Warum der Fall Gurlitt auf so viel Interesse stösst

Der Fall von Cornelius Gulitt und seiner Kunstsammlung ist ein Kondensat aus rechtlichen, historisch-politischen und menschlichen Aspekten – die Kunst spielt dabei nur am Rande eine Rolle.

Samuel Herzog
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Nazideutschland ist die Kulisse, vor der sich das Drama um die Sammlung Gurlitt abspielt: Ausstellung «Entartete Kunst» in Hamburg im Jahre 1938. (Bild: Ullstein)

Nazideutschland ist die Kulisse, vor der sich das Drama um die Sammlung Gurlitt abspielt: Ausstellung «Entartete Kunst» in Hamburg im Jahre 1938. (Bild: Ullstein)

Der Fall des im Mai 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt und seiner Kunstsammlung, die er an das Kunstmuseum Bern vererbte, wurde in den vergangenen zwei Jahren endlos diskutiert. Die Annahme des Erbes im November wurde allgemein begrüsst – und bald kommen die ersten Werke nach Bern.

Die Kunst allein aber ist es nicht, die den Fall Gurlitt so spannend macht. So viel wir heute wissen, finden sich schöne Stücke in der Sammlung – aber kaum Werke, mit denen sich etwa Lücken in der Kunstgeschichte schliessen liessen. Genauer wird sich das aber erst sagen lassen, wenn man die Werke im Original sehen kann.

Aufregend ist der Fall Gurlitt wegen seiner kniffligen Rechtslage – verknüpft mit zahllosen ethischen und moralischen Aspekten: Raubkunst, Kunst aus der Beschlagnahme, «entartete Kunst», gutgläubig Erworbenes, Ererbtes . . . – wo gilt es welche Praxis anzuwenden, was ist richtig, was ist fair?

Spannender noch als die juristischen sind die eng damit verknüpften historisch-politischen Aspekte des Themas. Die geschichtliche Kulisse, vor der sich das Drama abspielt, ist das Deutschland der Nationalsozialisten mit seiner Kunstpolitik, seinen Verfolgungen, seinen extremen Zielen und seinen zahllosen Kompromissen. Es gibt indes eine zweite Geschichte, die wie ein Wurfspeer quer durch diese Kulisse fliegt. Die Familie Gurlitt nämlich ist nicht allein wegen ihres Schicksals während des Zweiten Weltkriegs interessant, sondern ebenso wegen ihrer kuriosen Familienhistorie, ihrer Maler wie Louis und Cornelia Gurlitt sowie diverser Kunsthändler und Historiker. Als dritte Komponente kommt die ganze Nachkriegsgeschichte hinzu – mit ihren zahllosen Versuchen, so etwas wie eine Haltung gegenüber dem Horror des Nazi-Regimes zu entwickeln und daraus eine Ethik, Regeln, Gesetze und Praktiken abzuleiten.

Menschlich ist der Fall Gurlitt interessant, weil in jedem einzelnen Blatt der Kollektion ganz verschiedene Schicksale ihre Spuren hinterlassen haben – das müssen gar nicht unbedingt nur jüdische Sammler gewesen sein, die ihre Lieblinge unter Druck zu einem lächerlichen Preis verschachert haben. Auch die Künstler selbst, bankrotte Händler, Museumsdirektoren, gutgläubige Käufer und profitgierige Zwischenhändler, Opportunisten und Idealisten leben wie Geister in den Mappen und Schubladen nach. Eine ganz spezielle Tragödie stellt auch das Leben und Sterben von Cornelius Gurlitt selbst dar. Als Sohn von Hildebrandt Gurlitt kam seine Vita, so jedenfalls sieht es aus der Distanz aus, nie so richtig in Schwung. Die vom Vater geerbte Kunstsammlung war für ihn wohl nicht nur eine ökonomische Absicherung, sondern auch so etwas wie eine Wiege, die ihn beschützt in seiner Familie und der Welt existieren liess – eine Art Schönheit auch, die ihn in Momenten der Unsicherheit trösten mochte: Dies ist mein, und also bin ich. Dass dieser Mensch völlig überfordert war, als die Behörden über ihn herfielen, ist ebenso klar wie der Umstand, dass viele von ihm profitiert, manche ihn wohl gar ausgenutzt haben: Anwälte, Kunsthändler, Ärzte – man hört die abenteuerlichsten Geschichten.

Für die Medien und die Öffentlichkeit indes, die sehr plötzlich mit dem Fall Gurlitt konfrontiert wurden, stellte sich die Sache zunächst ganz anders dar: In der Gestalt dieses bleichen alten Mannes mit seiner viel zu schönen Geliebten schien sich die Nazizeit mit ihren ganzen Verbrechen noch einmal so richtig zu verdichten – jene wohlige Empörung stellte sich ein, von der auch die ganzen Filme und Serien über den Zweiten Weltkrieg profitieren. Den alten Mann hat diese unheimliche Konstellation das Leben gekostet.