Familienleben mit Abgründen

Drogenabhängige bringen nicht nur sich selbst an Grenzen, sie stürzen mitunter auch ihre Familien in Abgründe. Ein 56-jähriger Vater mit einer suchtkranken Tochter fand, wie andere auch, Hilfe bei der Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger Zürich.

Rebekka Haefeli
Drucken
Der Konsum harter Drogen wie beispielsweise Kokain kann für ganze Familien verhängnisvolle Folgen haben. (Bild: Keystone / Reuters)

Der Konsum harter Drogen wie beispielsweise Kokain kann für ganze Familien verhängnisvolle Folgen haben. (Bild: Keystone / Reuters)

Das Schlimmste hat er überstanden. Jedenfalls hofft er das. Der Tochter gehe es momentan gut, erzählt der Vater. Nach einer mehrjährigen Therapie werde sie bald auf den eigenen Füssen stehen und ihr Leben allein meistern können. Das war nicht immer so. Ruhig und gefasst erzählt der 56-jährige Zürcher, wie sein Familienleben in den vergangenen Jahren durcheinandergewirbelt wurde, wie auf gute Zeiten schlechte folgten, die ihn fast an den Rand der Verzweiflung brachten. Seine Tochter, inzwischen 30-jährig, nahm Drogen, seit sie die Oberstufe besucht hatte. Begonnen habe sie mit Marihuana, sagt er, bevor sie begann, Kokain zu konsumieren.

Sorge und Schlaflosigkeit

Rückblickend hält der Vater selbstkritisch fest, er hätte von Anfang an rigoros durchgreifen müssen, Grenzen setzen und die Drogen verbieten sollen. «Ich war zu jener Zeit der Meinung, sie sei alt genug, um zu entscheiden, ob das gut für sie sei oder nicht.» Der Absturz kam nach der Lehre, als die Tochter schon ihr eigenes Geld verdiente und in einer eigenen Wohnung lebte. Der Vater erinnert sich an ein Familienessen an Heiligabend, als es im Elternhaus zu einem Streit kam und die Tochter davonlief. «Da hatte ich den Eindruck, dass sie keine Grenzen mehr kennt.»

Er habe anschliessend versucht, sie im Alltag zu kontrollieren, um herauszufinden, wie tief sie bereits in die Drogensucht verstrickt sei. Er habe immer wieder spontan bei ihr angerufen oder sie unangemeldet besucht. «Eines Tages musste ich feststellen, dass es schlimm um sie stand. Sie hatte ihren Konsum nicht mehr im Griff», erinnert er sich. Die Eltern holten die Tochter nach Hause, besuchten zusammen mit ihr Psychologen, liessen sich beraten. «Wir hatten das Gefühl, sie durch unsere Fürsorge wieder auf den richtigen Weg bringen zu können.» Doch was folgte, war «ein Desaster nach dem andern», wie der 56-Jährige sagt. Er habe zunehmend gespürt, wie sehr er selber unter der Situation leide. Er konnte nicht schlafen und hatte Angstzustände, wenn allein schon das Telefon klingelte. Die Sorge um die Tochter liess ihn nicht mehr los. Erschwert wurde die Situation durch die Tatsache, dass auch der Sohn eine Zeitlang drogenabhängig war. Dem Sohn gelang es, aus eigener Kraft den Ausweg zu finden. «Ich schämte mich für diese ganze Drogengeschichte und verschwieg sie so gut wie möglich», sagt der Vater. «Es kam der Punkt, an dem ich etwas für mich unternehmen musste.»

Professionelle Unterstützung

Vor gut zwei Jahren wandte sich der 56-Jährige mit seiner Frau an die Angehörigenvereinigung Drogenabhängiger Zürich (ada-zh), die individuelle Beratungen anbietet und Selbsthilfegruppen initiiert. Hier, sagt er, habe er endlich Verständnis gefunden für seine Probleme und sich von Selbstvorwürfen befreien können. Erst da sei ihm bewusst geworden, dass Drogensucht eine Krankheit sei. Die Mitarbeitenden der Beratungsstelle ada-zh hätten ihm keine Entscheidung abgenommen, ihn aber professionell unterstützt. Der Tochter ging es derweil nicht besser, sondern schlechter. «Ich sah, wie alles kaputtgeht», sagt er. Da habe er sie vor die Tür gestellt. «Wir mussten unser eigenes Kind zuerst fallenlassen, damit etwas passiert.» Dieser bittere Schritt war es in seinen Augen, der bewirkte, dass die Tochter ihre Therapie begann – «für sich, und nicht für uns Eltern». Die Kraft, diese Zeit durchzustehen, habe ihr wohl auch ihr Sohn gegeben, der bald im Kindergartenalter ist. Der Kleine konnte während der Therapie bei seiner Mutter bleiben. Deren Vater, der nun auch Grossvater ist, wünscht sich, dass ruhigere Zeiten einkehren. Der Wunsch gilt vor allem auch dem Enkelkind.

Zum Thema