Ehern

Luise Maier
Rezension vom 15/04/2024 von Marina Galli

Ich bin ein Garten: Ich bin nur der oberste Teil aus Schichten von Geschichten. Zu lange habe ich versucht, mich mit den schönsten Blumen zu bepflanzen, mich zu hegen und zu pflegen und der ganzen Nachbarschaft und Welt zu zeigen, wie schön ich blühen kann. Aber was wirklich auf mir wächst, das entscheidet mein Boden. Und der ist lehmig, darin steckt noch Munition aus dem Krieg, da liegen Knochen begraben, da lauern einsame Gesichter. (S. 26)

In Luise Maiers Roman wird dieser Garten förmlich umgepflügt, die obersten Schichten abgetragen, um freizulegen, was sich darunter verbirgt. Hauptfigur im Roman der Wahlschweizerin ist Ida, eine Mittzwanzigerin, die sich mit durchaus gewöhnlichen Dingen wie Reisen, Partys, Freundinnen, Männergeschichten oder einem Französischkurs die Zeit vertreibt. Als sie sich auf eine Beziehung mit Antoine einlässt und Zeit mit seinen beiden Töchtern zu verbringen beginnt, kommen immer wieder Gefühle in ihr hoch, die sie nicht einordnen kann: Einmal fangen ihre Hände beim Vorlesen einer Gutenacht-Geschichte unkontrolliert zu schwitzen an, ein andermal bricht sie in Tränen aus, als Antoine in der Nacht seine Tochter nach einem Alptraum tröstet.

Ida beschliesst, sich ihren Ängsten, die sich stets über diese körperlichen Reaktionen manifestieren, zu stellen, und ihnen auf den Grund zu gehen. So begibt sie sich auf Spurensuche in ihrer Familiengeschichte, die vom Schweigen über die Nazi-Vergangenheit mancher ihrer Mitglieder geprägt ist. Die Erzählerin kontaktiert Verwandte, konsultiert Archive und ackert sich durch Fachliteratur zur transgenerationalen Weitergabe. Der collageartige Aufbau des Romans aus kurzen Abschnitten erweist sich als gelungene Form, um sich diesem komplexen und schwer zu greifenden Thema anzunähern, das die Autorin mittels Zeitsprüngen, Orts- und Perspektivenwechsel – nicht nur Ida, sondern auch andere weibliche Mitglieder ihrer Familie kommen zu Wort – überzeugend einzukreisen vermag.
Die dichten, satten Szenen entfalten über ihren fast filmischen Stil eine grosse Kraft, die das Gefühl der Bedrohung und aufkeimenden Panik, das die Protagonistin immer wieder überkommt, auf beklemmende Art vermitteln:

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Rezension

Damenprogramm

Theres Roth-Hunkeler

Rezension vom 08/04/2024 von Ladina Caduff

Romane, die um existenzielle Themen kreisen, laufen schnell Gefahr, in Pathos zu verfallen. Den richtigen Ton anzuschlagen, ist eine Kunst, die Theres Roth-Hunkeler souverän beherrscht.

Hauptprotagonistinnen des Romans sind Anna und Ruth, die nicht nur eine langjährige und tiefgreifende Freundschaft, sondern auch der Umstand verbindet, dass Ruth die Patentante von Annas Tochter aus erster Ehe ist und Anna in zweiter Ehe Ruths Bruder, Arno, geheiratet hat. Arno ist an Demenz erkrankt und vor rund einem Jahr verstorben. «Stirbt jemand, gerät alles durcheinander» und «zum Glück bist du da als eine Art Ordnung in meinem Leben», schreibt Anna in einem Brief an Ruth. Der Mann und Bruder hinterlässt eine grosse Leere im Leben der beiden Freundinnen. Während Ruth mit dem Älterwerden ringt, sich von einer glücklosen Liebe trennt und den Drang nach Leben verspürt, nistet sich bei Anna hartnäckig das Gefühl der Angst ein. Seit einigen Jahren steht das Leben ihrer 32jährigen Tochter Caro aufgrund ihrer Drogensucht auf der Kippe. Die Beziehung zu ihrer Mutter gestaltet sich als ein Drahtseilakt. Die Leere, die Arno hinterlässt, füllt Anna mit ihrer Sorge um Caro, die sich aber immer mehr Ruth anvertraut.

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Fokus

Schweizer Grand Prix Literatur an Klaus Merz, Spezialpreis Übersetzung an Dorothea Trottenberg

Fokus vom 15.02.2024 von Redaktion, Pressemitteilung BAK

Das Bundesamt für Kultur (BAK) würdigt das Lebenswerk des Aargauers Klaus Merz mit der höchsten literarischen Auszeichnung der Schweiz. Der Spezialpreis Übersetzung geht in diesem Jahr an die Zürcherin Dorothea Trottenberg. Fünf Autorinnen und zwei Autoren werden mit einem Schweizer Literaturpreis für ein im vergangenen Jahr erschienenes Werk ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet am 10. Mai 2024 im Rahmen der Solothurner Literaturtage in Anwesenheit der Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider statt.

Schweizer Grand Prix Literatur 2024 an Klaus Merz

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Fokus
Hommage à Annik Mahaim: Une plume féconde et engagée
L'auteure lausannoise est décédée le 17 janvier 2024
Fokus vom 05.02.2024 von Ursula Gaillard

Annik Mahaim avait la joie du mot chevillée au corps. Elle est décédée d’un cancer le 17 janvier 2024, non sans laisser un dernier roman publié en août 2023. Franchir les ravins raconte l’histoire de trois femmes aux prises avec leur destin : Sophia, cardiologue est en proie au désamour, Nisha, d’origine mauricienne, responsable d’une collection prestigieuse dans une maison d’édition qui la licencie pour cause de restructuration, et Juliette, jeune graphiste, atteinte d’un cancer du sein. Le traitement sans complaisance des obstacles auxquels se heurtent ces trois protagonistes contraste avec le lyrisme réservé aux nuages, lumières et reflets toujours changeants du paysage lémanique. Le désir d’enchanter la vie par-delà les horreurs du monde et les vicissitudes de l’existence y est partout sensible. Un scintillement rédempteur sur le lac en cette année 2022 rappelle celui évoqué dans Radieuse matinée, magnifique récit autobiographique publié en 2016.

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Una saggezza con il volto dell'ironia
(Un ricordo di Aurelio Buletti)
Fokus vom 23.01.2024 von Leopoldo Lonati

«…la scampano solo parole / oltre l’Arrivo» [1]

Per chi ha avuto la fortuna di conoscerlo, Aurelio Buletti (Giubiasco, 7 maggio 1946 – Lugano, 16 novembre 2023) è stato figura esemplare per umanità e cultura.
In questi anni lo si poteva incontrare per le strade di Lugano in compagnia della moglie Giovanna, al bar Pedro o più recentemente, quando i suoi tragitti si eran fatti un po’ più brevi, in qualche bar di Cassarate a sorseggiare un caffè.
Uomo di lieve e intelligente (auto)ironia, ci ha regalato una scrittura calma e lieve ma non superficiale: una poesia da camera, aerea come una «farfalla», secondo un’immagine di Clara Caverzasio ripresa da Gilberto Isella in un bel testo apparso nei «Quaderni grigionitaliani» del 2006.
Poesia da camera di un poeta dalle scarpe robuste però, come quelle che calzava anche solo per scendere le scale e accompagnarti al cancello. La leggerezza e la robustezza di chi conosce bene il suo mestiere e oscilla tra il vedersi ora in figura di volatile (beccuzzo qualche immagine / nell’erba della vita e dei poeti [2]) e ora di asino:

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Poesie und Prosa: fliessende Grenzen
Klaus Merz, Zsuzsanna Gahse, Felix Philipp Ingold
Fokus vom 04.12.2023 von Beat Mazenauer

Die Aufgabe bleibt die Aufgabe

Die Leichtigkeit seiner Gedichte ist ein Markenzeichen von Klaus Merz. So licht und einfach sie erscheinen, täuschen sie doch nie darüber hinweg, dass in ihnen die harte Arbeit des Verdichtens steckt. Gleich eingangs im neuen Band Noch Licht im Haus demonstriert es Merz in einem Dreizeiler im Versmass 7-5-5.

Unsere Aufgabe bleibt
die Aufgabe. Ich
arbeite daran.

Was oberflächlich wie ein bestärkender Pleonasmus klingt, eröffnet im Kern zwei Lesarten. In der Aufgabe steckt sowohl der Auftrag wie das Aufgeben, mit je ungleichen Vorzeichen des Aufbruchs oder des Verzichts. So erhalten die drei einfachen Zeilen eine prekäre Note, die allenthalben in diesem Band aufblitzt. Worte sind Dreh- und Angelpunkte, die Ambiguitäten erschliessen und Räume zwischen den Zeilen öffnen. Mit kleinsten Verschiebungen setzt Klaus Merz sein allgegenwärtiges lyrisches Ich in Situationen und Bilder, die so schlicht wie unauflösbar erscheinen. Dabei gilt: «alle Wege führen / im Morgengrauen / zurück zu mir» – zum Kind im Dichter. Sei es, wenn im nächtlichen Donnergrollen die «grossen Kindheitsgewitter» leise nachhallen, seien es die Stromschläge, die Mutter einst verabreicht wurden und die noch immer «gegen die eigene Schläfenwand» branden – mit einem Seitenblick auf Merz' Kernerzählung «Im Schläfengebiet».

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Neuerscheinungen