GEHT’S NOCH?
: Pietätlos und widerlich

IN DER BERICHTERSTATTUNG ÜBER DEN FLUGZEUGABSTURZ MISSACHTET DER BOULEVARD JEGLICHE JOURNALISTISCHE ETHIK

Eigentlich war es absehbar, in dem Moment, als die Eilmeldung kam: Ein Flugzeugabsturz in Frankreich, mit so vielen deutschen Opfern, das ist eine mediale Herausforderung, wie es sie lange nicht mehr gab. Eine, die nicht jeder Journalist, nicht jede Journalistin gleich bewältigt. Eine, bei der die journalistische Ethik von Kollegen manchmal leichtfertig unter Voyeurismus und Sensationsheischerei begraben wird.

Alle großen Nachrichtenseiten haben einen Liveblog eingerichtet und ihn mit jedem Schnipsel geflutet, mit jeder Nicht-Nachricht, die man kriegen konnte: Zehn Polizisten bewachen den schwer zugänglichen Unglücksort, am Flughafen Düsseldorf sind die Fluggäste verunsichert, das Wetter in den Alpen schlägt schnell um. Wenn es keine Nachrichten gibt, müssen welche produziert werden.

Ganz besonders weit nach unten hat sich der Boulevard begeben. Am Tag nach dem Absturz zeigte die Bild Fotos der Opfer, mit vollem Namen und ohne Unkenntlichmachung, Facebook-Einträge der Schüler aus Spanien, „Xys letzte Fotos aus Barcelona“, weinende Schüler und Flugbegleiter. Ist der Absturz nicht schon schlimm genug? Muss man wirklich so tief graben, spekulieren, Schmerz befeuern? Gestern dann: „Der Amok-Pilot“, mit unverpixeltem Foto, über die ganze erste Seite gezogen. Auf Seite drei, seine „geheime Kranken-Akte“. Bild.de zeigte ein Video, wie die Ermittler sein Elternhaus betreten. Muss das sein? Welchen Nutzen haben wir Leser daraus? Haben seine Eltern in dieser schrecklichen Situation kein Recht auf Ruhe vor Journalisten?

Der Deutsche Presserat appelliert an die Medien, „den besonderen Schutz“ der Identität der Opfer und Angehörigen zu wahren. Furchtbar, dass er das tun muss. Ethik gehört zum journalistischen Handwerk. Wer im Angesicht einer solchen Katastrophe glaubt, er könnte sie unter Voyeurismus und Sensationsheischerei begraben, hat die Berufsbezeichnung nicht verdient. Was die Bild-Zeitung seit Dienstag zeigt, hat mit Journalismus nicht mehr viel zu tun. Das ist auch kein guter Boulevard. Das ist einfach ekelhaft. ANNE FROMM