98. Geburtstag feiern, dann nahmen seine Kräfte schnell ab. Geduldig ertrug er seine Schmerzen in den Knien, die ihn schon viele Jahre geplagt hatten. Am 9. April durfte er "alt und lebenssatt" heimgehen in die ewige Heimat.

1984 bauten uns die Jungen am Wohnhaus ein Altenteil an und im folgenden Mai konnten wir ins neue Heim einziehen. Heute sind wir dankbar für unser "Stöckli". In der alten Wohnung nebenan sind ausser den jungen Eltern zu unserer grossen Freude 6 Enkelkinder daheim. Wir hoffen, dass eines von ihnen Bauer oder Bäuerin werden will und weiter im Berghof der Landwirtschaft treu bleibt, trotz der düsteren Zukunft für die Bauern. Das schönste Wappen in der Welt das ist der Pflug im Ackerfeld!

Im Mai und im November 1989 wurden mir im Kantonspital Winterthur meine beiden Hüften operiert, das heisst neue Gelenke von Sulzer eingesetzt. Die Röntgenkontrollen nachher zeigten, dass alles gut zusammengewachsen war. Nun wurde mir erst recht bewusst, wie wunderbar unserer ganzen Familie und mir persönlich unser Schöpfer ein ganzes Leben lang Gesundheit und Kraft geschenkt hatte. Anneli und ich, wir waren eigentlich nie ernstlich krank gewesen. 1993 aber plagten mich Schmerzen im Kreuz mehr und mehr. Oft musste ich während der Rebarbeit absitzen oder abliegen. Das Stehen oder Gehen wurde immer mühsamer. Anfang Februar 1994 musste ich mich einer Operation der Wirbelsäule unterziehen, weil "ein Nerv, oder Nerven eingeklemmt" waren. Nach anschliessend 3 Wochen Aufenthalt in der Höhenklinik Wald, begann für mich eine stille Zeit, konnte ich doch kaum mehr frei stehen und nur mit Hilfe von 2 Stöcken oder einem Rollböckli im Freien gehen. Es ist mir Zeit geschenkt, über mein Leben nachzudenken und etliches aufzuschreiben, was mir noch in guter Erinnerung ist. Bestimmt war ich im Leben meinem Schöpfer gegenüber zu wenig dankbar für alle Liebe, die er mir in Jesus Christus geschenkt hat, sowie für alle Durchhilfe im Lebenskampf. Meine Aufzeichnungen . schliesse ich mit den Worten aus Psalm 104 Vers 33: "Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin."

September 1994 ek.