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Gründe für Tattoos«Tätowierungen sind ein Kommunikationsmittel»

Arme, Brüste, Oberschenkel: Die Tattoos von heute bedecken ganze Körperteile. Mit Kaschieren hat das aber nichts zu tun – im Gegenteil, sagt Soziologe Tobias Lobstädt.

Fee Riebeling
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Fee Riebeling

Waren Tattoos über dem Steiss in den 1990er-Jahren noch der letzte Schrei, sind es heute vor allem Motive auf Armen und Oberschenkeln. Die Devise scheint zu lauten: möglichst grossflächig.

Herr Lobstädt, wollen die Leute mit den riesigen Bildern etwas verstecken?

Tobias Lobstädt: Im Gegenteil. Für die meisten stellen Tattoos ein Kommunikationsmittel dar. Die Bilder sollen etwas ausdrücken, was die Träger nicht in Worte fassen können. Sicher versuchen auch einige, mit den Tattoos die Aufmerksamkeit von einem Körperteil auf einen anderen zu lenken. Aber gemäss meinen Erfahrungen ist das eher die Ausnahme.

Trotzdem lassen sich nicht alle tätowieren. Was stimmt mit den Abstinenzlern nicht?

Mit denen ist alles in Ordnung. Sie drücken sich einfach anders aus – vielleicht machen sie Musik, sind in Sportvereinen aktiv oder schreiben Gedichte. Tattoos sind nur eine Ausdrucksform von vielen.

Welche Gründe gibt es für ein Tattoo?

Im Prinzip geht es allen Menschen darum, ein bestimmtes Bild von sich zu schaffen. Schliesslich haben alle den Spruch «Der erste Eindruck zählt» im Kopf. Dadurch entsteht tatsächlich ein Zwang, einen guten Look zu haben. Und für manche ist ein Tattoo eine Möglichkeit, diesen zu bekommen.

Man könnte sich stattdessen aber auch einfach ein schickes T-Shirt kaufen.

Könnte man. Aber weil es dauerhaft ist, wirkt ein Tattoo stärker. Es kann beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Gruppe markieren. Gleichzeitig kann es aber auch ein Zeichen von Individualität sein, beispielsweise indem man sich mit seinem Motiv von anderen abhebt. Manche sehen es aber auch einfach nur als eine Form von Schmuck an.

Man lässt sich ein Tattoo also nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere stechen?

Genau. Zwar dienen Tätowierungen im Grossen und Ganzen dazu, das Selbstwertgefühl zu steigern. Aber das geht nicht ohne die anderen. Schliesslich kann man sich selbst nur richtig einschätzen, wenn man von anderen Rückmeldung bekommt. Ausserdem ist man als Tätowierter unter Tätowierten Teil einer Gruppe. Das fühlt sich gut an. Aber es gibt auch solche, die es ausschliesslich für sich tun. Andere haben wiederum ihren Körper zum Projekt erklärt. Da spielt dann auch der Leistungsgedanke eine Rolle. Sie freuen sich beispielsweise darauf, hinterher sagen zu können, dass sie die Schmerzen beim Stechen ausgehalten haben. Die Motivation ist wirklich ganz unterschiedlich.

So wie die Tätowierten selbst?

Tätowierte findet man in allen Gesellschaftsschichten. Das reicht vom Arbeitsuchenden bis hin zum Banker. Auch in puncto Alter ist alles drin, wobei die Kerngruppe aus den 16- bis 40-Jährigen besteht.

Wie erklärt sich die recht weite Spanne?

Ab 16 Jahren dürfen sich Jugendliche überhaupt erst tätowieren lassen. Allerdings nur mit einer Einverständniserklärung der Eltern. Mit 18 Jahren müssen sie dann niemanden fragen. Daher steigt die Zahl der Tattoo-Träger ab diesem Alter rasant an. Die Tätowierungen der älteren Semester stammen meist aus der Zeit, als der Tattoo-Hype losging. Das war vor rund 15 Jahren der Fall.

Es sind also eher jüngere Menschen, die sich stechen lassen?

Ja, denn einerseits haben Schüler und Studenten Zeit dafür. Andererseits ist es die Phase im Leben, in der man sich viel mit dem eigenen Körper beschäftigt. So gesehen ist es also ein beliebter Zeitpunkt.

Tobias Lobstädt ist Soziologe und Autor von mehreren Publikationen - unter anderem von «Tätowierung, Narzissmus und Theatralität. Selbstwertgewinn durch die Gestaltung des Körpers» (ISBN: 978-3531181486)

Gezeichnet fürs Leben

Die Tätowierung: Vom archaischen Symbol der Stammeszugehörigkeit bis zur Mainstream-Modeerscheinung der urbanen Jugend. Alle Artikel der Sommerserie zum Thema Tattoos finden Sie hier.

Schriftzüge als Tattoos kommunizieren natürlich umso mehr. Haben Sie Worte auf der Haut? Schicken Sie uns ein Foto davon mit der Bedeutung an community@20minuten.ch!

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